O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Matthias Horn

Aktuelle Aufführungen

Komödie mit Trauerflor

EIN SOMMERNACHTSTRAUM
(William Shakespeare)

Besuch am
10. August 2023
(Premiere)

 

Ruhrtriennale, Kraftzentrale, Landschaftspark Duisburg

Auf ihrer dreijährigen Suche nach der „Natur des Menschen“ gab es unter der Intendanz von Barbara Frey bei der Ruhrtriennale nicht viel zu lachen. Zu überschwänglichem Jubel gibt auch der Umgang des Menschen mit der Natur, sowohl die äußere Umwelt als auch die innere Befindlichkeit betreffend, nur wenig Anlass. Wenn die Schweizer Theaterprinzipalin zum Auftakt ihrer letzten Saison an der Ruhr in die Kraftzentrale des Duisburger Landschaftsparks zu einer Komödie einlädt, dürften die Lachmuskeln nicht über Gebühr strapaziert werden.

Es überrascht also nicht, wenn William Shakespeares Sommernachtstraum unter ihrer Federführung ohne Waldromantik und burlesken Humor auskommen muss. Die ohnehin verwickelte Textur des Stücks, in denen die Menschen zwischen Traum und Wirklichkeit in einen Wirbelsturm von Identitäts- und Beziehungskrisen gerissen werden, deutet sie mit beeindruckender Konsequenz als Abgesang auf eine aus den Fugen geratene, absterbende Welt.

Auf einer Drehbühne spielt sich die Handlung in trancehafter Entschleunigung ohne Pause auf zwei tristen Spielorten ab, die den Zuschauer lediglich durch raffinierte Lichteffekte nicht in eine permanente Endzeitstimmung versetzen. Bühnenbildner Martin Zehetgruber schafft dafür einen schmucklosen Wintergarten und auf der Rückseite eine zu einem Autofriedhof verrottete Waldruine. Beklemmend wie eine Szenerie aus einem Gruselfilm.

Allerdings steigen keine Zombies aus den Autogräbern auf, sondern Figuren, die orientierungs- und hoffnungslos durch die dürre Vegetation wandeln. Durchaus auf der Höhe unserer gender-beflissenen Zeit, wenn auch die Eindeutigkeit der Geschlechter und Rollenbilder ins Wanken gerät. Bezeichnend, dass etwa Markus Scheumann sowohl die Partie des Theseus als auch die der Titania bravourös verkörpert. Nicht minder überzeugend schlüpft Sylvie Rohrer in die Rollen der Hippolyta und des Oberon. Dafür braucht man schon Schauspieler vom Format des Wiener Burgtheaters. Dass Barbara Frey diese Produktion mit dem und für das Wiener Theater konzipierte, erweist sich als Segen und zugleich als Problem.

Dass auf hohem schauspielerischem Niveau agiert wird, ist dadurch garantiert. Auch wenn die zähe Gangart der Inszenierung die zum leisen, fast flüsternden Sprechen gehaltenen Darsteller in ihrem Bewegungsdrang ausbremst und dem Stück eine dicke Dosis an vitaler Energie entzieht.

Die Ausrichtung auf ein traditionelles Theater wie dem Burgtheater führt aber auch dazu, dass die räumlichen Möglichkeiten der riesigen, flexibel nutzbaren Kraftzentrale nicht ausgenutzt werden. Zu sehen ist eine unter diesem Aspekt konventionelle Produktion im Guckkasten-Format.

Frey hält sich auch bei der Charakterisierung der „lustigen“ Figuren zurück. Dorothea Hartinger grübelt als Puck noch nachdenklicher über Gott und die Welt als die in Melancholie versunkenen Menschen und Feengestalten. Und die Handwerkerszenen beziehen ihren Witz ausschließlich aus Shakespeares Wortakrobatik, weniger aus der statischen Personenführung. Oliver Nägele als Zettel rezitiert die urkomischen, geradezu akrobatisch virtuosen Wortspiele mit bewundernswertem Ernst.

Die dezente, oft in Einzeltönen vor sich hin tröpfelnde Musik unterstreicht den gehemmten Bewegungsfluss der Produktion, die trotz des hohen darstellerischen Niveaus auf Dauer doch ermüdet und eine nicht unwesentliche Botschaft des Stücks vernachlässigt. Die Welt im Sommernachtstraum ist zwar nicht wesentlich besser und heiler als die im Hamlet: Shakespeares Komödien vermitteln jedoch stets die Gewissheit, dass es sich trotz aller Katastrophen lohnt, weiterzuleben und nicht in hoffnungslosen Trübsinn zu verfallen.

Langanhaltender, nicht überschwänglich orgiastischer Beifall. Aber 140 Minuten Untergangsstimmung in der stickigen Luft der Kraftzentrale zollen ihren Tribut.

Pedro Obiera