O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Die trauen sich was

ROCK GEGEN RECHTS
(Ilse Weber)

Besuch am
17. August 2024
(Einmalige Aufführung)

 

Open-Air-Konzert auf der Ballonwiese im Südpark, Düsseldorf

Bereits zum elften Mal findet in diesem Jahr das Ein-Tages-Festival Rock gegen Rechts auf der Ballonwiese im Südpark des Volksgartens in Düsseldorf statt. Ehrenamtliche haben sich 2013 erstmalig zum Ziel gesetzt, ein Konzertangebot unter freiem Himmel auf die Beine zu stellen, das kostenlos und nach eigenen Angaben „für Angehörige aller gesellschaftlichen Gruppen“ gedacht sein soll. Die Veranstaltung verbindet das Musikangebot „mit einer klaren politischen Haltung und dem unmissverständlichen Bekenntnis zu einer toleranten, vielfältigen und ausgrenzungsfreien Stadtgesellschaft, Familien sowie Menschen aller Couleur – unabhängig von ihrem Status, ihrer sozialen Herkunft oder sexuellen Identität“. So weit die Theorie. In der Praxis sorgt bislang die Musikauswahl für eine klar umrissene Zielgruppe, permanente abschätzige Bemerkungen über den Schlagersänger Heino von der Bühne haben weder etwas mit tolerant noch mit ausgrenzungsfrei zu tun, und was die sexuelle Identität mit einem Festival-Besuch zu tun hat, erschließt sich vermutlich nur den Veranstaltern. Dieses widersprüchliche, aufdringliche „woke“ Getue dient sich ohnehin nur einer Minderheit einer ansonsten aufgeschlossenen Stadtgesellschaft an. Allerdings scheint bei dem Verein allmählich so etwas wie Denken einzusetzen. Bereits im vergangenen Jahr bot das Festival zur Eröffnung einen Rundgang der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf durch den Volksgarten an, „um sich kritisch mit dem Veranstaltungsort und seiner speziellen NS-Geschichte auseinanderzusetzen“. Eine gelungene Eröffnung, die wegen des großen Erfolgs in diesem Jahr wiederholt wurde. Und die Entwicklung geht weiter.

Désirée Brodka – Foto © O-Ton

„Eigentlich nehme ich nicht an Veranstaltungen gegen etwas teil, ich suche mir lieber Veranstaltungen aus, die für etwas sind“, erzählt Désirée Brodka. Sie ist Vorsitzende und künstlerische Leiterin des Vereins Music to Go, der alljährlich zur Sommerzeit mit der Kurzfassung einer Oper oder einer Operette auf Open-Air-Tournee geht, um Menschen für die klassische Musik zu begeistern. Die Menschen lieben ihre Aufführungen auf öffentlichen Plätzen. Mit dabei ist die Geigerin Laura Knapp, die an der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf studiert hat – und seither eine Art künstlerisches Doppelleben führt. Einerseits sitzt sie züchtig gekleidet mit brav hochgesteckten Haaren auf den Podien der klassischen Musik, um virtuos als Konzertmeisterin zu wirken, andererseits tobt sie sich gern auch bei Rock-Festivals aus. Ihre Idee, mal einen Auftritt mit klassischer Musik bei Rock gegen Rechts zu wagen, traf bei den Veranstaltern auf offene Ohren. Und auch Brodka wollte sich ihrem sehr speziellen Einfall nicht verschließen, den sie in dem Satz „Lass uns doch mal was von Ilse Weber machen“ zusammenfasste.

Ilse Weber muss nach dem, was man über sie liest, eine großartige Frau gewesen sein. In Ungarn als Ilse Herlinger geborene Jüdin wurde sie eine bekannte Schriftstellerin, die mit Kinderliteratur in den Vordergrund trat – und so ins Visier der Nationalsozialisten geriet. Sie heiratete Willi Weber, bekam zwei Söhne, von denen einer durch ein Kinderverschickungsprogramm überlebte. Der andere begleitete sie nach Theresienstadt und nach Auschwitz-Birkenau, wo er mit ihr ins Gas ging. Viele ihrer Texte – und Kompositionen – wurden erst posthum veröffentlicht. Den Fotografien nach zu urteilen, war Weber eine bildhübsche Frau, die sich bis zuletzt für die Kinder einsetzte, um die sie sich während der nationalsozialistischen Herrschaft kümmerte. Von ihr will Knapp drei Lieder während des Festivals vortragen, schreibt dafür sogar die Arrangements für das Converse Quartet, das Freunden des Vereins Music to Go allzu bekannt sein dürfte. Denn Laura Knapp und Maria Bovina als Geigerinnen, Maksim Korobejnikov am Cello und Elizabeth Gärtner an der Bratsche bilden auch die Besetzung für die Csárdásfürstin, mit der Music to Go aktuell tourt. Eine schöne Empfehlung, und die Veranstalter des Festivals im Düsseldorfer Volksgarten sind erst mal begeistert.

Wenn man auf der Ballonwiese nicht wenigstens ein Piercing, ein Tatoo oder ein T-Shirt mit einer „antifaschistischen“ Aufschrift und ansonsten bevorzugt schwarze Kleidung trägt, fühlt man sich fremd. Für ein Open-Air-Rock-Festival ist die Menschenmenge ausgesprochen überschaubar. In der Mitte der Wiese sind etliche Stände aufgebaut. Die Linken, Aktionsbündnis gegen dies, Widerstand gegen das und so weiter. T-Shirts sind so zahlreich im Angebot wie Broschüren. Auch Bierstände gibt es, der Duft von Bratwurst fehlt allerdings. Davor ist die große Bühne aufgebaut. Eindrucksvoll sind die Bühnentechniker, die in Windeseile die Umbauten vornehmen. Weniger stechen die Techniker in Ton- und Lichtqualität hervor. Die sind wohl vornehmlich auf den großen Lichteffekt spezialisiert, mit der Ausleuchtung der Akteure hapert es gewaltig. Der langwierige Soundcheck mit den Musikern überzeugt nicht wirklich, wenn die Stimmen über den Instrumenten kaum zu verstehen sind. Der Zeitplan ist längst hinüber, als die Band Akne Kid Joe aus Nürnberg auftritt. Die Veranstalter versuchen zu retten, indem sie das Converse Quartet an den Schluss legen wollen. Schließlich einigt man sich darauf, dass das Streichquartett mit der Sängerin vor der Hauptattraktion des Abends in Erscheinung treten soll. Also werden nach Akne Kid Joe rasch Notenpulte und Stühle aufgebaut – und genauso schnell von den Bühnenarbeitern wieder beiseite gefegt. Erst einmal müsse die Bühne für den Rapper Pöbel MC eingerichtet werden. Was sich rückblickend als Vorteil für Ilse Weber erweisen wird. Denn schon, als das Plakat des Rappers aufgehängt wird, ist das für die Besucher Signal, sich vor der Bühne zu sammeln.

Wenn man die schwarze Traube vor der Bühne in der beginnenden Dämmerung sieht, kann einem schon Angst und bange werden. Diese Leute wollen Rap hören. Und schon gar keine Geschichten erzählt bekommen. Wie gehen die Musiker damit um, wenn sie jetzt ausgebuht werden? Die Spannung wird unerträglich. Und eines möchte man ganz sicher in diesem Moment nicht. In der Haut der Musiker stecken, die todesmutig auf die Bühne gehen, als sei es das Normalste auf der Welt. Nachdem die Mikrofone eingerichtet sind, begrüßt Brodka die Menge und beginnt, von Ilse Weber zu erzählen. Es wird ruhig vor der Bühne. Schon das erste Lied Und der Regen rinnt aus der Gedichtsammlung In deinen Mauern wohnt das Leid packt die Hörer. „Und der Regen rinnt. Warum bist du so fern, mein Kind?“ singt Brodka zu den herben Klängen der Streicher. Und sie erzählt weiter aus dem Leben der Schriftstellerin, die nach Theresienstadt kommt. Aus dieser Zeit, in der Weber und ihr Mann dort Texte einmauern, die Willi Weber nach dem Krieg retten wird, stammt Ich wandre durch Theresienstadt. „Theresienstadt, Theresienstadt, wann wohl das Leid ein Ende hat, wann sind wir wieder frei?“ endet das zu dieser Zeit noch hoffnungsvolle Gedicht, nicht wissend, dass sie ihre Freiheit erst im Tod findet.

Laura Knapp – Foto © O-Ton

Knapp trifft mit ihren fabelhaften Arrangements nicht nur die brutale Wirklichkeit der Lieder, sondern wählt auch die Klänge, die auf diese Bühne zu gehören zu scheinen. An Klassik denken wohl die wenigsten während der Aufführung. Vor allem, als Brodka zum letzten und wohl berühmtesten Lied Webers kommt. Wiegala, ein Wiegenlied. Und sie verrät dem Publikum auch, warum es seine besondere Bedeutung hat. Es ist die überlieferte Geschichte vom grausamen Ende, die Brodka in trockenen Tönen vorträgt. „Stimmt es, dass wir duschen dürfen nach der Reise?“ fragte Weber den Häftling eines Leichenträgerkommandos, den sie aus Theresienstadt kannte. „Nein, das hier ist kein Duschraum, es ist eine Gaskammer, und ich gebe dir jetzt einen Rat. Ich habe euch oft singen hören in der Krankenstube. Geh so schnell wie möglich in die Kammer. Setz dich mit den Kindern auf den Boden und fangt an zu singen. Sing, was du immer mit ihnen gesungen hast. So atmet ihr das Gas schneller ein. Sonst werdet ihr von den andern zu Tode getreten, wenn Panik ausbricht“, antwortete er. Und so ging Weber mit den Kindern in die Gaskammer und sang Wiegala. „Es stört kein Laut die süße Ruh, schlaf, mein Kindchen, schlaf auch du. Wiegala, wiegala, wille, wie ist die Welt so stille!“ Ganz still ist es auch für einen Moment nach der ergreifenden Interpretation Brodkas. Und wirklich, als der Applaus aufbrandet, schickt der Himmel ein paar Tränen.

Da sind Brodka, Knapp, Bovina, Korobejnikov und Gärtner vermutlich mit einem mulmigen Gefühl auf die Bühne gestiegen. Und es ist nicht verwegen anzunehmen, dass sie noch eine Weile anschließend gebraucht haben, um zu verinnerlichen, wie es ihnen gelungen ist, die Besucher des Rock-Festivals ganz tief in ihren Herzen zu erreichen. Mit drei Liedern aus einer Zeit, als es sehr dunkel in der Welt war, aber die Hoffnung weiterlebte.

So sehr den Musikern zu ihrem Erfolg zu gratulieren ist, so gilt das erst recht für die Veranstalter des Festivals für ihren Mut, ihre Grenzen zu überschreiten. Es gibt noch mehr Möglichkeiten, aus dem „gegen“ ein „für den Frieden und für eine bessere Gesellschaft“ zu entwickeln. Ob es ihnen gelingt, den eingeschlagenen Weg weiter zu beschreiten, wird im kommenden Jahr zu erleben sein. In diesem Jahr jedenfalls haben sie einen Meilenstein gesetzt.

Michael S. Zerban