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BENEFIZ-GALA ZUM GEDENKEN AN FRANZ XAVER OHNESORG
(Diverse Komponisten)
Besuch am
25. November 2023
(Einmalige Aufführung)
Zuerst lautete die Überschrift der dritten Benefiz-Gala „Danke, verehrtes Publikum!“. Damit wollte sich Franz Xaver Ohnesorg für seine Treue, das unter anderem oft für ausverkaufte Konzertsäle sorgte, bedanken. Die ersten beiden Veranstaltungen konnte er noch genießen, auf denen berühmte Künstler der Klassik- und Jazzszene musikalisch ihm für seine 28-jährige Tätigkeit als Intendant des Klavier-Festivals Ruhr – kurz: KFR – ihren Respekt und ihre Hochachtung zollten. Monatelang soll er an der Vorbereitung des letzten Konzerts gearbeitet haben. Doch das Ergebnis konnte er nicht mehr miterleben. Denn ganz plötzlich und für jeden völlig unerwartet, starb er am Abend des 14. Novembers. Nach wie vor sitzt der Schock tief. Diesem traurigen Anlass angemessen wurde der Titel des Abends geändert in „Benefiz-Gala zum Gedenken an Franz Xaver Ohnesorg“.
Schlicht ist das Gedenkkonzert gehalten. Einsam steht der Konzertflügel auf der Bühne der Philharmonie Essen. Es fehlt das übliche Logo des KFR genauso wie ein Foto Ohnesorgs. Es liegen nur Kondolenzbücher aus. Hans-Peter Keitel, Vorsitzender des Kuratoriums der Stiftung Klavier-Festival Ruhr, findet eingangs kurze, sehr teilnahmsvolle Worte und lässt statt einer Trauerrede nach seinem Abschiedsgruß „Pfiati Franz, Gott befohlen“ an den in Bayern geborenen Kulturmanager die Musik für sich selber sprechen.. Auch die designierte Intendantin Katrin Zagrosek erspart sich ausschweifende Moderationen. Sie betont etwa, dass ihn mit sehr vielen Musikern eine langjährige intensive Freundschaft verband. Das bestätigt sich angesichts der zahlreichen prominenten Künstler, die in Anwesenheit seiner Frau, seiner beiden Kinder und Stiefeltern im Verlauf des rund vierstündigen Abends musikalisch ihr Beileid bekunden.
Zwei Werke für Klavier solo werden präsentiert. Pianist Joseph Moog ist gekommen und hat Frans Liszts Sonetto 123 del Petrarca aus dem zweiten Band der Années de pèlerinage mit im Gepäck. Gebührend innig-empfindsam gestaltet er es außerordentlich ergreifend. Mit einem ähnlich empfindsamen Habitus spielt Lang Lang Klavier. Ob aber diese Haltung zu Auszügen aus Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen passt, ist sehr fraglich. Die langsamen Abschnitte inklusive der Aria kommen mit einer derart warmen Tongebung und solchen Tempoveränderungen – also Agogik – daher, als hätte der Komponist zur Zeit der Romantik gelebt. Und die schnellen Variationen gestaltet er fehlerfrei mit einer derart wieselflinken Geschwindigkeit, als seien sie Etüden, anhand derer die Fingerfertigkeit trainiert wird. Eine barocke Ausdrucksweise oder eine Ausarbeitung polyphoner Strukturen wie Linienführung werden vermisst.
Franz Xaver Ohnesorg – Foto © Mark Wohlrab
Auch Kompositionen für Klavier zu vier Händen werden nicht außer Acht gelassen. Dem Anlass entsprechend präsentiert das Duo Yaara Tal und Andreas Groethuysen Schuberts berühmte Fantasie in f-Moll, D 940, das von tiefer Resignation durchzogen ist und von Beginn an tiefe Trauer zum Inhalt hat. Abgesehen von wenigen kleinen Patzern gestaltet es überzeugend dank einer adäquat verhaltenen Tongebung den großen Schmerz und die Wehmut leicht nachvollziehbar. Glänzend ist der Auftritt von Martha Argerich und Sergio Tiempo. Bei Ma Mère l’Oye tauchen sie mustergültig tief ein in die impressionistischen Klangwelten Maurice Ravels. Außerdem fasziniert Argerich im Duo mit dem exzellenten Geiger Renaud Capuçon. Beide lassen bei Robert Schumann erster Violinsonate in a-Moll, op. 105 hinsichtlich intensiv-dichten Zusammenspiels und nuancierter Ausgewogenheit keine Wünsche offen.
Ohnesorg mochte, wie er oft betonte, das Oeuvre Franz Schuberts ganz besonders. Dem wird mittels vier Liedern Rechnung getragen. Der Lindenbaum und Nacht und Träume rühren an. Von Lorenzo Soulès mitatmend begleitet, zeichnet Christoph Prégardien deren Textinhalte mit seiner äußerst variablen Tenorstimme eindringlich nach. Auch Bariton Michael Nagy und Pianistin Susanna Klovsky bringen den emotionalen Gehalt der Lieder Das Fischermädchen und An die Musik fein ausgelotet packend zur Geltung.
Des Weiteren kommt die Kammermusik nicht zu kurz. Anne-Sophie Mutter fördert mit ihrer gleichnamigen Stiftung, in deren Vorstand Ohnesorg war, hochbegabte Streichersolisten. So sind zwei von ihnen, Bratschistin Muriel Razavi und Cellistin Sakura Toba, mit dabei. Sie, Mutter als Primgeigerin und Michael Barenboim an der zweiten Geige spielen Wolfgang Amadeus Mozarts Streichquartett in D-Dur, KV 155 mit großer Akkuratesse und begeistern mit einem schönen melodischen Fluss im Allegro, charmanter Kantabilität im Andante und tänzerischer Leichtigkeit im Rondo. Anschließend sitzt Michael Barenboim bei Schumanns Klavierquintett in Es-Dur, op. 44 am ersten Geigenpult. Sein Vater Daniel rief bekanntlich das West-Eastern Divan Orchestra in Leben, wofür sich Ohnesorg stark machte. Der Name ist Programm, spielen doch in diesem Klangkörper unter anderem Musiker aus Israel und Palästina einträchtig miteinander. Angesichts der aktuellen schrecklichen Geschehnisse im Nahen Osten nehmen neben Michael Barenboim Geiger Hisham Khoury, Bratschistin Sindy Mohamed, Cellistin Astrig Siranossian und Pianist Itai Navon Platz, deren Wurzeln dort liegen. Damit demonstrieren sie eindrucksvoll, dass Musik Völker und Religionen ohne Berührungsängste miteinander verbindet. Folglich brillieren die fünf Musiker bei Schumanns Opus mit blindem Verständnis füreinander und gestalten die vier Sätze mit großen musikalischen Bögen sehr differenziert. Und Zagrosek betont, dass das KFR dem West-Eastern Divan Orchestra aus dem Erlös der drei Benefiz-Galas eine fünfstellige Summe zukommen lassen will.
Zu Recht werden sämtliche Auftritte mit ausgiebigem Beifall honoriert. Lang anhaltende, stehende Ovationen sind schließlich der Dank an alle Musiker für einen musikalisch hochkarätigen Abend, an dem Ohnesorg wohl große Freude gehabt hätte.
Vielleicht kommt einmal ein Musikhistoriker auf die Idee, in Archiven zu stöbern, um herauszufinden, ob es ein Galakonzert zu Ehren einer verstorbenen Person mit solch einer großen Schar an weltberühmten Musikern schon einmal gegeben hat. Jedenfalls liegt die Vermutung nahe, dass es so bald eine weitere Veranstaltung dieser Größenordnung nicht geben wird.
Hartmut Sassenhausen