O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Heimatabend

RHEIN.ROMANTISCH – EIN DÜSSELDORFER LIEDERALBUM
(Diverse Komponisten)

Besuch am
31. Mai 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Rheinstimmen-Ensemble in der Neanderkirche, Düsseldorf

Bis heute kann niemand umfassend beantworten, was eigentlich Heimat ist. Vielleicht ist der Begriff zu vielschichtig, um ihn „festzunageln“. Heute hat das Rheinstimmen-Ensemble diesem Wort eine neue Facette hinzugefügt – und das auf die schönste denkbare Weise. 2019 hat sich das Ensemble gegründet, im Februar des darauffolgenden Jahres gab es das erste eigenständige Konzert in der Johanneskirche (O-Ton berichtete). Jetzt haben die Sänger in kleinerer Konstellation zu einem Konzert in die Neanderkirche eingeladen. Die Neanderkirche liegt zwischen Andreasstraße und Bolker Straße in der Düsseldorfer Altstadt und wird gern für musikalische Aufführungen vor allem von den Festivals in der Landeshauptstadt genutzt. Die spartanische Kirchen-Ausstattung und die wunderbare Akustik lassen sie insbesondere als Spielort für kammermusikalische Ausmaße als ideal erscheinen.

Der Begriff Altstadt führt wieder zum Begriff Heimat zurück, schließlich ist das häufig der Kern der eigenen Heimatstadt. In der Landeshauptstadt muss man lange suchen, um einen gebürtigen Düsseldorfer zu finden. Und selbst zugewanderte Bürger meiden die Altstadt häufig, um Clubreisen, Junggesellenabschieden und anderen Touristen aus dem Weg zu gehen, die glauben, sich hier so benehmen zu müssen, wie sie sich es in der eigenen Heimat niemals trauten. Immer noch haftet der Stadt das „Schickimicki-Image“ an, das man allerdings abseits der Kö lange suchen muss. Was also macht Düsseldorf zur Heimat? Das will ein Ensemble – zumindest ein Stück weit – beantworten, dessen Mitglieder alle nicht in Düsseldorf geboren sind. Möglicherweise lässt sich ja Identitätsstiftendes in der musikalischen Vergangenheit der Stadt finden. Also haben die Rheinstimmen aus Deutschland, Russland, Rumänien, England, Italien und China das Programm Rheinisch.romantisch – Ein Düsseldorfer Liederalbum zusammengestellt, das man ohne Übertreibung als Liebeserklärung verstehen kann. Allein dieser Gedanke ist im Sinne einer modernen Stadtgesellschaft schon großartig. Nicht verschwiegen sei, dass einige der Sänger hier einige ihrer wichtigsten Lebensjahre zum Beispiel studienbedingt verbracht haben.

George Clark, Gabriel Sin, Irina Marakova und Julia Hagenmüller – Foto © O-Ton

Eigentlich war Eva Marti als Altistin vorgesehen, muss sich aber dann krankheitsbedingt von Irina Makarova vertreten lassen. Glücklicherweise kann das übrige Ensemble wie geplant antreten. Sopranistin Julia Hagenmüller komplettiert die weiblichen Stimmen, Gabriel Sin als Tenor und George Clark als Bass vervollständigen die Sängerriege, die sich, so viel sei schon verraten, ganz ausgezeichnet von Alina Bercu am Flügel begleitet wird. Gemeinsam eröffnen sie den Abend mit Es ist verraten aus Robert Schumanns Spanischem Liederspiel.

Nach einer kurzen Begrüßung geht es Schlag auf Schlag und klangschön weiter. Clark interpretiert Johannes Brahms‘ Dort in den Weiden, Hagenmüller fährt mit den Nachtigallen von Carl Reinecke fort. Das Ensemble ergeht sich in Felix Mendelssohn Bartholdys Es fiel ein Reif in der Frühlingsnacht, bevor Makarova Clara Schumanns Warum willst Du and’re fragen vorträgt. Im Ensemble erklingt anschließend Waldesnacht, du wunderkühle von Brahms. Bis hierhin der „ganz normale“ Liederabend, wenn man von der außergewöhnlichen Qualität der Stimmen absieht.

Aber die Rheinstimmen belassen es eben nicht beim Absingen der Lieder, sondern schaffen genau jetzt den Unterschied. Bercu tritt vor und liest einen Text über die musikalischen Vergnügungen der Düsseldorfer Bürger zur Zeit, als sich das Musiker-Ehepaar Schumann in der Stadt aufhielt. Benennt konkrete Orte, beschreibt Abläufe von Unterhaltungsveranstaltungen. Mit verteilten Rollen werden Zitate vorgetragen. Da geschieht das Unglaubliche. Plötzlich fühlen sich die Besucher in das 19. Jahrhundert zurückversetzt. Danach schaut keiner mehr verstohlen auf das Programm, um die Lieder abzuzählen, bis das Ende erreicht ist. Es ist faszinierend, wie mit diesem kleinen, aber sicher arbeitsreichen Kunstgriff – das muss erst mal alles recherchiert werden – die Stimmung vollkommen wechselt.

Im nächsten Block folgt auch der stimmliche Wechsel, nachdem das Ensemble gemeinsam Dunkler Lichtglanz, blinder Blick von Robert Schumann vorgetragen hat. Die nächsten Lieder gehören im Wechsel den männlichen und weiblichen Duos, immer vorzüglich von Bercu begleitet. „In meiner Stadt bin ich nur ein Fremder“, soll der Komponist Norbert Burgmüller gesagt haben, der tatsächlich ein gebürtiger Düsseldorfer war. Die Sänger erzählen kurzweilig seine tragische Geschichte, ehe Bercu seine eindrucksvolle Rhapsodie am Flügel vorträgt. Clark imponiert abermals, diesmal mit dem herausragenden Vortrag von Burgmüllers Harfenspieler. Von Mendelssohn Bartholdy bringt das Ensemble als Kanon Ruhetal zu Gehör, gleichsam als Nachruf, dem man nun ganz anders zuhört, weil man jetzt weiß, dass Burgmüller bereits mit 26 Jahren an einem epileptischen Anfall während des Badens verstarb.

Alina Bercu – Foto © O-Ton

Erfreulicher wird es mit den Geburtstagsgeschenken der Familie Schumann. Indem die Rheinstimmen davon erzählen, welche Geschenke sich Clara und Robert so zu ihren Ehrentagen zueigneten, gewinnt auch das Lied Roberts eine ganz andere Bedeutung. Schließlich gab es zu Die Orange und die Myrthe hier mal eben einen neuen Flügel für Clara, der geliefert wurde, während die Schumanns einen Ausflug in den Düsseldorfer Stadtteil Benrath genossen. Die hatte zuvor, noch in Dresden, Robert drei Lieder gewidmet, die das Ensemble auf gleichermaßen hohem gesanglichem Niveau vorträgt.

Na, und dann gibt es ja noch die vielgerühmten Musikerfreundschaften, in Köln spricht man despektierlich vom „Klüngel“, in Düsseldorf, so erzählen die Sänger, geht es eher darum, den Freunden behilflich zu sein. Wunderbar. Also darf Hagenmüller Schumanns Widmung eindrucksvoll intonieren. Carl Reineckes Abendlied ertönt noch einmal im Ensemble. Dramaturgisch abermals geschickt kehrt noch eine kurze sängerische Abstinenz ein, die Bercu mit der Ballade von Brahms füllt, bevor der zweite „Schlager“ des Abends, die Lorelei in der Fassung von Clara Schumann vom Ensemble vorgetragen wird. Sin darf in der Begleitung Bercus mit einem beeindruckenden Vortrag von Ferdinand Hillers Rheinmöwe glänzen, dann schließt das Ensemble den Abend mit drei Quartetten von Brahms. Die gehen so ein bisschen unter, weil die Besucher bereits zu ihren Portemonnaies greifen, um eine „Spende“ am Ausgang zu hinterlassen. Die Zugabe gerät dann zum letzten Höhepunkt des Abends, der nicht nur besonders beherzt intoniert, sondern auch genauso innig wahrgenommen wird.

Auf dem Heimweg schaut man nun mit anderen Augen auf „seine“ Stadt. Der Abend hat ins Herz getroffen, und vielleicht kann man Düsseldorf aus romantischer Sicht doch als Heimat begreifen. Die Stadt hat es möglicherweise doch verdient. Wenn es an diesem Abend etwas zu bemängeln gibt, dann ist es die Aussicht, dass ein solch gelungener Heimatabend ein einmaliges Ereignis gewesen sein soll. Wenigstens beim Schumannfest, beim Asphalt- wie beim Düsseldorf-Festival sollte er unbedingt einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das ist das Mindeste, was dieses Programm verdient hat.

Michael S. Zerban