O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Sven Lorenz

Aktuelle Aufführungen

Auf höchstem Niveau

KLAVIER-FESTIVAL RUHR
(Ludwig van Beethoven)

Besuch am
17. und 18. September 2020
(Einmalige Aufführungen)

 

Haus Fuhr, Essen

Alle 32 Klaviersonaten Ludwig van Beethovens auf Hammerflügeln des frühen 19. Jahrhunderts zyklisch zu präsentieren: Dieses ehrgeizige Ziel muss in Corona-Zeiten vorerst ein Wunschtraum bleiben. Ganz leer gehen die Fans des Klavier-Festivals Ruhr dennoch nicht aus. Für zwei Abende kann Intendant Franz-Xaver Ohnesorg mit dem Pianisten Ronald Brautigam einen Musiker gewinnen, der wie nur wenige andere mit den Besonderheiten von Hammerflügeln vertraut ist. Vor allem seine CD-Einspielungen der Beethoven-Sonaten auf solchen Klavieren genießen bei Kennern und Liebhabern Kult-Status.

Für den ersten Abend im Essener Haus Fuhr steht Brautigam ein prachtvolles Instrument von Conrad Graf aus Beethovens vorletztem Lebensjahr 1826 zur Verfügung. Ein klanglich voluminöses, gleichwohl in den höchsten Tönen und stärksten Forte-Graden samten klingendes Instrument mit leichtgängiger Anschlagsmechanik, mit dem sich auch heikle spieltechnische Anforderungen der anspruchsvollen Werke meistern lassen und das auch Skeptiker von den Chancen historischer Tasteninstrumente überzeugen dürfte. Als Ergänzung zu den üblichen Interpretationen auf durchweg metallischer und brillanter tönenden modernen Flügeln sind historische Instrumente dieser herausragenden Qualität als absolut gleichwertige Partner zu respektieren.

Foto © Peter Wieler

Mit der kleinen Sonate op. 54, der bekannten Les Adieux-Sonate op. 81 und den gewaltigen letzten beiden Werken des Zyklus op. 110 und op. 111 fordert Brautigam sich, dem Instrument und dem Publikum ein Menge ab. Mit seiner großen Erfahrung vermag er die Vorteile des Instruments in vollen Zügen auszuspielen. Die unterschiedlichen Stimmungslagen der vier Werke arbeitet er mit höchster Konzentration, souveräner formaler Übersicht und spieltechnischer Perfektion aus. Das führt vor allem in den komplexen Sätzen der letzten Sonaten, dem collagenhaft zersplitterten Adagio der 31. Sonate op. 110 und dem vielgestaltigen Variationssatz der letzten Sonate op. 111 zu beeindruckenden Hörerlebnissen. Ein rundum überzeugender Vortrag mit ausgeglichener Balance zwischen energievollem Zugriff und angemessener Ausdruckstiefe.

Das Publikum reagiert mit langanhaltendem Beifall. Auf eine Zugabe wartete es vergebens. Nach der c-Moll-Sonate wäre Für Elise auch denkbar unangebracht.

Anne Sophie Mutters Stradivari ist zwar noch älter als der Graf-Flügel, die Star-Geigerin pflegt aber einen lupenrein glatten Ton, der mitunter unterkühlt und modischer wirkt als der Brautigams. Ohnesorgs Absicht, alle Violin-Sonaten Beethovens in diesem Jahr zu präsentieren, lässt sich leider genau so wenig verwirklichen wie eine zyklische Aufführung der Klavier-Sonaten. Aber der Auftritt Mutters lindert den Verlust doch beträchtlich, auch wenn ihr Spiel so perfekt ausgefeilt ist, dass es vor lauter überlegener Souveränität die nötige Prise Emphase vermissen lässt, die etwa Frank Peter Zimmermanns Beethoven-Vortrag ausmacht, der mit Martin Helmchen in den letzten Jahren mit dem Zyklus durch die Welt tourte.

Anne-Sophie Mutters Noblesse wird auch nicht dadurch getrübt, dass sie auf ihren langjährigen Klavier-Partner Lambert Orkis verzichten muss, der Corona-bedingt in den USA festsitzt. Ein Sonderlob verdient hier Lauma Skride, die ihre anspruchsvollen Aufgaben nicht nur bewältigt, sondern in einen gleichwertigen Dialog mit der Star-Geigerin einsteigen und markante eigene Akzente setzen kann. Das wird vor allem in Mozarts melancholisch getrübter Sonate in e-Moll KV 304 und Beethovens Frühlings-Sonate deutlich, während in der wesentlich virtuoseren Kreutzer-Sonate die fulminant aufspielende Geigerin die Blicke auf sich zieht.

Beide Musikerinnen zeigen nach dem anspruchsvollen Auftritt keinerlei Ermüdungserscheinungen und erfreuen das Publikum mit zwei Zugaben, darunter auch ein Stück des Film-Komponisten John Williams, mit dem Anne-Sophie Mutter seit einiger Zeit intensiv zusammenarbeitet.

Pedro Obiera