O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Alvise Predieri

Aktuelle Aufführungen

Opulenz ist zu wenig

LA FORZA DEL DESTINO
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
9. November 2024
(Premiere)

 

Aalto-Theater, Essen

Als zweite Premiere der Spielzeit 2024/25 bringt das Aalto-Theater in Essen Verdis Oper La forza del destino auf die Bühne. Zugegeben nicht das einfachste Werk aus dem frühen Repertoire des großen Meisters, das 1869 in der heutigen Fassung in Mailand uraufgeführt wurde. Ein Drama in den Zeiten des Krieges mit einhergehender Entmenschlichung der beteiligten Akteure.

Die populäre Ouvertüre mit dem Schicksalsmotiv zieht sich fast leitmotivisch durch die gesamte Oper, und mit ihr startet die aktuelle Inszenierung von Sláva Daubnerová auch gleich mit der opulenten Bebilderung. In einem großangelegten dreieckigen Vorbühnenraum, der mit drei gewaltigen vertikalen Leuchtern im Stile des Art Deco bestückt ist, zeigen sich Personen statuarisch in chiffrierter Pose. Symbolisch manifestieren sich schnell wechselnde Projektionen auf einem davorstehenden, transparenten Gazevorhang.

Im Fokus der Inszenierung steht eindeutig Leonora, die immer wieder leibhaftig oder als Projektion auf die Bühne zurückkehrt, auch in Szenen, in denen das Libretto sie eigentlich nicht sieht.

Das Geschehen des ersten Aktes verbleibt im dunklen Vorbühnenraum, in dem Donna Leonora und ihr Geliebter Don Alvaro ihre gemeinsame Flucht aus dem Haus des Marchese di Calatrava antreten wollen und von genau dem überrascht werden. In der sich entfesselnden Konfrontation löst sich ein Schuss, der zu seinem Tode führt, in dessen Verlauf er seine Tochter verflucht.

Mit Beginn des zweiten Aktes öffnen sich die beiden hinteren Flügel des Dreiecks und geben den Blick frei auf die Gesamtbühne, in deren Mittelpunkt eine kolossale Replik der im russischen Wolgograd beheimateten Statue Mutter Heimat ruft steht, die als Mahnmal der Schlacht von Stalingrad 1967 fertiggestellt wurde. Die Originalskulptur mit einer Höhe von 85 Metern ist eine der größten Skulpturen der Welt. Die Kopie auf der Aalto-Bühne ist nicht gar so groß, dennoch scheint sie die Dimensionen des Möglichen im Theater fast zu sprengen. Der Gesamteindruck der halbeingerüsteten Skulptur ist außerordentlich und verheißt einen spektakulären Opernabend, der sich aber letztlich nicht einstellen will.

Die Ästhetik des Bühnenbildes von Volker Hintermeier im zweiten Bild des zweiten Akts ist von hochaufragenden, portablen Elementen mit horizontalen Leuchtstoffröhren geprägt, die eine optische Schwarzweiß-Reduktion und ein leichtes Augenflimmern beim Publikum zur Folge haben. Dazu erschweren die starken Spots aus dem Bühnenhintergrund immer wieder die Rezeption der Projektionen. Im Gegensatz zur opulenten Bebilderung der vorhergehenden Szene mit reichlich Personal, fällt die Klosterszenerie zu Beginn recht minimalistisch aus, wird aber später mit viel Statisterie intensiv bespielt.

Die bis dahin vertretbaren Brüche in der szenischen Darstellung werden im letzten Akt allerdings auf die Spitze getrieben, indem ein respektabler Pappfelsen vor die Leuchtstoffröhren geschoben wird, um das „Tal zwischen unzugänglichen Felsen“ als Ort des finalen Geschehens zu symbolisieren.

Nur eine von zahlreichen Ungereimtheiten und Unstimmigkeiten, die den Handlungsverlauf auf der Aalto-Bühne über den Abend hinweg so unglaubwürdig erscheinen lässt. Fragen der Logik, wer wann mit welcher Waffe wen zu Boden streckt, sollen hier einmal außen vor bleiben.  Insgesamt eine gigantische Materialschlacht mit dem berechtigten Bemühen, die allgegenwärtigen Fragen zur Rolle des Menschen im Krieg mit sich selbst und der Gesellschaft zu thematisieren und in starke Bilder zu packen. Die starken Bilder sollen in Essen durch die Projektionen von Andreas Deinert nochmals unterstrichen werden, und es folgt eine schier ungefilterte Bilderflut, ein wahres Füllhorn an Zitaten, die sich aber zu verselbstständigen scheinen und allzu beliebig werden. Zitate von marschierenden Soldaten und stürzenden Standbildern werden in kaleidoskopischer Abfolge verarbeitet, verkleinert, vervielfältigt und vernachlässigt. Sie lösen sich auf im Nichts. Was bleibt, ist eine Idee von der künstlerischen Intention, die aber im hektischen Gezappel des Lichtspiels verloren geht.

Die Personenführung bleibt in der Produktion weit hinter ihren Möglichkeiten. Insgesamt erscheint das Agieren auf der Bühne bei fast allen Beteiligten recht unpräzise und hölzern. Das beginnt bei der Bebilderung der Ouvertüre, in der Leonora eine andere weibliche Person, vielleicht ihr Alter Ego oder ihr Spiegelbild erschießt, und setzt sich fort in den Massenszenen des Chores, insbesondere in den orgiastischen Szenen des dritten Aktes, die dabei ein Übermaß unfreiwilliger Komik zeigen.

Auch diese Neuinszenierung in der zweiten Spielzeit der neuen Intendanz bleibt szenisch weit hinter den Erwartungen zurück. Eingedenk der vorherigen Produktionen verfestigt sich der Eindruck, schlüssige und dramaturgisch packende Vorlagen eigentümlich blutleer und in Teilen dekonstruiert auf die Bühne zu bringen.

Die Opernbühne darf kein Museum sein, das hat die Intendantin zu Beginn ihrer ersten Spielzeit zu Recht verkündet, aber das Aalto-Theater war noch nie ein Museum und hat in den vergangenen drei Jahrzehnten den Opernbetrieb mit großem Erfolg neu gedacht und nachhaltig belebt.

Schade, dass es aktuell nicht zu gelingen scheint, Regiekonzepte stimmig und überzeugend zu realisieren.

Ganz anders die musikalische Seite des Abends, die nahtlos an frühere Glanzzeiten anzuknüpfen vermag. Im Mittelpunkt steht das Ensemblemitglied Astrik Khanamiryan, die sich in der Rolle der Leonora beweisen kann. Sie bedient das gesamte Register der breitangelegten Sopranrolle mit strahlender Höhe stimmlich eindrucksvoll; beim Schauspielerischen ist noch ein wenig Platz nach oben.

Ihr Pendant Don Alvaro wird von Jorge Puerta überragend interpretiert. Mühelos erreicht er die Höhen seiner Partie und verfügt über ein wunderbares, wohliges Timbre, sodass sich zuweilen wahre Italianità einstellt.

Massimo Cavaletti gibt den rachsüchtigen Bruder der Leonora mit intensivem Spiel, starker Bühnenpräsenz und einem besonders in der Mittellage voluminösen Bariton. In der Höhe wirkt seine Stimme vereinzelt ein wenig brüchig. Insgesamt ist er aber integraler Bestandteil der überzeugenden Ensembleleistung.

Zum hervorragenden Ensemble zählen im weiteren Bettina Ranch als kriegslüsterne Preziosilla mit warmem Mezzosopran zwischen Sinnlichkeit und kraftvoller Intensität. Sie versteht, immer wieder neu zu gefallen und vermag alle Register anspruchsvoller Rollen ihres Fachs ausdrucksstark zu bedienen. Am Aalto ist sie in dieser Spielzeit unter anderem noch als Amneris und Kundry zu erleben. Im gewagten, von Cedric Mpaka designten Barbarella-Outfit auf hohen Plateauschuhen gerät ihr Agieren allerdings ein wenig eigentümlich.

Roberto Scandiuzzi zeigt sich als Padre Guardiano mit sonorem Bass äußerst kraftvoll und wohlklingend und überzeugt mit seiner Bühnenpräsenz.

Der stimmgewaltige Andrei Nicoara als Marchese, Karel Martin Ludvik als überzeugender Fra Melitone, Hyeong Joon Ha als Alcalde und Alejandro del Angel als Mastro Trabuco runden das großartige Ensemble ab.

Der eigentlich gewohnt spielfreudige Chor vermag am Premierenabend vor allem seinen perfekten Klang unter Beweis zu stellen, was am Ende vom Publikum mit langanhaltendem Applaus belohnt wird.

Unter der musikalischen Leitung des Generalmusikdirektors Andrea Sanguineti vermögen die Essener Philharmoniker aufzutrumpfen. Mit sehr viel Gefühl und intensiver Leidenschaft führt Sanguineti den brillant aufspielenden Klangkörper durch die Partitur. Ein wahrhaftiger Genuss, diese Musik aus dem Orchestergraben hören und spüren zu können.

Großer Jubel im nicht ganz ausverkauften Haus für den Dirigenten, das Orchester und alle beteiligten Sänger. Großes Unverständnis und gnadenlose Buhs für das Regieteam.

Bernd Lausberg