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Aktuelle Aufführungen
WENN ICH EIN VÖGLEIN WÄR‘ … ODER ZWEI … ODER DREI
(Robert und Clara Schumann, Johannes Brahms)
Besuch am
21. Oktober 2023
(Einmalige Aufführung)
Samstagnachmittag, 16 Uhr: Ein Termin, über den man lange diskutieren kann, ob er sich als richtiger Zeitpunkt für eine musikalische Aufführung eignet. Die kleine Schar an Besuchern, die sich auf Einladung der Christengemeinschaft in ihrer Kirche im Düsseldorfer Stadtteil Golzheim einfindet, spricht eher dagegen. Und das, obwohl man Düsseldorfer mit der Musik der Familie Schumann und deren Hausfreund Brahms eigentlich immer locken kann. So war das Foyer der Tonhalle sehr gut besucht, als das Programm, das jetzt in der Kirche gezeigt wird, vor einigen Monaten uraufgeführt wurde.
Das Kastellann-Trio besteht aus der Pianistin und Komponistin Anna Seropian, der Sopranistin Ekaterina Somicheva und der Mezzosopranistin Stella Antwerpen. Gemeinsam haben sie das Programm mit dem etwas irreführenden Titel Wenn ich ein Vöglein wär‘ … oder zwei … oder drei entwickelt. Dabei handelt es sich nicht etwa um den tausendsten Schumann-Liederabend, sondern vielmehr haben die drei ihre Fähigkeiten gebündelt und ein Miniatur-Musiktheater geschaffen, mit dem sie eine Geschichte erzählen. Wir schreiben das Jahr 1895. Clara Schumann ist 75 Jahre alt. Ein Jahr später im Mai wird sie sterben. Jetzt aber blickt sie auf ihr Leben mit Robert Schumann zurück, der zu diesem Zeitpunkt bereits fast 40 Jahre tot ist. 16 Jahre waren sie verheiratet, hatten miteinander acht Kinder. Und irgendwann trat der junge Musikus Johannes Brahms in ihr Leben, um es nicht mehr zu verlassen.
Ekaterina Somicheva und Stella Antwerpen – Foto © O-Ton
Vor dem eigentlichen Kirchenraum liegt eine Art Foyer. Hier sind die Stühle für die Besucher aufgereiht. Am Übergang zum Kirchenschiff steht ein Flügel, davor ist eine Truhe aufgestellt. Der Aufbau ist klug gewählt. Die Stimmen können sich hier optimal entfalten, und die Weite des dahinterliegenden Raums gibt dem Spiel Bewegungsfreiheit und Größe. Stella Antwerpen tritt auf, ganz in schwarz gekleidet, um zu erklären, dass die Zuschauer es nun mit Clara Schumann am Flügel und einem zwiegespaltenen Robert Schumann in Gestalt von Florestan dem Wilden und Eusebius dem Milden zu tun bekommen. Dann kann das eigentliche Spiel beginnen. Anna Seropian setzt sich als Clara im historischen Kostüm an den Flügel, nachdem sie die Ausgangssituation kurz dargelegt hat. Nun kommt Ekaterina Somicheva, ganz in weiß gekleidet, hinzu. Und schon wird deutlich, dass Seropian sich nicht auf das Klavierspiel beschränkt, sondern zuvor eigene Arrangements in Form von Duetten geschrieben hat. Gemeinsam singen Somicheva und Antwerpen die dritte Strophe des Frühlingsgrußes.
Nach einem Zwischentext wird das Publikum geschickt in das Spiel einbezogen. Der Truhe werden Zitate entnommen, die derjenige vorlesen darf, der sich freiwillig meldet. Das ist unaufdringlich, sorgt für Abwechslung und tatsächlich wagen sich die Besucher vor, um Schumannsche respektive später Brahmssche Original-Zitate vorzutragen. Nach dem ersten Zitat gibt es die Widmung, wiederum im Duett. Die Stimmen scheinen dabei nach oben zu entschwinden. Ein wunderbares Klangbild, das sich auch fortsetzt, wenn es in den Sommer geht. Die „brave“ Sommerruh schließt sich an, auf Florestans Protest, dass ihm das zu „träge“ sei, gefolgt von Die Schwalben.
Und „wo wir gerade schon beim Thema Vögel sind“, wie Eusebius erklärt, starten die drei ihren nächsten Coup. Von Johann Gottfried Herder stammt der Text des bekannten deutschen Volksliedes Wenn ich ein Vöglein wär‘, das im 19. und 20. Jahrhundert eine starke Verbreitung erfuhr. Auch Schumann vertonte es. Und wenn es doch so bekannt ist, finden die Musikerinnen, können ja auch alle mitsingen. Ein erster Versuch zeigt die Teilnahmebereitschaft des Publikums, also wird man es ja wohl auch als Kanon zustande bringen, zumal mit Antwerpen eine begnadete Chorleiterin zur Verfügung steht. Ein Risiko, das aufgeht und somit zu einer großartigen Bereicherung der Aufführung wird. Fleißig werden weiter Zitate vorgetragen, die unter anderem dazu führen, dass Ich stand im dunklen von Clara gesungen wird, an das sich das einzige Klavier-Solo in Gestalt des Fantasiestücks opus 12 anschließt.
Anna Seropian – Foto © O-Ton
Dann kommt es „endlich“ zu der Begegnung mit Johannes Brahms, von dem bekannt ist, dass er beide, Clara und Robert, begeisterte. Was sich allerdings zwischen dem Jungkomponisten und der Ehefrau an Leidenschaft entspann, wird wohl für immer der Fantasie des Betrachters überlassen bleiben, sind doch entscheidende Teile des Briefwechsels zwischen den beiden von ihnen vernichtet worden. An dieser Stelle bleibt es auch in dem großartigen Film Geliebte Clara mit Martina Gedeck als Clara aus dem Jahr 2008 bei einem Knistern, das alle Möglichkeiten offenlässt. Beim Kastellann-Trio sind stellvertretend Vergebliches Ständchen, Weg der Liebe und Sie liebten sich beide zu hören. Um auch die acht Kinder der Schumanns, die in der Dreiecks-Konstellation immer außen vor zu bleiben scheinen, in den Fokus zu rücken, darf stellvertretend Seropians Sohn mit an das Klavier, um vierhändig den Bärentanz aufzuführen. Ein großer Spaß, über den eine Freundin der Schumanns schrieb: „Den Bärentanz spielte er mit köstlichem Humor, förmlich mit den Händen die tölpischen Bewegungen des Bären nachahmend …“.
Ganz wunderbar, wie die drei anschließend den geistigen Verfall Schumanns sehr respektvoll nachzeichnen, indem sie die Widmung in einem Wirrwarr singen und spielen, während Somicheva und Antwerpen minimalistisch, aber eindrucksvoll „Stellung“ beziehen. Auch wenn man mit dem Wort Zurückhaltung üben sollte: Es ist in der Schlichtheit genial gemacht. Bedecket mich mit Blumen beschließt eine Aufführung, deren schwerster Makel ist, dass sie bereits nach einer Dreiviertelstunde endet. Es lief doch gerade so gut …
Das Publikum ist begeistert, und nach ausgiebigem Applaus gibt es keinen, der sich bei den Künstlerinnen nicht noch persönlich bedankt. Das ist berechtigt. Und es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn dieses köstliche, kurzweilige und wohldurchdachte Stück nicht noch zahlreiche Einladungen auch auf Bühnen außerhalb Düsseldorfs erhielte.
Michael S. Zerban