Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
UNA SERATA ITALIANA
(Diverse Komponisten)
Besuch am
7. Juni 2024
(Einmalige Aufführung)
Jetzt mal tief durchatmen und ruhig bleiben. Es war nicht alles schlecht in den Quarantäne-Zeiten der Pandemie. Das meiste schon, ja, aber nicht alles. Viele künstlerische Projekte wären nicht entstanden, hätte es die Zeit der Zwangszurückgezogenheit nicht gegeben. Und vermutlich ist nie zuvor und nie danach so viel Musik an der frischen Luft gespielt worden. Nein, nicht nur Altenheime wurden von außen bespielt, auch Balkon- und Hinterhofkonzerte erlebten eine nie gekannte Häufigkeit. Bis heute erinnert sich Noémi Schröder gern an die ganz besondere Atmosphäre dieser Veranstaltungen zurück. Bis heute wohnt sie im Düsseldorfer Stadtteil Friedrichstadt in einer Anliegerstraße mit dichter Wohnbebauung. Hier hat sie mit Kollegen die Straße bespielt, bis sich so viele Leute versammelten, dass das Ordnungsamt einschritt. Und sie hat mit den Kollegen im eigenen Hinterhof Konzerte für die Nachbarn gegeben. Das war eine großartige Erfahrung, von der sie bis heute zehrt.
Nach der Pandemie war an solche Dinge erst mal überhaupt nicht mehr zu denken. Da waren die Künstler damit beschäftigt, ihre Leben, ihre Auftritte, ihre Bankkonten wieder in den Normalzustand zu versetzen. Und, ganz ehrlich, die Freude überwog, wieder auf „richtigen“ Bühnen zu stehen und sich dort feiern zu lassen. Viele haben es auch nicht geschafft. Über die redet bis heute keiner. Schröder hat Glück gehabt. Sie hat in ihr altes Leben zurückgefunden. Drei, vier Auftritte pro Woche, neue Programme hat sie aufgelegt, sich weiterentwickelt. Jetzt hat sie wieder Muße, an diese verrückte Zeit zurückzudenken, in der die Nachbarn sich näherkamen, sich oft in der Nachbarschaft eine Solidarität entwickelte, die man bis dahin nicht kannte. An diese besonderen Abende, an denen die Nachbarn auf den Balkonen saßen und standen, um ihrer Stimme zu lauschen. War das wirklich nur Notzeiten vorbehalten? Daran mag die Sängerin nicht glauben. So etwas muss sich doch auch wiederholen lassen, um Hektik und Alltag, Anonymität und nebeneinander in „normalen“ Zeiten zu durchbrechen.
Peter Kowal und Klaus Klaas – Foto © O-Ton
Die Sonne wirft warmes Licht in den verwinkelten Hinterhof. Im Zentrum der Architektur gibt es die Terrasse eines Hotels. Sie ist höhergelegen. Daneben liegt der Hinterhof des Nachbarhauses, etliche Meter tiefer, in Zufahrt und Kiesbett unterteilt. Im Hintergrund auf etwa halber Höhe eine weitere Terrasse. Das Ensemble ist umgeben von Balkonen. Für ein Hotel liegt die Terrasse, die von der ersten Etage aus begehbar ist, einigermaßen ungünstig, weil von allen Seiten einsehbar, ja, wie eine Bühne. Wer will da schon unter Beobachtung aller Nachbarn frühstücken. Aber eigentlich benutzt die Terrasse schon lange keiner mehr. Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine endete die Ära des Hotels Maxim am Fürstenplatz. Seither ist es Unterkunft für Flüchtlinge aus der Ukraine. Freudig hat die Hotelmanagerin zugestimmt, als Schröder anfragte, ob man die Terrasse als Bühne für ein Hinterhofkonzert nutzen dürfe. Da war die Idee von der Serata italiana, des italienischen Abends, schon geboren. Um Stühle, sagte die Managerin, brauche Schröder sich keine Gedanken zu machen. Da gäbe es genug im Frühstückszimmer, die man hinauftragen könne.
Auf der hinteren Terrasse hat sich eine kleine Gesellschaft zum Abendessen um einen großen Tisch versammelt. In den Gläsern perlt Champagner. Gegenüber haben die Bewohner Sitzmöbel in das Balkonfenster ohne Balkon gerückt und sich mit kleinen Speisen und kühlen Getränken versorgt. Eine Etage tiefer haben die Mieter Gäste eingeladen, die zwar nichts sehen, aber die Musik genießen können. Viele der Balkone bleiben leer, aber ihre Türen sind weit geöffnet. Auf der Terrasse und in den Fenstern des Hotels versammeln sich immer mehr Gäste. Deutsche, Ukrainer, Italiener und Franzosen kommen hier zusammen. Es entsteht so etwas wie die Atmosphäre auf einer Piazza einer italienischen Kleinstadt.
Im Zentrum haben Gitarrist Peter Kowal und Pianist Klaus Klaas die Technik aufgebaut, um ein professionelles Konzert zu veranstalten, das bis in die letzten Winkel des Ensembles gut zu hören ist. Schröder ist glücklich, aber auch ein wenig nervös. Jetzt ohne Not vor den Nachbarn zu singen, ist doch noch mal eine andere Herausforderung. Zumal das italienischsprachige Programm eigentlich noch in der Entwicklung steckt. Die Liedfolge steht nicht endgültig fest, die Texte sind noch nicht so verinnerlicht, wie ein Sänger sich das wünscht, und Schröders Muttersprache ist Französisch, nicht Italienisch. Immerhin helfen die Kenntnisse aus dem Studium des Operngesangs – und auch ein wenig die italienische Verwandtschaft. Trotzdem startet Schröder beherzt mit dem Bekenntnis Toto Cutugnos aus dem Jahr 1983: Ich bin ein Italiener. L’italiano erreichte beim Sanremo-Festival den fünften Platz. Inzwischen gehört die Liebeserklärung an die Heimat längst zu den Liedern, die Italien ausmachen.
Noémi Schröder – Foto © O-Ton
Spätestens mit Azzurro wird klar, dass heute Abend ein Festival der größten Schlager italienischer Liedermacher stattfinden wird. Mit dem Azurblau des Sommerhimmels beschrieb Paolo Conte 1968 die Tagträume und das Fernweh an einem Sommertag in der Stadt und die Sehnsucht nach einer fernen Liebe. Adriano Celentano brachte den Popsong zu Weltruhm. Nino Rota schrieb das Liebesthema Parla più piano zu The Godfather. Jonas Kaufmann gelangte mit seiner Interpretation auf den ersten Platz der Suchmaschinen im Internet. Bei Schröder klingt es inniger und zugewandter. Dass Paolo Conte einer der ganz Großen aus Italien ist, dürfte wohl außer Frage stehen. Wer ihn einmal live erleben durfte, wird den Mann nicht mehr vergessen, seine Musik ohnehin nicht. So wie Via con me aus dem Jahr 1981. „Vielleicht bleiben auch die Texte“, sagte er einmal mit seinem ganz besonderen Humor. Das Trio im Maxim kommt ziemlich nah ran an das, was Conte, der „Fürst der italienischen Musik“, ausdrücken wollte.
1962 entstand der Bossanova Quando, quando, quando und belegte Platz vier beim Sanremo-Festival. Einmal mehr gepatzt. Bis heute gehört das Lied zu den erfolgreichsten Schlagern italienischer Herkunft. Und Schröder weiß es so zu interpretieren, dass man schnell begreift, warum das so ist. Mit Estate leiten die drei Musiker die Pause ein, die gern ein wenig verlängert wird, um den Nachbarn die Gespräche nicht abzuschneiden. Mit O sole mio eröffnet Schröder den zweiten Teil. An ihrem Gesang ist nichts auszusetzen, allein, es fehlt der tenorale Schmelz, den man einfach hören möchte. Mit Cosa hai messo nel caffè interpretiert Schröder eine Liebeserklärung aus dem Jahr 1969. Was hast Du mir in den Kaffee getan? klingt etwas profan. Wie klingt dagegen Bello e impossibile – schön und unbesiegbar – von Gianna Nannini! Auch wenn die Reibeisenstimme fehlt, gelingt Schröder eine absolut überzeugende Interpretation. Complimenti. Und sie schiebt gleich noch den Hit Sarà perché ti amo hinterher, bei dem die anwesenden Italienerinnen keine Scheu zeigen mitzusingen.
Wenn Schröder eines der berühmtesten Lieder Lucio Dallas singt, nämlich Caruso, gelingt es ihr, ihre Hörer zum Schwärmen zu bringen. Da schweift der Blick verträumt in den sommerlichen Abendhimmel. Wunderbar. Gern singt man da anschließend Volare mit. Bei der Zugabe entscheidet Schröder sich für den französischen Titel Je veux. Entspannt schiebt sie den Notenständer beiseite und verbreitet ein letztes Mal den Wohlklang ihrer Stimme. Als der Nachbar nach Konzert und rauschendem Applaus auf sie zukommt und eine Wiederholung des Hinterhofkonzerts verlangt, fragt sie, wie oft. „Monatlich, ach was, täglich“, antwortet der Nachbar enthusiastisch. Hinterhofkonzerte haben eine Zukunft, von der wir uns heute noch keine Vorstellung machen. Noémi Schröder hat ein Zeichen gesetzt.
Michael S. Zerban