O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Markus Feger

Aktuelle Aufführungen

Ligetis Frische und Regers fettreiche Kost

KLAVIER-FESTIVAL RUHR
(György Ligeti, Max Reger)

Besuch am
8. Mai 2023
(Einmalige Aufführungen)

 

Gebläsehalle Landschaftspark Duisburg-Nord, Stadthalle Mülheim an der Ruhr

Der 100. Geburtstag György Ligetis und das 150. Wiegenfest Max Regers werden neben dem Jubiläums-Jahr Sergej Rachmaninows beim diesjährigen Klavier-Festival Ruhr besonders innig bedacht. Interessant, dass in das Gedenken an den bedeutenden ungarischen Komponisten auch die verdienstvollen Education-Programme eingebunden werden, unter anderem mit der Beteiligung aller Schulen des Duisburger Problem-Stadtteils Marxloh.

An die 200 Kinder aus drei Marxloher Schulen bevölkern bei der ersten Präsentation die Bühne der voll besetzten Gebläsehalle des Landschaftsparks Nord. Die Eltern können sich erneut an den faszinierenden und nachhaltigen Ergebnissen der von Tobias Bleek vorbildlich organisierten und vom scheidenden Intendanten Franz-Xaver Ohnesorg mit Herzblut unterstützten Education-Angebote erfreuen.

In diesem Jahr stellen fünf Gruppen der Regenbogenschule und der Grundschule Sandstraße sowie die Klasse 5a des Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums Musik- und Tanzdarbietungen unter dem Motto Ligetis Entdeckungen vor. Anlass ist der 100. Geburtstag des bedeutenden ungarischen Komponisten György Ligeti, von dem einige Miniaturen die Basis des Programms bilden. Der unermüdlich für das Festival tätige Pianist Lorenzo Soulès setzt dabei mit gewohnter Souveränität einige professionelle Akzente.

Entscheidend sind aber die eigenen Kreationen der Kinder mit selbst erarbeiteten Musikstücken oder fantasievollen Tanzdarbietungen. Anregende Impulse gehen dabei von der bewegungsfreudigen Musik Ligetis aus. Zu den Klängen zweier Bagatellen, ausgeführt von einem Bläserquintett der Folkwang-Universität, finden die Klassen 4a und 4d der Regenbogenschule eindrucksvolle tänzerische Antworten. Entsprechend originell fallen die Beiträge der Giraffen-, Känguru- und Bienenklassen der Grundschule Sandstraße aus, die Bewegung und eigene Klangkompositionen geschickt miteinander verbinden. Da hört man die Blätter im Herbst von den Bäumen fliegen oder einen Elefanten einen Teich austrinken.

Foto © Markus Feger

Es ist ein besonderes Anliegen der Projektleiter, die in den Grundschulen freigesetzte kreative Energie in den höheren Lehranstalten weiterzuführen. So beeindruckt die Klasse 5a des Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums unter dem Titel Die Teufelstreppe mit einer erstaunlich komplexen musikalischen und tänzerischen Darbietung.

Begeisterter Beifall für die kleinen Künstler, aber auch ihren vielen Betreuern. Ein weiteres Education-Programm Marxloher Schulen zu Ligetis Entdeckungen ist für den 14. Juni in der Mercatorhalle vorgesehen.

Zwei Stunden später widmen sich namhafte Profis in der Mülheimer Stadthalle der Musik Max Regers, die es nach wie vor schwer hat, ihre angemessene Anerkennung zu finden. Daran hat auch ein groß angelegtes Festival in Bonn zu seinem 100. Geburtstag vor 50 Jahren nichts geändert. Und es sieht nicht aus, als würde Reger, abgesehen von einigen Organisten, in Zukunft nachhaltiger berücksichtigt werden. Es war nicht als Kompliment gemeint, als Igor Strawinsky behauptete, „Regers Musik klingt so wie er aussieht“. Als unzeitgemäßer Vielschreiber schwerfälliger Bach- und Brahms-Imitate verschrien, verstellt sich leicht der Blick auf einige seiner durchaus hörenswerten Kammermusik- und Orchesterwerke.

Dazu gehören zweifellos zumindest einige der Sonaten für Klarinette und Violoncello, von denen Sharon Kam und Alban Gerhardt zusammen mit dem Pianisten Markus Becker zwei Beispiele eindrucksvoll präsentieren. Markus Becker gehört seit vielen Jahren zu den eifrigsten und versiertesten Verteidigern Max Regers. Aber selbst seine maßstabsetzende Gesamteinspielung aller Klavierwerke des Meisters hat die schleppende Rezeption nicht richtig in Schwung bringen können.

Beide Sonaten, die 4. Klarinettensonate in a-Moll opus 116 sowie die 3. Cello-Sonate in B-Dur opus 107 können ihre Nähe zu den Vorbildern von Johannes Brahms nicht verleugnen. Insbesondere nicht die Sonate für Klarinette, für die sich Reger nach eigenen Worten vom Spätwerk Brahms‘ für dieses von Brahms innig geliebten Instruments inspirieren ließ. In direktem Vergleich zu Brahms‘ Trio für Klavier, Klarinette und Violoncello in a-Moll opus 114, das die drei Interpreten nach der Pause vortragen, wird freilich auch eine gewisse qualitative Kluft zwischen den beiden Komponisten deutlich. So virtuos Reger alle Kompositionsstile aller Zeiten beherrschte, so fällt doch die Blässe seiner Melodik auf. Ein Manko, das auch durch die kunstvollsten und ausgeklügeltsten Verarbeitungstechniken nicht aufgefangen werden kann. Zudem wirkt der Klang stets ein bis zwei Klassen fetter als bei Brahms. Und das, obwohl sich alle drei Interpreten, nicht zuletzt Markus Becker mit seinen vollgriffigen Klavierparts, um möglichst schlanke Klangbilder bemühen.

Auch wenn Brahms an diesem Abend den Lorbeerkranz davonträgt, auch wenn es Reger weder den Ausführenden noch dem Publikum leicht macht, sollte die Suche nach zweifellos vorhandenen Perlen im riesigen Oeuvre des früh verstorbenen Komponisten nicht aufgegeben werden.

Langer, anhaltender Beifall für alle Beteiligten.

Pedro Obiera