Kulturmagazin mit Charakter
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DER LEUCHTTURM/DIDO UND AENEAS
(Peter Maxwell Davies, Henry Purcell)
Besuch am
7. Februar 2025
(Premiere)
Treffen wir einen alten Freund, den wir aus den Augen verloren haben, ist das immer ein erhebender, wenngleich auch kritischer Moment. Gleich sind da die Fragen: Wann war das, dass wir uns zuletzt gesehen haben? Wie ist es dir ergangen? Und: Lass mich dich anschauen – hast du dich verändert? – Nicht anders ist das jetzt, da das Premierenpublikum im Theater Duisburg seine Plätze sucht und anfängt nachzuschlagen: die einen im Programmheft, die anderen in ihren Erinnerungen. Vor ihm ein langer, hinterher wird sich herausstellen, ausgesprochen kurzweiliger Theaterabend, für den die Deutsche Oper am Rhein die Wiederbegegnung mit gleich zwei alten Bekannten arrangiert hat. Vor der Pause Der Leuchtturm, die Welterfolg-Kammeroper von Peter Maxwell Davies, eines wunderbaren Komponisten, der seinen Blick auf die Menschen an Shakespeare, Poe und Christie, seine Musiksprache am Serialismus geschärft hat, ohne den Liedton seiner englischen Heimat aus den Ohren zu verlieren, um darin freilich das Abgründige, Verzerrte, Gewalttätige offenzulegen.
Da sind die drei Leuchtturmwärter Blazes, Sandy, Arthur. Als das Versorgungsschiff kommt, sind sie verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Was ist passiert? – Anders als beim richtigen Krimi, bleibt die Frage letzten Endes unbeantwortet. Blazes, Sandy, Arthur sehen böse Mächte im Spiel, „Gespenster“. Letzterer glaubt an ein „Biest“. Mit anderen Worten: Die drei Herren im Leuchtturm, inmitten einer tosenden See, sind Opfer ihrer Obsessionen geworden. Dem Ensemblesatz, den Davies dafür geschrieben hat, hört man das an. Lyrisch-erzählende Gesangslinien der Leuchtturmbesatzung prallen auf einen zerklüfteten, irrlichternden Orchesterton. Ein Nebeneinander, in dem wir der madness begegnen, die Davies, vielleicht wie kein zweiter Gegenwartskomponist, hat Klang werden lassen. „Schrei der Bestie“ nennt er den zweiten Teil der Oper, für die er auch als sein eigener Librettist tätig war. Eine Begabung kommt selten allein.
Foto © Anne Orthen
Davies startet im Alltäglichen – und kehrt es um, lässt uns die Graswurzeln sehen. Was in diesem Fall heißt: Erst spielt die Turmbesatzung Karten, Cribbage, dann beschließt man, sich Lieder vorzusingen. Zeitvertreib einer Alt-Herrenrunde. Zu Banjo-Violin-Klängen hören wir Bariton Roman Hoza alias Blazes. Einst hat der, so kommt heraus, einen Mord begangen, wofür dann die Eltern hingerichtet wurden. Wir hören ein verstimmtes Klavier mit Violoncello und dazu den Tenor Adrian Dwyer, der Sandy als einen Vergewaltiger bloßstellt. Schließlich Sami Luttinen. Mit geerdeter Bassstimme bringt er Arthur dazu, seine bigotten Gewaltfantasien auszuplaudern. Klarinette, Blechbläser sekundieren. Schriller geht‘s jetzt nimmer, wenn Arthur „Strafe für die Kinder Israels“ fordert. Sie haben das Goldene Kalb angebetet! – Womit Regisseur Haithan Assem Tantawy das Historisierende seiner Inszenierung umschlagen lassen kann ins Groteske. Ausstatter Matthias Kronfuß schickt geflügelte, stelzende Schnabelwesen auf die Bühne, woraufhin der Leuchtturm mit seiner aus dem Schnürboden abgesenkten Haube jetzt dasteht wie eine abgestreifte Schlangenhaut. Die Mannschaft verlässt die Szenerie. Und zu guter Letzt schauen die Besucher im Videostill von Manuela Hartel den drei famosen Darsteller-Sängern ins Betroffenheits-Gesicht, womit Hartel die kinoartige Eröffnungseinstellung aufgreift, eine verwackelte Fotografie von drei bärtigen Seeleuten am Abendbrottisch. Realität trifft Irrealität. Beides aufgehoben in Kunst, namentlich in der Kunst eines beseelten, engagierten Musizierens, dem der junge Gastdirigent Killian Farrell sein Feuer einhaucht. Es geht in die Pause.
Zurück in der Gegenwart. Was Tantawy sein historisierender Ansatz war, das ist Julia Langeder ihr aktualisierender. Von ihrer Bühnenbildnerin Natalie Krautkrämer hat sie sich verschiebbare Boxen bauen lassen, Wohnräume. Rechts ein Jungenzimmer, sachlich mit Jalousien vor den Fenstern. Bett. PC. Links eine plüschige Ikea-Welt. Sofa, Krimskrams. Auch hier eine Spielkonsole. Bald wird man darüber Kontakt aufnehmen, sich Nachrichten schicken, wie man das heute so macht. Chatten im Telegrammstil. Nach Gusto, ohne nachdenken. Die Initiative liegt bei ihr, bei der Frau, die da auf einmal ins Zimmerchen stürmt. Irgendwas hat sie durcheinandergebracht. Also Kopfhörer auf, Mausklick und – Musikeinsatz im Graben. Die Boxen fahren zurück und im Handumdrehen finden wir uns im antiken Karthago wieder, so wie das Henry Purcell und sein Librettist Nahum Tate konzipiert haben. Die geschauspielerten Darsteller ziehen sich zurück, die leibhaftigen Stimmen treten auf die Szene.
Foto © Anne Orthen
Für den guten Ton sorgt ein kleines Ensemble aus Mitgliedern der Duisburger Philharmoniker. Laute, Theorbe, Violoncello, Kontrabass, Cembalo intonieren die Ouvertüre zu Dido und Aeneas, grandioser Auftakt der englischen Oper. Purcell, Zeitgenosse von Bach, von Händel, zeigt, wo seine Sympathien liegen. Das ist die Gabel: Hier Liebe, dort Staatsaffäre. Selbst verwaist, verwitwet, vertrieben, sieht Dido, die Königin von Karthago in Aeneas, der ihr an den Strand gespült wird, einen Wahlverwandten. Coup de foudre. Love at first sight. Eine Liebe auf den ersten Blick, die Langeder ganz entzückend mit roten Ballonherzen in Szene setzt. Anna Harvey und der aufgeschossene Recke, Bariton Jake Muffett, ein Herz und eine Seele. Da und dort im Publikum wird eine Träne verdrückt. Dass es beim Herzen nicht bleiben kann, ist klar. Auftritt der bösen Fee. Der Sopran von Elisabeth Freyhoff bringt Jupiter ins Spiel. Aeneas bekommt eine Abmahnung. Morgen ist Abfahrt. Der Auftrag, das zweite Troja, Rom also, zu errichten, geht vor. Als Dido es erfährt, ist sie untröstlich. Er hat den Treueschwur gebrochen! Und selbst als Aeneas reumütig einlenkt, beharrt sie auf dem Trennungsstrich. Lieber will ich sterben.
Wie das alles inszeniert, wie es vor allem musiziert wird, macht ungeheure Laune. Zwei überzeugende Hauptdarsteller, ein bis in die Nebenrollen glänzend besetztes Gesangsensemble und ein prächtiger Rheinopernchor, der in Schritten eingeführt wird: erst unsichtbar, mit tollem Stereoeffekt links und rechts in den Logen. Im nächsten Moment erscheinen die auf antik getrimmten Damen und Herren Choristen in wechselnden Konstellationen auf der Szene. Es naht der Höhepunkt. Mit samtenem Mezzo stimmt Anna Harvey Dido‘s Lament an, When I am laid in earth, ihren berühmten Abgesang von der Bühne, von der Welt. Ein Moment, in dem es am Chor ist, die Trauer nicht nur zu kommentieren, sondern die abgerissenen Fäden aufzugreifen und das Publikum über den Verlust, mehr noch, über das Ende der Oper hinwegzutrösten – bis zum nächsten Mal. Im Zentrum eines geglückten Premierenabends Killian Farrell. Der junge Feuerkopf befügelt jeden, reißt alle mit, nicht nur auf der Bühne. Am Ende von drei wie im Fluge vorüberrauschenden Spielstunden steht eins auf jeden Fall fest: Nirgendwo Altersspuren bei unseren alten Bekannten. Im Gegenteil – überall Altersfrische.
Georg Beck