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STERNZEICHEN
(Gustav Mahler, Wolfgang Amadeus Mozart)
Gesehen am
27. März 2021
(Einmalige Aufführung/Stream)
Zum letzten Konzert in der Reihe Sternzeichen vor Ostern hat die Tonhalle in Düsseldorf noch einmal einen ganz besonderen Gast eingeladen. Angekündigt wird er vor dem Konzert, das als Stream weiter abrufbar ist, vom Solo-Cellisten der Düsseldorfer Symphoniker, Nikolaus Trieb. Denn der kennt Anna Lucia Richter bereits seit dreizehn Jahren und ist bis heute einer ihrer größten Bewunderer. Als Mitglied des Mädchenchores am Kölner Dom erhielt sie seit ihrem neunten Lebensjahr Gesangsunterricht. Nach dem Studium in Basel und Köln ging es mit der Sopranistin steil bergauf. Heute dürfen die Zuschauer sie zum ersten Mal in der Tonhalle als Mezzosopranistin erleben, denn Richter hat im vergangenen Jahr den Stimmfachwechsel auf Anraten einer neuen Gesangslehrerin vollzogen. Im Interview mit Michael Becker, Intendant der Tonhalle, erklärt sie, was es mit einem solchen Stimmfachwechsel auf sich hat. Entscheidend sei die Tessitura, also die Stimmlage, in der sich die Sängerin überwiegend aufhalte. Selbstverständlich sei sie weiterhin zu hohen Spitzentönen in der Lage, aber eben eher als Ausnahme; während die Sopranistin ja durchaus auch in der Lage ist, gelegentlich die tieferen Stimmlagen zu wählen. Das erzählt sie übrigens mit einer Sprechstimme, die allein schon in der Lage ist, Gänsehaut hervorzurufen.
Wer als freischaffende Sängerin unterwegs ist, bleibt in der Regel nicht nur in engem Kontakt mit seinen Lehrern, sondern eignet sich auch sehr schnell ein umfangreiches Repertoire an. Da bildet Richter keine Ausnahme. Und Schubert, Schumann, Mendelssohn Bartholdy, aber auch Monteverdi passen da ganz schnell in die gleiche Partiturensammlung, wenn es um Liederabende geht. Genau so wie Gustav Mahler, aus dessen 24 Liedern aus Des Knaben Wunderhorn sie für diesen Abend fünf Lieder ausgewählt hat.
Des Knaben Wunderhorn war eine Sammlung von zwölf Gedichten, die nach 1805 von den beiden Dichtern Clemens Brentano und Achim von Arnim veröffentlicht wurde. Für Gustav Mahler war es so etwas wie eine Offenbarung und Bibel, was ihn nicht davon abhielt, sie nach eigenem Gusto zu bearbeiten. Und so wurden es letztlich 24 Wunderhorn-Lieder.
Wie mittlerweile gewohnt, treten die Düsseldorfer Symphoniker in kleiner Besetzung an, damit sie überhaupt vor den Kameras erscheinen können. Denn auch dieses Konzert wird zunächst als Live-Stream übertragen. Und auch wenn Becker in der offiziellen Begrüßung ein paar Andeutungen macht, was die Programmierung der kommenden Wochen angeht – nein, es wird keine Öffnungen geben, solange es nach den Wünschen der Regierung geht. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten bauen weiter an den Angstkulissen. Und wenn Düsseldorf keine „Modellregion“ werden sollte oder endlich Klagen gegen die Unverhältnismäßigkeit der Regierungsmaßnahmen eingereicht werden, wird auch die Tonhalle ihre Konzerte weiter im Internet präsentieren. Es gibt Schlimmeres. Die Zuschauerzahlen stimmen, auch wenn die Zielgruppe sich offenbar verändert. Glaubt man dem begleitenden Chat, sind Besucher aus der ganzen Welt zu Gast. Italien, Niederlande, Irland, Brasilien, Spanien haben sich zu Wort gemeldet, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch technisch ist die Tonhalle brillant aufgestellt. Insofern dürfen die Verantwortlichen die nächste Zukunft gern dazu nutzen, die Kameraführung weiter zu verbessern, so dass nicht ständig ein Kameramann im Blickfeld der übertragenden Kamera auftaucht. Und gern dürfen sie auch darüber nachdenken, ob es wirklich die einzige Möglichkeit ist, die Konzertbühne abzufilmen. Denn wann, wenn nicht jetzt, wäre eine bessere Gelegenheit, auch mal mit anderen Formationen – oder anderen Orte in der Tonhalle – zu experimentieren. Bis dahin also bleiben die Bilder aus der Tonhalle gleich.
Adam Fischer als musikalischer Leiter des Abends betritt gemeinsam mit Richter die Bühne. Für die Sängerin ein besonderes Vergnügen, wie sie sagt, weil sie sehr gern mit dem Dirigenten zusammenarbeite. Der allerdings sorgt mit seiner überschäumenden Begeisterung an diesem Abend für einigen Unmut beim Publikum. Schon kurz, nachdem Richter mit dem Vortrag des Rheinlegendchen begonnen hat, bemerken die Besucher ungewöhnliche Störgeräusche, die sie kurz darauf als Mitsingen des Dirigenten ausmachen. Ist das bei den Mahler-Liedern noch einigermaßen lustig, wird das heftige Aufstampfen auf dem Podium bei der nachfolgenden Sinfonie zum Ärgernis. Wenn der Dirigent seine Füße nicht stillhalten kann, was ja durchaus möglich ist, sollte es doch für die Haustechnik ein Leichtes sein, das Podium, auf dem er steht, gegen den Trittschall abzufedern.
Doch allmählich wird es auch im Chat ruhiger, und die Besucher konzentrieren sich mehr und mehr auf den wunderbaren Klang, mit dem das Orchester die Sängerin unterstützt. Nach Wo die schönen Trompeten blasen erklingt im ebenmäßigen Fluss der glasklaren Linienführung Wer hat dies Liedel erdacht?. Sorgfältig legt Richter die Notenblätter in den kurzen Pausen um, ohne sie dann großer weiterer Betrachtung zu bedenken. Bronzefarben im besten Sinne ertönt die Verlorne Müh‘!, ehe Richter mit dem Urlicht einen letzten Höhepunkt setzt. Jede weitere Beschreibung ihrer Stimme erübrigt sich, denn eine Besucherin bringt es auf den Punkt. Zauberhaft, schreibt sie. Ohne die Sopranistin gekannt zu haben, darf man behaupten, dass Richter sich mit dem Stimmfachwechsel einen großen Gefallen getan hat. Ohne große Fantasie kann man sich vorstellen, wie diese jugendlich reine Stimme sich in den nächsten Jahren zu etwas entwickeln wird, was man – mindestens beim Lied – lange suchen muss. Es ist wohl einer der ganz seltenen Fälle, in dem man sich jetzt schon darauf freut, die Stimme und ihre Weiterentwicklung in zehn Jahren zu hören.
Nach einem solchermaßen beglückenden Erlebnis ist es schön, wenn man ins Freie treten, eine Zigarette rauchen und den Klängen noch ein wenig nachhorchen kann. Entfällt wegen des interessanten Interviews. Und so wird der Besucher gleich hineingeworfen in die Klangwelten der 41. Symphonie Wolfgang Amadeus Mozarts. Willkommen in den allzu bekannten Klängen der Jupiter-Sinfonie, denen der beste Dirigent der Welt nichts Neues mehr abgewinnen kann. Aber man kann sie immer noch formvollendet interpretieren, und da lassen sich die Düsseldorfer Symphoniker unter Leitung von Adam Fischer nichts nehmen. Ein wunderbarer Abend geht mit den besten Grüßen des Intendanten zum Osterfest zu Ende.
Michael S. Zerban