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So soll’s sein

DIE NACHT VOR WEIHNACHTEN
(Nikolai A. Rimski-Korsakow)

Besuch am
23. Dezember 2023
(Premiere am 5. Dezember 2021)

 

Oper Frankfurt am Main

In Frankfurt sitzt man in einem doch recht nüchternen Zuschauerraum – gut, man hat versucht, die Ränge noch mit etwas Glamour zu gestalten, goldfarbene Metallplatten reflektieren das Licht und geben dem Raum Wärme, ein Sternenhimmel blinkt von der Decke herunter. Aber dennoch, man denke an Dresden, an München, Häuser, in denen das Märchen schon vor der Vorstellung anfängt, kommt hier in Frankfurt alles recht kühl daher.

Aber dann: Wann hat man zuletzt einen so märchenhaften, einen so wunderbar aus der Zeit gefallenen Abend erlebt? Regisseur Christof Loy beschenkt die Zuschauer regelrecht einen Tag vor dem Heiligen Abend mit Die Nacht vor Weihnachten von Nikolai A. Rimski-Korsakow nach einer Erzählung von Nikolai W. Gogol. Und es ist wahrhaftig ein Geschenk, was er da in Zusammenarbeit mit den fantastischen Bühnenbildern von Johannes Leiacker und den traditionell volkstümlichen Kostümen Ursula Renzenbrinks auf die Bühne bringt oder sinnbildlich jedem Zuschauer unter den Weihnachtsbaum legt.

Nichts Geringeres als der Weltraum ist bei Loy der Ort der Handlung. Eine Gazewand mit den Planeten trennt anfangs zur Ouvertüre den Zuschauer vom Geschehen, später öffnet sich ein Raum, mit großen weißen Quadraten gekachelt, die überall leuchtende Sterne blitzen lassen, der Mond schaut zur Seite riesengroß herein. Hier spielt die Geschichte, die schnell erzählt ist: Der Schmied Wakula ist in die Tochter des reichsten Bauern im Dorf Dikanka verliebt, in Oksana, die er heiraten möchte. Hierfür verlangt sie aber von ihm, dass er ihr die schönsten Schuhe der Zarin bringt. Nun nimmt die Handlung ihren Lauf, die durch das Mitwirken des Teufels, der sich mit der Witwe und Hexe Solocha, Mutter von Wakula, verbündet, etwas andere Dimensionen bekommt. Hier wird der Mond gestohlen, das Sternenlicht geraubt und Schneestürme entfesselt, dazu fliegen die Handelnden immer wieder durchs Weltall. Solocha ist hinter dem Erbe von Oksanas Vater her und will deshalb die Hochzeit ihres Sohnes mit dessen Tochter verhindern. Ebenso sollen der Frühlingsgott Owsen und die Jungfrau Koljada nicht zueinander finden und die Sonnenwende nicht einleiten, damit Übles geschehen kann. Das Ganze ist eine satirisch-realistische Darstellung des Lebens in einem ukrainischen Dorf, mit zahlreichen erotischen Anspielungen aus dem Leben Solochas. Der Humor kommt beileibe nicht zu kurz. Natürlich verbinden sich letztendlich Owsen und Koljada wieder, die Dorfbewohner preisen das Weihnachtswunder, auch Wakula und Oksana finden am Ende zusammen, und die Geschehnisse in dieser Nacht wird ein berühmter Dichter aufschreiben.

Aus dieser recht einfachen Geschichte macht Loy ein fulminantes Geschehen. Es wird außerordentlich bereichert durch die Tänzer in der Choreografie von Klevis Elmazaj, die Flugnummern unter der Leitung von Ran Arthur Braun und dem von Tilman Michael bestens vorbereiteten Chor, der die Dorfszenen und das Treiben am Petersburger Hof komödiantisch mit viel innerer Beteiligung umsetzt. Sehr liebevoll führt Regisseur Loy seine Figuren, und bis in die kleinsten Nebenrollen folgen ihm alle gerne. So entwickelt sich das Zusammentreffen von vier Liebhabern der Solocha, die schließlich in Säcke gesteckt werden, als anregende Lachnummer für das Publikum. Der Besuch Wakulas am Hof der Zarin in St. Petersburg gibt Gelegenheit, den Chor und die Artisten in einer wahren Kostümflut zum barocken Gesellschaftstanz auftreten zu lassen – prächtig und pomphaft.

Musikalisch bewegt sich das Werk zwischen ukrainischen Volksgesängen, den Koljadas, in denen sowohl die Menschen als auch die Geister in der Oper Glück, Gesundheit und Reichtum für das Haus wünschen, und den Arien, Ensembles und Chören, in Rimski-Korsakows reicher musikalischer Sprache vertont.

Die Sänger lassen sich mit ungeheurer Spielfreude auf diesen Spaß ein und sind durchwegs sehr gut besetzt. Allen voran der Tenor Georgy Vasilev als Wakula, er hat eine lyrisch-dramatische Stimme, mit der er auch die emotionalen Stellen sehr weich gestaltet. Ihm liegt die Partie gut, und die Höhe meistert er locker. Julia Muzychenko gefällt ausnehmend in der Rolle der Oksana. Hier kann sie ihre warme, volltönende und beseelte Stimme besonders lyrisch und farbenreich einsetzen. Enkelejda Shkozas dramatischer Alt braucht am Anfang etwas Zeit, um sich geschmeidig zu entfalten, passt aber mit der dunklen, satten Färbung sehr gut zu der Rolle der lüstern-listigen Hexe Solocha, die sie mit quirliger Spielfreude interpretiert. Charakterbass Inho Jeong singt einen sonoren, gut differenzierten Tschub und gefällt ganz besonders in den komödiantischen Momenten. Andrej Popov gibt einen durchtriebenen, sehr agilen Teufel, der sängerisch und schauspielerisch absolut überzeugt. Bianca Andrew als Zarin macht ihre doch kleine Rolle in der Hofszene mit ihrem berückenden Timbre zu einem Genuss. Die weiteren Rollen sind mit Changdai Park als Panas, Sebastian Geyer als Bürgermeister, Peter Marsh als Diakon, Thomas Faulkner als Pazjuk und Barbara Zechmeister durchwegs hochkarätig besetzt.

Eva Polne als bezaubernde spitzentanzende Göttin Koljada und Gorka Culebras als akrobatischer lederbehoster Owsen heben das Geschehen in transzendente Sphären. Pascu Ortí, Irene Madrid, Guillaume Rabain als Monsieur Flic-Flac, Clara Navarro, Gabriele Ascani, Guillermo de la Chica Lopez und Antonio Rasetta als Tänzer bringen Bewegung ins bunte Geschehen.

Takeshi Moriuchi leitet das Frankfurter Opern- und Museumsorchester sehr umsichtig und unterstützt sehr gut die Sänger. Der Klang ist stets durchsichtig, nie dick, die Lautstärke immer gut angepasst. Viele Solostellen geben den verschiedenen Instrumentalisten Gelegenheit, außergewöhnlich schöne, innige Passagen zu liefern. Der Chor singt stets sehr präsent, sehr homogen und ausdrucksstark.

Das Publikum ist hingerissen, spendet auch Zwischenapplaus und feiert am Ende die gesamte Produktion begeistert. Noch zweimal ist Die Nacht vor Weihnachten in Frankfurt in dieser Spielzeit zu erleben, am 25. und 31. Dezember, allerdings schon ausverkauft. Bleibt nur zu hoffen, dass sie wieder aufgelegt wird, und dann heißt es: schnell sein! Und wenn man schon vorher einen Eindruck gewinnen möchte, kann man sich das Ganze auf DVD, bei NAXOS erschienen, ansehen oder streamen.

Jutta Schwegler