O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Historische Stadthalle Wuppertal - Foto © Lars Langemeier

Aktuelle Aufführungen

Abgeklärte Reife und jugendliche Aufbruchstimmung

KLAVIER-FESTIVAL RUHR 2021
(Diverse Komponisten)

Besuch am
27. September, 6. und 7. Oktober 2021
(Einmalige Aufführungen)

 

Historische Stadthalle Wuppertal, Haus Fuhr, Essen, Gebläsehalle Landschaftspark Nord, Duisburg

Schön, dass Sie da sind!“ Krystian Zimerman, der eher öffentlichkeitsscheue Feingeist der Pianisten-Elite, lässt es sich nicht nehmen, sich nach seinem Auftritt in der Historischen Stadthalle von Wuppertal an das Publikum zu wenden. Die Zeit der Pandemie habe ihm persönlich stark zugesetzt und nicht zuletzt als Dank an den Intendanten Franz-Xaver Ohnesorg, den er seit 40 Jahren kenne, habe er sein erstes Solo-Konzert nach fast zweijähriger Pause dem Klavier-Festival Ruhr gewidmet. Und das aus vollem Herzen.

Man sieht ihm nach dem anspruchsvollen Programm mit großen Werken von Johannes Brahms und Frédéric Chopin die Anstrengung an. Aber auch nur dann. Wenn er die Tasten berührt, ist von Nervosität oder Erschöpfung nichts zu spüren. So bedankt er sich beim Publikum nach dem Kraftakt für die Standing Ovations noch mit drei komplexen Bach-Stücken.

Krystian Zimermans unvergleichlich delikater Anschlag führt den Hörer in eine reine Wohlfühloase. Er gehört zu den ganz wenigen seiner Zunft, die in allen dynamischen Graden den Ton entmaterialisiert erklingen und dabei vergessen lassen können, dass hier Hämmer auf harten Stahl prallen. Dass er sich mit dieser begnadeten Begabung der Ästhetik Frédéric Chopins besonders eng verbunden fühlt, ist kein Geheimnis. Und so gelingt ihm eine Interpretation der weniger gespielten 2. Sonate in h-Moll op. 58, in der Vitalität, druckvolle Energie und zerbrechliche Sensibilität ohne jede manieristische Eitelkeiten eine ideale Symbiose eingehen.

Beeindruckend, wie diszipliniert Zimerman die Kontrolle über die Tonbildung auch im Finale behält, wenn er ungewohnt starke Töne anschlägt. Attribute, die auch seine Darstellung der 2. Klavier-Sonate op. 2 von Johannes Brahms bestimmen. Eine von jugendlicher Aufbruchsstimmung erfüllte Talentprobe des jungen Brahms, der Zimerman virtuose Brillanz verleiht, ohne den poetischen Charakter zu überspielen. Und dass er in den späten Intermezzi op. 117 mit ihrem abgeklärten schlichten Tonfall demonstriert, wie filigran und zugleich substanzreich ein zarter Klavierton klingen kann, überrascht nicht, stimmt aber glücklich.

Begeisterter Beifall für einen Meister seines Fachs, der der Musikwelt noch viel zu sagen hat. Und der mittlerweile auch gelassen auf Zuhörer reagiert, die während des Konzerts ihre Finger nicht von den Handys lassen können. Das war bei seinem letzten Auftritt vor der Pandemie noch anders.

Klaviermusik auf dem Hammerflügel hat mittlerweile ihr exotisches Außenseiter-Image ablegen können. Die Frage nach den Vorteilen der alten Modelle gegenüber perfekten, hypermodernen Instrumenten à la Steinway & Co. war und ist allerdings nicht unberechtigt. Es gibt nicht allzu viele Pianisten wie Kristian Bezuidenhout, die sich auf die Besonderheiten eines Hammerflügels einlassen und mit ihrem Gespür die Reize der alten Instrumente derart stilsicher herauskitzeln können. Verständlich, dass Franz-Xaver Ohnesorg, Intendant des Klavier-Festivals Ruhr, die beiden Auftritte des in Südafrika geborenen Pianisten in Bottrop und Essen mit besonderem Stolz ankündigte.

Für den Interpreten bedeutet das, dass er sein am modernen Flügel antrainiertes Spiel umstellen und für den Hörer, dass er gewohnte Hörerfahrungen aufgeben muss. Etwa in der berühmten Pathétique von Beethoven, mit der Bezuidenhout seinen Auftritt im Essener Haus Fuhr abschließt. Die Erwartungen an dynamische und klangliche Gewitter, die auf modernen Instrumenten entfacht werden können, müssen heruntergeschraubt werden. Um die spannungsvolle Energie des Werks erfassen zu können, muss sich das Ohr auf feinere Abstimmungen und Kontraste einstellen. Keine schlechte Hörschule in einer Zeit, in der sich etliche Pianisten wie Olympioniken um Rekorde in Sachen Dynamik und Tempo abstrampeln.

Ist der Kopfsatz der Pathétique in Bezuidenhouts hypersensibler Lesart schon ein wenig gewöhnungsbedürftig, kommt der zarte Klang des Hammerflügels in der Kantilene des langsamen Satzes umso glücklicher zur Geltung. Und das betrifft natürlich auch die ausgewählten Werke von Haydn und Mozart, etwa Haydns Sonate in g-Moll oder Mozarts große Sonate in B-Dur. Dass die Bauweise der Instrumente überdrehte Tempi ausbremst, kommt der Klarheit der Strukturen und der inneren Ausgeglichenheit des Vortrags zusätzlich zugute.

Bezuidenhouts Konzert verströmt in keinem Takt jene verstaubt-museale Atmosphäre, die manche Auftritte mit „Originalinstrumenten“ trübt. Das ist allerdings nicht nur dem Interpreten zu verdanken, sondern auch dem Instrument. Dass der anwesende Restaurator Edwin Beunk einem kostbaren Hammerflügel von Michael Rosenberg aus dem Jahr 1800 zu neuem Glanz verhalf, ist ein Glücksfall. Das Instrument tönt zart leuchtend mit einem leichten Silberglanz und verfügt gleichzeitig über jene Substanz, mit der sich eben nicht nur Beethovens charmante Rondos op. 51 überzeugend interpretieren lassen, sondern auch Kraftakte wie die Pathétique.

Begeisterter Beifall im Haus Fuhr, für den sich Bezuidenhout mit dem introvertierten langsamen Satz aus Beethovens Siebter Klaviersonate bedankt.

Krystian Zimerman – Foto © Bartek Barczyk

Kurzfristige Absagen sind unerwünscht, lassen sich aber nicht vermeiden, wenn etwa die Pianistin Alexandra Dovgan im fernen Moskau das Krankenbett hüten muss, anstatt in der Gebläsehalle des Duisburger Landschaftsparks das Klavier-Festival bereichern zu können. Es entspricht durchaus der Besetzungspolitik von Ohnesorg, spontan und unbürokratisch ganz jungen Talenten eine Plattform zu bieten. Die Gelegenheit ergibt sich am letzten Wochenende, als Giorgio Lazzari in Düsseldorf den Robert-Schumann-Wettbewerb und zusätzlich den Sonderpreis für die beste Interpretation eines Schumann-Werks erhielt.

Lazzari übernimmt für sein unerwartetes Debüt beim Klavier-Festival das anspruchsvolle Programm der erkrankten Künstlerin nahezu unverändert und besteht die Kraft- und Talentprobe trotz der kurzen Vorlaufzeit mit Bravour.

Ein Programm, das eine enorme stilistische Flexibilität erfordert und mit dem sich Lazzari als großes Talent mit hoffnungsvollem Entwicklungspotenzial präsentiert. Leicht wird es ihm nicht gemacht, selbst nicht mit der 3. Sonate des ihm innerlich so nahestehenden Robert Schumann. Denn gerade dieses „Concert sans orchestre“ erfreut sich weder bei den Pianisten noch beim Publikum großer Beliebtheit. In einer Zeit innerer Unruhe entstanden, wirkt der erste Satz wie ein formal diffuser Gewaltritt und dem rastlosen Laufwerk im Finale vermag auch Lazzari kein erkennbares melodisches Profil zu verleihen.

Angesichts der bunten Programmmischung mit kleineren Stücken von Franz Schubert, György Kurtág, Ludwig van Beethoven und Alexander Skrjabin wäre es vermessen, von dem jungen Einspringer eine ausgefeilte Interpretation jeder Miniatur zu erwarten. Erfreuen kann man sich jedoch an seiner noblen Tongebung und sensiblen Anschlagskultur ohne jeden Ansatz banaler Kraftmeierei.

Davon profitiert übrigens gleich zum Auftakt Schuberts weiträumiges Impromptu in f-Moll op. 142/1, bei dem er sich für die lyrischen Passagen durchaus noch ein wenig mehr Zeit lassen könnte, um die melodischen Konturen noch ausdrucksstärker zum Klingen bringen zu können. Die stilistischen Purzelbäume der sechs Bagatellen op. 126 von Beethoven bewältigt Lazzari mit erfreulich rascher Auffassungsgabe, auch wenn die Kontraste der Stücke noch pointierter herausgestellt werden könnten.

Lazzaris ausgeprägter Klangsinn offenbart sich besonders fruchtbar in den Fünf Préludes op. 74 von Alexander Skrjabin. Mini-Miniaturen mit raffinierten Klangschattierungen, die einen sensiblen Meister am Klavier erfordern. Und in dieser Eigenschaft wird er vom Publikum mit verdientem Beifall überschüttet.

Pedro Obiera