O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bilder ähnlich der besuchten Aufführung - Foto © Christian Schuller

Aktuelle Aufführungen

Hart an der Grenze

TO SPEAK LIGHT POURS OUT
(Kate McIntosh)

Besuch am
16. Oktober 2020
(Uraufführung)

 

PACT Zollverein, Essen

Nun öffnet auch PACT Zollverein in Essen wieder seine Tore für das Publikum. In der Zwischenzeit ist viel passiert. Die Verantwortlichen haben endlich damit begonnen, sich mit der digitalen Welt auseinanderzusetzen, und versucht, ein Online-Programm zu konzipieren. Viel wichtiger aber noch, dass sie sich auch darum gekümmert haben, die Ausfallhonorare ihrer Künstler zu zahlen und darüber hinaus erfolgreich Fördergelder für zwei Programme zu akquirieren, mit denen immerhin rund 100 Künstler unterstützt werden können. Nach den schlechten Nachrichten der vergangenen Wochen ist die Freude darüber groß, wenn auch nur für eine Minderheit. Aber in diesen Zeiten zählt jeder einzelne, dessen berufliche Existenz bestehen bleibt.

Dass nun auch wieder Leben in die ehemalige Waschkaue auf Zeche Zollverein einkehrt, sorgt für zusätzlich gute Stimmung im Haus. Das Sicherheitskonzept ist ausgearbeitet und umgesetzt, die Akteure sind getestet und seither in Isolation, einmal mehr gilt: Nirgends ist man derzeit so gut aufgehoben wie an den Spielstätten der Kultur. Dank öffentlicher Förderung kann PACT Zollverein sogar aushalten, dass nur noch 20 Prozent der eigentlich möglichen Besucher Zugang haben. Grund genug, die Spielzeit mit einem Paukenschlag zu eröffnen. Im Wortsinn.

Eingeladen ist Kate McIntosh mit ihrer Truppe, um ihre Uraufführung To Speak Light Pours Out zu zeigen. Eine Übersetzung des Titels wird nicht angeboten. Es ist ja bekannt, dass Englisch die zweite Muttersprache der Menschen im Ruhrgebiet ist, oder? Und so kann man gleich das ganze Stück auf Englisch zeigen. Immerhin wird es eine kurze Begrüßung auf Deutsch geben. Aber erst mal haben die Besucher ausreichend Zeit und Gelegenheit, den großen Saal in Ruhe aufzusuchen und sich vom Personal an den Platz geleiten zu lassen. Die Spielfläche ist in der Mitte des Saals untergebracht und als weiße Fläche gekennzeichnet. Im hinteren linken Eck ist eine große Leinwand entrollt, die überall gut sichtbar ist. Am Kopfende des Saals hat die Technik sich eingerichtet, auf allen vier Seiten sind die Stühle für die Besucher aufgebaut, so dass nahezu jeder Besucher die gleiche Entfernung zur Spielfläche hat. Das wirkt großzügig und elegant und keineswegs so, als seien hier Plätze zusammengestrichen worden.

Foto © Christian Schuller

Nahezu pünktlich betreten die Musikerinnen gemeinsam mit McIntosh die Bühne, auf der bereits unterschiedlichste Schlagwerk-Materialien aufgebaut sind. Einige Vorbereitungen scheinen noch erforderlich, dann kann es mit einer fröhlichen, bewusst sprachverzerrten Begrüßung, auch auf Deutsch, losgehen. Alsbald zieht sich McIntosh von der Bühne zurück und lässt die drei Schlagzeugerinnen Ghyslain Gau, Arantxa Martinez und Anja Müller ihre Arbeit verrichten. Was diesen auch vorzüglich gelingt. Da werden musikalische Bruchstücke in unterschiedlichsten Konstellationen und Anforderungen gespielt. Immer wieder verteilen die Musikerinnen die Instrumente neu auf der Fläche, bringen neben Pauke, Trommel und Becken auf die unterschiedlichsten Akustikstäbe ins Spiel. Dabei schrecken sie auch nicht davor zurück, die Lautstärke bis an den Rand des Erträglichen zu treiben. Immer wieder gelingt es ihnen, die Spannung zwischen den vorgetragenen Texten hochzutrommeln. Die Texte, schließlich gar gesungen, sind schwierig einzuordnen. Sie schwanken zwischen poetischen Ausflügen, oratorienähnlichen Vorträgen und schließlich gar gesungenen Anteilen.

Bis dahin steht der Abend, wenn auch kaum verständlich ist, warum Michele Piazzi die Akteure bei seinem Lichtdesign immer wieder in der Dunkelheit verschwinden lässt, und warum McIntosh sich auf zwei kurze Auftritte beschränkt. Dramaturgisch beeindruckend vorgetragen, macht der Text von Season Butler und Jo Randerson reichlich Bauchschmerzen. Es spricht nichts gegen den Aufbruchgedanken, keine wirkliche Neuigkeit, aber einverstanden. Wenn allerdings hier die Rede von der Aufhebung der Sexualität ist und wir uns von einem Fluss mitreißen lassen und nicht an den Ufern zurückbleiben sollen, um eine neue Welt zu feiern, weil die alte längst untergegangen ist, dann möchte man hier nur sehr begrenzt mitgehen. Zu nah gerät der Text hier an die Gender-Feier, Geschlechter aufzuheben. Da wird die verklausulierte Botschaft zu manipulativ. Das ist keine Kunst, sondern Ideologie.

Und die wollen wir nicht in der Kultur. Weder im Stück noch im Programmheft, das mit Sternchen massen- und zugleich nach Gender-eigener Auffassung noch fehlerhaft gegen geltende Regeln verstößt. Ein Paukenschlag, gewiss, und die Leistung der Künstlerinnen steht außer Frage. Aber auch im Publikum bleiben Fragezeichen im Applaus. Glücklicherweise.

Michael S. Zerban