Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
WERKSCHAUSPIEL
(Diverse Komponisten)
Besuch am
30. Januar 2025
(Einmalige Aufführung)
Theaterlabor Traumgesicht? Noch nie gehört. Dabei gibt es das private Theater seit 40 Jahren. 1985 wurde es in München gegründet, heute hat es seine Bühne auf dem Campus Golzheim der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf. Hier gibt es Schauspielunterricht, Gastspiele, Theater, Konzert, Filmabende, Kabarett und Lesungen. Außerdem bieten sich Kooperationen mit der Musikhochschule an. Regelmäßig, erzählt der künstlerische Leiter, Gianni Sarto, sind auf der Bühne Konzerte von Meisterklassen zu erleben. Auch der heutige Abend ist eine Kooperation zwischen Theater und Hochschule.
Die Zeiten, in denen es als Opernsänger ausreichte, an der Bühnenrampe zu stehen und möglichst kunstvoll Arien und Rezitative zu schmettern, sind – zumindest in Deutschland – lange und glücklicherweise vorbei. Von einem Opernsänger wird heute selbstverständlich auch schauspielerisches Können erwartet. Die Düsseldorfer Musikhochschule trägt dem Rechnung, indem die angehenden Sänger im Rahmen ihres Studiums den Nachweis erbringen müssen, am Schauspielunterricht teilgenommen zu haben. Eine eigene Prüfung ist Bestandteil dieses Nachweises. Was wohl die wenigsten Besucher im bis auf den letzten Platz besetzten Saal wissen: Die Aufführung ist eben jene Prüfung.
Stefanie Fischer – Foto © Michael Zerban
Die künstlerische Einrichtung, sprich die Zusammenstellung der darzubietenden Werke, den Ablauf und die Vorbereitung für den Abend mit dem Titel WerkSchauSpiel verantworten Regisseurin Sabine Hartmannshenn und Hanna Werth. Im Mai vergangenen Jahres wurde die Schauspielerin Werth als Juniorprofessorin für Szene und Intimitätskoordination an die Hochschule berufen. Letzteres ist eine Erfindung der amerikanischen Filmindustrie, die jetzt an Drehorten, an denen es zu intimen Handlungen kommt, einen intimacy coordinator bereitstellt, der die Aufgabe hat, dafür zu sorgen, dass in der Szene keine „übergriffigen“ Aktionen vorkommen. Da winkt der moralische Zeigefinger ganz heftig aus dem puritanischen Amerika. In Düsseldorf allerdings ist Werth hochwillkommen. Denn sie redet nicht einer neuen Prüderie das Wort, ganz im Gegenteil. Sie sieht ihre Aufgabe darin, den jungen Leuten beizubringen, wie sie mit Berührungen professionell umgehen, anstatt aufzupassen, dass ja nichts „Schlimmes“ passiert. Denn selbstverständlich soll es auch auf der Bühne und im Film weiterhin zu intimen Begegnungen kommen, ist schließlich verkaufsfördernd. Und der professionelle Umgang damit meint nichts anderes, als dass beide Partner sich in der Szene wohlfühlen. Der Lernerfolg ist beeindruckend.
Selbstverständlich beruht der Erfolg der Schauspielausbildung nicht allein darauf, dass die Studenten sich näherkommen können. Beka Savic, Gregor Horres und Bianca Künzel haben ebenfalls daran mitgearbeitet, den angehenden Sängern ein schauspielerisches Grundverständnis zu vermitteln. Für den Abend ist das Ziel, Einblicke in ihre aktuellen Arbeiten zu geben. Und die bestehen auch aus Texten beispielsweise von Hilde Domin und Friedrich Schiller. So kann ein wunderbar abwechslungsreicher Abend entstehen.
Die Bühne scheint erst mal aufgeräumt. Rechts im Hintergrund ein schwarzes Sofa, ein Stuhl in der Mitte, links im Hintergrund hat sich Markus Fohr als musikalischer Leiter hinter dem Klavier versteckt, davor ist ein kleiner Esstisch mit einem weiteren Stuhl aufgebaut. Allerdings ist hier das eine oder andere versteckt und kommt erst nach und nach zum Vorschein wie eine Person hinter dem Sofa, hinter dem später auch eine Leiche aus dem Blickfeld geschafft wird, oder eine Schneiderpuppe. Die Regie von Hartmannshenn beweist bei nur minimalen Möglichkeiten Fantasie, sowohl was den Mitteleinsatz als auch was die Personenführung angeht.
Markus Fohr – Foto © Michael Zerban
Farah Basma eröffnet den Gesangsteil mit Ich stand in dunklen Träumen von Clara Schumann. Schon da zeigt sich, dass die Akustik des Raums nicht optimal für den Gesang ist. Das hält die Studenten nicht davon ab, ihr Können zu zeigen. Helen Marion Sherwood gelingt es gar, mit dem Klassiker Yo soy Maria aus Maria de Buenos Aires von Astor Piazzolla so etwas wie südamerikanisches Flair auf die Bühne zu zaubern. Despinas In uomini, in soldati aus Mozarts Così fan tutte gelingt Hasmik Schreider ganz vorzüglich. Il padre adorato – der geliebte Vater – ist eine Arie aus Mozarts Idomeneo, die Luiza Bardan interpretiert. Als wunderbarer Bass präsentiert sich Byung Jun Ko mit der Arie Di provenza des Germont in Verdis La traviata, ehe Joowon Kim das Kuda, Kuda des Lenskij in Tschaikowskys Eugen Onegin zu Gehör bringt.
Eine der stärksten Szenen bauen Stefanie Fischer und Grantas Šileikis um das berühmte Duett La ci darem von Don Giovanni und Zerlina einschließlich sehr deutlicher Worte Fischers, die das Publikum für einen Moment den Atem stocken lassen, ehe es in Gelächter ausbricht. Fischer schiebt noch die Arie der Adina Prendi, per me sei libero aus L’elisir d’amore von Gaetano Donizetti nach. Einer der Höhepunkte des Abends ist sicher auch der Auftritt von George Gamal, der balsamisch O du mein holder Abendstern von Wolfram aus dem Tannhäuser zum Besten gibt. Die Szene spielt sich wie andere auch im Sitzen auf dem Boden ab – davon haben nur die Besucher in den ersten beiden Sitzreihen etwas, eigentlich der einzige Wermutstropfen des Abends.
Mit Una voce poco fa präsentiert Kim Holtappels einen weiteren Schlager der Opernliteratur. Dann gibt es eine Geburtstagsrede, die wenig Anlass zur Freude gibt. Vater wird 60, und der Sohnemann verkündet vor der versammelten Geburtstagsgästeschar, dass eben der Vater Tochter und Sohn als Kinder missbraucht hat. Da hat die Regisseurin das Publikum noch einmal kurz vor Ende ordentlich wachgerüttelt. Kompliment. Tilde Ahlbeck Glader schließt die Arie When I am laid aus Purcells Dido and Aeneas an. Und Janina Beutler darf mit Sieglindes Du bist der Lenz aus der Walküre abschließen. Ein Brindisi aller Beteiligten hätte den Abend sicher noch abrunden können, aber so weit reicht der Spaß bei einer Prüfung offenbar nicht.
Ach ja, die Prüfung. Die Bewertung obliegt den Hochschullehrern, und so soll es auch bleiben. Erschwert wird ihnen die Beurteilung ohnehin, denn wer die Auftritte der Opernklasse von Thomas Gabrisch kennt, weiß, mit welcher Spielfreude die jungen Sänger schon von Haus aus daherkommen. Aber bei so manchem wird doch erkennbar, dass die Ausbildung zusätzliche Früchte trägt. Und es sollte nicht verwundern, wenn viele der jungen Leute mehr aus dem Studium mitnehmen, als sie für die Bühne brauchen.
Das Publikum ist begeistert und jubelt dem Nachwuchs zu. Vielleicht bringt es den einen oder anderen Kommilitonen auf die Idee, einen solchen Abend auch mal ganz ohne Prüfung zusammenzustellen. Bei Gianni Sarto stießen sie da sicher auf offene Ohren.
Michael S. Zerban