O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Lutz Edelhoff

Aktuelle Aufführungen

Monumentalität und historisches Flair

FAUSTS VERDAMMNIS
(Hector Berlioz)

Besuch am
7. Juli 2023
(Premiere)

 

Domstufenfestspiele, Erfurt

Es ist schon eine ganz besondere Atmosphäre, die in Erfurt bei Aufführungen auf den Domstufen herrscht. Der riesige Dom im Hintergrund, dazu eine immense Spielfläche auf den Treppen hinauf geben einem Regisseur genügend Möglichkeiten, in historischem Ambiente Abwechslungsreiches zu vollbringen.

Als die letzten Sonnenstrahlen das Kupferdach des Domes erhellen, füllen sich die Reihen der ausverkauften Tribüne. Das Theater Erfurt hat sich in diesem Jahr Fausts Verdammnis von Hector Berlioz unter dem Regisseur Ben Baur vorgenommen. Der zeichnet auch für das Bühnenbild verantwortlich, bei welchem er im Stile des Domes einige Versatzstücke ergänzte und vor den Domstufen, auf denen der Chor imposant agiert, eine Vorbühne schuf. Ein Brunnen, Grabsteine, Bögen, eine Madonnenstatue und eine Engelsstatue mit Kreuz im gotischen Stil fügen sich nahtlos in das historische Ambiente ein.

Aber zunächst zum Werk: Gérard Nerval, selbst Schriftsteller in der Zeit der französischen Romantik, publiziert 1828 Goethes Faust in Französisch. So lernt ihn Berlioz kennen, plant den Stoff zunächst als „dramatische Legende“ nur für eine konzertante Aufführung, da er den Stoff als zu anspruchsvoll für die damalige Bühnentechnik erachtet. Das Werk erlebt bei der Premiere einen Misserfolg und wird auch bis heute nur selten aufgeführt.

Foto © Lutz Edelhoff

Berlioz geht mit Goethes Faust recht frei um, fühlt sich aber dem Geist des Werkes, der Sinnsuche des Menschen, verpflichtet und agiert gemeinsam mit seiner Co-Autorin Almire Gandonnière im Libretto frei nach den Worten des Theaterdirektors in Goethes Faust:

So schreitet in dem engen Bretterhaus
Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,
Und wandelt, mit bedächtger Schnelle,
Vom Himmel, durch die Welt, zur Hölle.

In Erfurt schminken sich Mephistophélès und die ihm treu Ergebenen zur Ouvertüre auf der Bühne, und das Abbild des Teufels beweist schon hier eindeutig durch Gesten seine Macht. Er wird dabei hofiert durch ein Tänzerensemble, das mit seinen Aktionen die Aussage der Szenen trefflich vertieft, choreografiert von Rachele Pedrocchi.

Faust gibt seine erste, schwermütige Arie an einem offenen Grab und zeigt sich hier schon als eine Marionette Mephistos. Derweil eilen fröhliche Bauern und Dorfbewohner mit Maibäumen herbei und besingen den Frühling. Bei der Osterszene schreitet der Chor in einer Prozession die gewaltige Treppe herunter, mit Osterlamm und zwei Riesenskeletten optisch eindrucksvoll. Hier hakt noch manchmal das schwierige Zusammenspiel zwischen dem im Erfurter Theatersaal sitzenden Orchester und dem Geschehen auf der Bühne, pendelt sich aber dann ein.

Bei Auerbachs Keller schöpft Kostümbildnerin Ute Meenen aus dem Vollen, mit Tiermasken und übergroßen offen hängenden Genitalien, einem nackten, fetten, geschlechtslosen Pfaffen, Simon Stricker als Zechbruder im gepolsterten Ganzkörperkostüm. Hier ist große Bewegung auf der Bühne, wie überhaupt im ganzen Stück immer wieder. Mephisto singt das Lied vom Floh, und Faust wird schnell des Treibens überdrüssig. Er schläft ein, und im Traum erscheint ihm Marguerite, hier die grazile Luftakrobatin Corina Shopaval, die als einzige nach ihrer Darbietung Szenenapplaus erhält.

Marguerite kommt mit einem Fahrrad auf die Bühne und bringt Blumen zu den Gräbern im Vordergrund, im rosa Kleidchen mit blonden Locken und lila Schleife im Haar. Faust und Marguerite begegnen sich zum ersten Mal und verlieben sich natürlich sofort ineinander. Mephisto verzaubert die Szene durch Geister und Irrlichter, alle mit blonden Perücken und Haarschleifen wie Marguerite kostümiert, was an Goethes Zitat aus dem Faust erinnert: „Siehst du mit diesem Trank im Leibe bald Helenen in jedem Weibe“.

Marguerite eröffnet den zweiten Teil des Abends, belauscht von Faust, mit dem Lied vom König in Thule, das sie Kindern vorsingt. Es folgt das große Liebesduett unter einem Engel mit Kreuz. Hundegebell aus der Stadt und die Lichter in den Wohnungen außenherum lassen das Geschehen immer wieder als sehr authentisch erscheinen. Umso unheimlicher wirkt später die Szene, als der Chor eine übergroße Puppe zerreißt, Symbol für die durch Marguerite getötete Mutter. Kleine Puppenkinder regnen auf die Bühne und Marguerite steht vor dem Scherbenhaufen ihrer Familie. Goethes „Gretchen am Spinnrade“, vertont durch Berlioz, erklingt zum Sternenhimmel.

Foto © Lutz Edelhoff

Faust bietet Mephisto seine Seele an, um Marguerite zu retten, imposant von der Balustrade hoch oben am Dom singend, von Nebeln umwabert und vor drohenden Schattenkreuzen.  Mephisto akzeptiert, und beide werden von der Hölle verschlungen. Ein großartiges Szenario, bei dem der Dom durch Videos in Flammen steht und auch auf der großen Bühne Feuer und Nebel für eindrucksvolle Effekte sorgen. Mit großen Masken auf Stäben schreitet der Chor in einer Prozession daher und begräbt Faust in seinem selbstgeschaufelten Grab unter einem großen Leintuch. Marguerites Seele steigt zum Himmel, der Chor singt ein wunderbar beseeltes Hosianna und Mephistophélès pflückt den Apfel des Paradieses vom Baum auf Fausts Grab. Das Ewig-Weibliche zieht immer noch hinan.

Julie Robard-Gendre singt mit warmem Mezzosopran und gibt der Marguerite mit ihrer dunklen Farbe teils dramatische Elemente. Christophe Berrys Tenor zeigt Tiefe und hat in den lyrischen Passagen eindeutig seine Höhepunkte. Als Mephistophélès verführt Bariton Jean-Luc Ballestra mit Kraft und Bösem in der Stimme und ist auch als Schauspieler überzeugend. Simon Stricker als Brandner verströmt einen wohligen Bassbariton und gerät trotz seiner etwas kleineren Rolle zum Publikumsliebling.

Regisseur Baur hat seine Fassung der Oper überzeugend in die Umgebung des Domareals eingepasst. Mit der zunehmenden Dunkelheit bringt er gemeinsam mit dem Lichttechniker Thomas Spangenberg gespenstische Szenen plastisch auf die Domstufen. Besonders die Führung des Chors begeistert und unterstreicht das an Chorszenen reiche Werk.

Die von Markus Baisch einstudierten Chorsänger, der Opernchor Erfurt mit Mitgliedern des Philharmonischen Chores der Stadt tragen gemeinsam mit Statisterie und Kinderstatisterie einen wichtigen Teil zum Gelingen der Aufführung bei und überzeugen nicht nur bei den imposanten, mächtigen Chorstücken, sondern auch immer wieder im Piano, besonders schön im Engelschor am Schluss, sauber intoniert. Das Philharmonische Orchester Erfurt spielt unter der sehr präzisen Leitung von Yannis Poupourikas sehr durchsichtig und klangschön, besonders die Blechbläser schaffen einen nachhaltigen Eindruck.

Die Zuschauer der Premiere spenden stürmischen Applaus und verabschieden das gesamte Ensemble und Team mit Fußgetrampel. Ein lohnenswertes Ereignis, das auch durch die fantastische Stadtkulisse einen besonderen Eindruck hinterlässt.

Jutta Schwegler