Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
NOW!-FESTIVAL
(Diverse Komponisten)
Besuche am
29. Oktober und 1. November 2021
(Einmalige Aufführungen)
Nach dem Corona-bedingten Abbruch im letzten Jahr nach nur vier Konzerten startete das Festival für Neue Musik Now! in der Essener Philharmonie mit einem ungewöhnlich spektakulären Projekt seine diesjährige Runde. Selbst Ausschnitte aus Karlheinz Stockhausens monumentalem, siebentägigem Musiktheater Licht verlangen Interpreten und Veranstaltern einen immensen musikalischen und technischen Aufwand ab. Das trifft auch auf zwei Szenen aus dem Samstag zu, Luzifers Traum und Luzifers Tanz, die den Abend füllen. Allein die fast einstündige Tanzszene erfordert einen Apparat von 60 Bläsern und zehn Schlagzeugern. In Essen erklingt das Werk jetzt zum ersten Mal auf deutschem Boden in dieser von Stockhausen ursprünglich vorgesehenen Originalbesetzung.
Und daran arbeiteten über mehrere Wochen 70 Studenten der fünf nordrhein-westfälischen Musikhochschulen von Köln, Essen, Düsseldorf, Detmold und Münster. Die werden in sieben Gruppen mehrstöckig um die Orgel der Philharmonie gruppiert, so dass der rot ausgeleuchtete Umriss eines gespenstischen Gesichts erkennbar wird. Da die Musiker exakten Bewegungsvorgaben des Komponisten folgen müssen, scheinen die einzelnen Gesichtsteile zu leben. So beginnen etwa die Augenbrauen zu tanzen, und die meist separat aufgeführten Ober- und Unterlippentänze der Szene, deren geradezu artistisch virtuose Solo-Passagen der Trompeter Christopher Seggelke und die Flötistin Myriam Ghani souverän bewältigen, machen eigentlich nur in diesem Kontext Sinn.
Denn szenisch beginnt Luzifer allmählich aus einem todesähnlichen Zustand zu erwachen, in den ihn zuvor seine Gegenspielerin Eva versetzt hat. Diesen Traum Luzifers interpretieren zuvor der Pianist Alphonse Cemin und der Bassist Damien Pass mit beeindruckender Intensität und einer Prise Humors der besonderen, Stockhausen eigenen Art.
Man kann nur erahnen, welche Mühe der Dirigent Adrian Heger und die Studierenden aus fünf Städten auf sich genommen haben, um die immens komplexe Textur von Luzifers Tanz zu erfassen, umzusetzen und zu koordinieren. Eine Leistung, die das Publikum in der gut besuchten Essener Philharmonie zu Recht mit Ovationen überschüttet.
Aber es sind nicht nur spektakuläre Projekte und große Orchester, die das Profil des Essener Now!-Festivals für Neue Musik prägen. Immer wieder sorgt die Einbindung junger Komponisten und Interpreten, meist in Verbindung mit der Folkwang-Universität, für manche Überraschung.
Foto © Sven Lorenz
Mit der maßgeblichen Beteiligung von 70 Studenten der fünf Musikhochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen an Karlheinz Stockhausens Szene Luzifers Traum zum Auftakt setzt man Maßstäbe. Etwas bescheidener, aber um nichts weniger innovativ geht es am Wochenende zu, an dem Studenten der Folkwang-Universität im Folkwang-Museum mit einem ebenso bunten wie anspruchsvollen Programm ihre Bereitschaft unter Beweis stellen, sich intensiv und auf hohem Niveau mit zeitgenössischer Musik auseinanderzusetzen. Auch wenn diesmal die Uraufführung des Hauptwerks, Mineral life III für Solo-Flöte von Hector Parra, der Folkwang-Professorin Anne-Cathérine Heinzmann überlassen wird. Ein extrem anspruchsvolles und dankbares Werk auf der Höhe der Zeit, auch wenn der inhaltliche Kontext – Impressionen auf der Basis steinalter Höhlenzeichnungen – nicht so recht deutlich wird und das Verhältnis von Länge und kompositorischer Substanz nicht immer in Einklang stehen. Dass sich in strafferen Dimensionen mindestens so viel ausdrücken lässt, beweisen danach ein studentisch besetztes Streichquartett und die Pianistin Moena Katsufuji mit Centauro marino des Altmeisters Salvatore Sciarrino.
Eine oft missverstandene und unterschätzte Nische nimmt die Musik für Zupfinstrumente ein. Dass auch sie einen Platz in einem avantgardistisch ausgerichteten Festival für Neue Musik verdient, beweist die Arbeit des JugendZupfOrchesters NRW, das sich aus besonders begabten Mandolinen- und Gitarrenspielern im Alter von 16 bis 28 Jahren zusammensetzt und sich unter der Leitung von Eva Caspari intensiv mit zeitgenössischer Musik auseinandersetzt. So stehen gleich vier Uraufführungen auf dem Programm eines Konzerts im voll besetzten RWE-Pavillon der Essener Philharmonie.
Ein Konzert mit vielen Überraschungseffekten, für das Komponisten wie Andreas Tarrodi, Urmas Sisaks, Mike Marshall und andere die Spiel- und Klangmöglichkeiten des etwa 25-köpfigen Orchesters subtil und vielfältig ausreizen. Zupfmusik auf gleicher Augenhöhe mit etablierten Streicher- und Bläser-Formationen, weit entfernt vom Mandolinen-Image der Capri-Fischer.
Pedro Obiera