O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Christian Palm

Aktuelle Aufführungen

Mozart und seine Kollegen

MOZART AND HIS CONTEMPORARIES
(Diverse Komponisten)

Besuch am
30. April 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Klavier-Festival Ruhr, Mercatorhalle, Duisburg

Das Klavier-Festival Ruhr litt natürlich auch unter Corona-Krise der letzten beiden Jahre. Konzerte mussten abgesagt beziehungsweise verschoben, der gewohnte Zeitrahmen konnte nicht eingehalten werden. In diesem Jahr soll nun wieder alles so laufen wie gewohnt, kommt nicht wieder etwas unverhofft dazwischen. Bis 9. Juli gibt es 63 Veranstaltungen auf 32 Podien in 24 Orten, wobei sich 69 Pianisten die Klinke in die Hand geben. Und bis auf die Maskenpflicht an einigen Orten gibt es keine Zugangs- oder Kapazitätsbeschränkung mehr. Zu der Auftaktveranstaltung pilgern die klassischen Musikfreunde in Scharen in die Duisburger Mercatorhalle, um das ausgefallene Programm des Pianisten Víkingur Ólafsson mitzuerleben. Es erschien Anfang September letzten Jahres mit dem Titel Mozart & Contemporaries als CD auf dem Markt. Darauf hat er Werke Wolfgang Amadeus Mozarts und seiner Zeitgenossen verewigt und in Beziehung zueinander gesetzt. Seitdem ist er damit unterwegs und füllt wie an diesem Abend große Konzertsäle.

Auf Mozart richtet er sein Hauptaugenmerk, und zwar auf die schöpferische Tätigkeit seiner letzten zehn Lebensjahre. Denn in seiner späten Schaffenszeit ändert sich seine Musiksprache mehr hin zu Molltonarten. Jugendlich-verspielte Ausgelassenheit weicht ernsteren, tiefgründigeren Klängen. Der Kontrapunkt hält Einzug wie bei der vorgestellten Gigue in G-Dur, nachdem er sich mit Johann Sebastian Bach auseinandergesetzt hatte. Ihm zur Seite stellt er Werke des italienischen Komponisten Baldassare Galuppi, ein Rondo in d-Moll des Bach-Sohns Carl Philipp Emanuel und die 47. Klaviersonate in h-Moll Joseph Haydns. Hinzu kommen zwei von ihm bearbeitete Klavierwerke des Italieners Domenico Cimarorsa: die Sonaten Nr. 42 in d-Moll und Nr. 55 in a-Moll. Auch die von ihm hergestellte exzellente Klavierfassung des Adagios ma non troppo aus Mozarts 3. Streichquintett ist mit dabei. Es sind insgesamt 15 Stücke aus den 1780-er Jahren, anhand derer er viele Gemeinsamkeiten hinsichtlich Stil und Sprache der Komponisten trotz unterschiedlicher Herkunft deutlich macht. Sie teilt er in zwei Konzerthälften auf, die er ohne Pause spielt. Gerade indem Ólafsson manche Werke – etwa erwähntes Adagio über Galuppis Larghetto aus seiner 34. Sonate in c-Moll hin zur 14. Mozart-Sonate in c-Moll – mit derselben Tongebung nahtlos ineinander übergehen lässt, legt er schlüssig gleichartige Charakteristiken offen. Dabei treten differenzierte Klangfarben in den Hintergrund. Aus dem Flügel kommen neutral-trockene Klänge ohne Schnörkel. Diese Haltung und eine eher differenziert-weiche Anschlagskultur lassen das Programm klar und durchsichtig wirken, gehen aber zu Lasten des emotionalen musikalischen Gehalts. Kurzum: Komponisten und deren Oeuvre sind klanglich kaum unterscheidbar. Er kombiniert demnach Musik aus einer Dekade Ende des 18. Jahrhunderts, die aus seiner Sicht an Wert und Sinn ebenbürtig sind.

Im Übrigen scheint der 38-jährige Klaviervirtuose, der in den letzten Jahren einen großen Karrieresprung unternommen hat, an diesem Abend in das Guinness Buch der Rekorde kommen zu wollen. Er nimmt nämlich den Kopfsatz der Sonata facile Mozarts zwar hochvirtuos-perlend, doch derart schnell, dass seine feinen Strukturen nur zu erahnen und nicht alle Noten zu hören sind. Das vorgeschriebenen Allegro münzt er demnach in ein Prestissimo um. Auch kommt die Haydn-Sonate zu brüchig daher, weil er zu viel Wert auf die Vermittlung der motivischen und thematischen Arbeit des Komponisten legt unter Vernachlässigung von großen musikalischen Spannungsbögen. Und einige Stellen im Piano intoniert er während seiner Vorträge so leise, dass sie trotz der trockenen Akustik des Saals kaum wahrnehmbar sind.

Das Publikum zeigt sich von seinem Auftritt hellauf begeistert. Die stehenden Ovationen nehmen erst nach drei Zugaben ein Ende. Zum einen bringt er in memoriam des kürzlich verstorbenen legendären Pianisten Radu Lupu drei Volkslieder aus dem Komitat Csík – eine Verwaltungseinheit des Königreichs Ungarn in Siebenbürgen – aus der Feder von Béla Bartók angemessen andächtig zu Gehör. Klangschön gestaltet er anschließend Jean-Philippe Rameaus Le Rappel des oiseaux. Schließlich kommt Johann Sebastian Bachs Präludium in e-Moll, BWV 855a in einer h-Moll-Fassung des russischen Pianisten, Komponisten und Dirigenten Alexander Iljitsch Siloti von der Bühne. Er spielt es mit einem sehr gemessenen Tempo und einer kaum hörbaren Sechszehntelbewegung ab der zweiten Hälfte.

Hartmut Sassenhausen