O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Die Schöpfung fasziniert

DIE SCHÖPFUNG
(Joseph Haydn)

Besuch am
16. September 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Düsseldorf-Festival, Johanneskirche, Düsseldorf

Es gibt diese Momente, die einen nur beglückt zurücklassen. Sei es die Bilderwelt einer Ausstellung mit ihren Schönheiten, sei es das Interieur eines Schlosses, der Zauber eines Gartens. − Und dann sitzen wir da auf Kirchen­bänken und gewahren: Dieses Stück ist alles das zusammen. Wie die Bilder einer Ausstellung, die uns sprachlos machen, weil so einfach, so klar. Wie das Erhebende fürstlicher Wohnkultur, das uns größer werden lässt. Und wie der Garten davor, dessen Stimmung uns bezaubert. Und zwar zu jeder Tageszeit. Was das Duett von Sophie Klußmann und Thilo Dahlmann zu Ende des dritten Teils so berührend mitzuteilen weiß. Hin und her geht das. Das Orchester sagt: Mehr! Welches Bild hast du noch? Schleudert stimulierende Sechzehntel ab. Oben in der Galerie ­bleiben sie hängen wie Fragezeichen.

Foto © O-Ton

Die Antworten liefert dieses strahlende Duett aus Joseph Haydns Schöpfung, liefern Adam und Eva, die, steht im Libretto, „Hand in Hand“ durch ihren Garten lustwandeln. Stunden­lang könnte man denen zuhören, wie sie ihre Amour, ihr „Mit Dir“ besingen. Klußmann und Dahlmann performen mit Augenzwinkern, legen uns abgesunkene Geschlechter­bilder − Er: „Ich leite dich“, sie: „Mein Schirm, mein Schild“ − wieder auf die Lippen. Spielerisch. Zum Verweilen bleibt keine Zeit. Gleich wird man fortgerissen in einen betörenden Wechselgesang, der mit „Morgentau“ und „Abendhauch“, mit „Früchte Saft“ und „Blumenduft“ nicht weniger über den Schatten eines vermeintlich Altmodischen springt. Das Ganze in Es-Dur, derjenigen Tonart, in der es immer majestätisch und süß zugleich zugeht. Das geht runter wie Butter. Gerade weil da nichts „dekonstruiert“ wird, weil sich kein Zeigefinger, kein Genderton, wie Festivalchefin Christiane Oxenfort in ihrer Begrüßung, in die Ausführung mischt.

Dass die beiden mit ihrem Duett für den Höhepunkt einer an Höhepunkten überreichen Aufführung sorgen, steht außer Zweifel. Aber dafür, für diesen Erfolg, haben alle anderen Mitwirkenden vorgearbeitet. Erheblich sogar. Zu nennen an erster Stelle Christian Sturm, dessen schöner Tenor schon in vergangenen Aufführungen unter dem Stab von Wolfgang Abendroth für merklichen Glanz gesorgt hat. Hier, im Aufklärungs-Oratorium par excellence, kommt ein Gespür für Dramaturgisches hinzu. Wo Choreinsätze unmittelbar auf Erzengel-Uriel-Rezitative folgen, dreht sich Sturm vom Publikum weg, um den Damen und Herren der Johanneskantorei sein stummes „Euer Einsatz!“ folgen zu lassen. Das ist ebenso verblüffend wie sachdienlich. Man spürt den Zusammenhang, den Zusammenhalt in diesem Werk.

Foto © O-Ton

Apropos. Was diesem großen Orchester im Altarraum der Düsseldorfer Johanneskirche Rückgrat gibt, das sind die Streicher von Les Essences unter ihrem Konzertmeister Önder Baloglu. Und doch, für die Performance dieser Schöpfung müssen die Beteiligten zusammenrücken. Eine kleine Armada von Streichern, drei Querflöten, Hörnern, Posaunen, Trompeten, reichlich Holzbläsern mit Kontrafagott. Alles in allem bewirkt das, zumal in den Schlusssätzen, gesättigte, rauschende Klanglichkeit. Abendroths straffe Tempi nimmt das Orchester wie die Ansagen eines Rennleiters an sein Team. Geschlossen geht es in die Schleifen. Wobei es an Haydn ist, dafür zu sorgen, dass auch eine Bassgruppe mal ganz allein im Rampenlicht stehen darf. Wenn den Walfischen, den Luft- und Flutenbewohnern gehuldigt wird, hängt alles an Bratschen, Celli, Kontrabässen. Auch so ein Hörbild, dunkelviolett eingefärbt, serenadenhaft im Gestus, gehört zu den Schönheiten des Monuments.

Nicht zu vergessen natürlich deren Glanzmomente. Die Kantorei geht kontinuierlich mit, wirft sich in diese Passagen, ist vernehmlich in allen Stimmgruppen, stark in den Sopranen, den Bässen. Dass der Strom fließen kann, dafür sorgt Abendroth. Den Übergang zur finalen Lichtwerdung, nach der Vorstellung des Chaos, lässt er auswendig singen. Weggehen von den Noten. Dann die berühmteste Stelle des ganzen Stücks. Die aus dem Nichts kommenden gehackten C-Dur-Fortissimo-Schläge des Tutti-Orchesters fordert er mit einem Fußtritt. Creatio ex nihilo haben Theologen früher dazu gesagt. Ist nicht ganz richtig. Für einen Big Bang braucht es kritische Masse. Solche, wie sie Abendroth so bewundernswert anzureichern versteht. Institutionell wie aufführungspraktisch. Natürlich geht das nicht ohne ein sponsorenbeglücktes Düsseldorf-Festival. Andererseits registriert man doch, wie sich dieses, von Jahr zu Jahr, immer mehr hippe Programmbestandteile zulegt.

Bliebe noch ein Wort zu der die Aufführung begleitenden Projektion des Fotokünstlers Stephan Kaluza. Im Prinzip sind solche Zutaten im Oratorium-, im Orchesterkonzert natürlich überflüssig wie ein Kropf. Wenn man im Vorfeld davon läuten hört, schreckt man innerlich bereits zusammen. Dass es in diesem Fall so schlimm nicht geworden ist, liegt an der Intelligenz, mit der sich die Projektion in die Szene einbringt. Kaluza umkurvt die Fallen, die da lauern. Die idiomatischen Stimmungs- und Volumenwechsel vollzieht er bewusst nicht mit, spielt sein eigenes Ding, rückt in der ersten Einstellung eine Pusteblume ins Bild, eine Belanglosigkeit, zoomt sein Rasenstück schrittweise auf, bis er am Ende dann doch den Zeigefinger hebt. Mächtig schiebt sich eine Großbaustelle ins Bild, macht Grünchen, macht Pusteblümchen zum bemitleidens­werten Vordergrund. Die Schöpfung, heißt das, ist bedroht! − Ist sie nicht. So lang sie nur so schön musiziert wird.

Georg Beck