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Lautstark verquickt

PEER GYNT
(Felix Krakau)

Gesehen am
15. Mai 2020
(Stream)

 

Schauspielhaus Düsseldorf, Zentral, Kleine Bühne

Zwei Monate nach dem Shutdown haben die Theaterhäuser – Ausnahmen bestätigen die Regel – immer noch keine neuen Internetformate entwickelt. Stattdessen bauen sie auf vorhandenes Material, das sich schnell und unkompliziert ins Internet stellen lässt, oder „witzige Wohnzimmervideos“ und langweilige Gesprächsrunden. Der Nachteil bei den Streams bereits aufgeführter Stücke: Das Filmmaterial war ursprünglich nicht dafür gedacht, veröffentlicht zu werden, sondern diente ausschließlich der internen Dokumentation. Da darf man dann schon froh sein, wenn die Aufnahmen hochauflösend aufgezeichnet wurden.

So verhält es sich auch bei dem Stream, den das Schauspielhaus Düsseldorf anbietet. Ende 2018 fand die Premiere des Stücks Peer Gynt – Düsseldorfer Jugendliche stapeln hoch und setzen alles auf eine Karte – nach Henrik Ibsen auf der Kleinen Bühne des Zentral, der Ausweichspielstätte des Schauspielhauses am Hauptbahnhof, statt. Der Jugendklub der Bürgerbühne setzt sich in der Regie von Felix Krakau mit Ibsens dramatischem Gedicht vom Bauernsohn Peer Gynt, der sich in immer größer werdenden Traumwelten verliert, auseinander. Krakau, der auch die Texte geschrieben hat, verquickt die Geschichte mit der Selbstreflexion der jungen Laienschauspieler. Weil Kostüme eine besondere Rolle spielen, hat sich Jenny Theisen eine Menge Stoff für ein kleines Budget einfallen lassen. Glücklicherweise legen Jugendliche heute sehr viel mehr Wert auf ihr Äußeres, als Theisen es mit Jogginghosen, T-Shirts und Turnschuhen suggeriert. Möglicherweise ging ihr das inzwischen zum Sprichwort avancierte Zitat Karl Lagerfelds durch den Kopf, weil es so gut zur Verwirrung der Jugendlichen passt: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.“ Denn ansonsten lässt Theisen viel Fantasie walten, was Trolle und mehr anbelangt. Ansgar Prüwer hat mit seiner Bühne einen nützlichen Rahmen entworfen. Da gibt es ein Gerüst mit drei Ebenen im Mittelpunkt, das sich drehen lässt, davor ein bisschen Raum für chorische Auftritte und rechts davon ein Podest, auf dem ein Schlagzeug Platz findet. In ein paar zusätzlichen Accessoires erschöpft sich dann schon das benötigte Material. Neben den Schlagwerk-Einsätzen sorgt Thomas Klein für eine permanente Musikuntermalung von der Festplatte, die meist unterschwellig und so leise mitläuft, dass sie mitunter eher als Störgeräusch denn als Musik wirkt. Da hätte man sich ein klareres Statement gewünscht. Krakau verlegt die Reflexionen der Jugendlichen über das Stück auf die Bühne. Geschickt treibt der Text die Geschichte Peer Gynts voran und bereitet damit den Jugendlichen den Boden, über ihr Selbst, aber auch die an sie gestellten Erwartungen, den Wunsch nach Konformität versus den Willen, ein Leben nach eigenen Maßstäben zu führen, nachzudenken. Die Pubertät lässt grüßen. Jugendliche mögen sich mit dem Gedankengut der Darsteller identifizieren, ältere Zuschauer erfreuen sich wohl eher an dem Umstand, diese schwierige Zeit überstanden zu haben.

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Und bis dahin ist auch alles gut. Warum aber Krakau die jungen Leute trotz Microport, der zwischendurch ausfällt, durchgängig hektisch, laut und dramatisch auftreten lässt, wird nicht ersichtlich. Es gibt etliche Stellen, an denen man unwillkürlich darüber nachdenkt, ob sie mit ein wenig mehr Ruhe nicht sehr viel mehr Wirkung entfaltet hätten. Und so gut und wichtig das chorische Element als theatrales Mittel ist, setzt es dann doch Wortverständlichkeit voraus. Großes Lob gilt unbedingt den jugendlichen Laien, die viel Text ohne nennenswerte Ausfälle bewältigen und im Duktus des Regisseurs bleiben. Dass der viel verschenkt, ist den Jugendlichen nicht anzulasten.

Auch hier gehen die Verantwortlichen wieder reichlich liederlich mit den Begleitinformationen um, als gelte für das Internet nicht, was für das Programmheft selbstverständlich ist: Warum hier einfach nur die Namen der Jugendlichen aufgezählt werden, anstatt ihre Rollenzuweisungen zu benennen, kapiert man nicht und kann es nur als Respektlosigkeit gegenüber den Darstellern werten. Denn Iman Abbasi, Marion Avgeris, Adriano Bennett, Henk Buchholz, Sean Schroeder-Finckh, Vega Fenske, Anne Gatzka, Luisa Mages Salgado, Ji-Hun Park und Ahmed Shmouki haben es sich redlich verdient, nicht nur als Arbeitsmaterial aufgerufen zu werden.

Anscheinend wurde hier eine Generalprobe aufgenommen, denn die Zuschauerplätze bleiben leer. Während im Programmheft am liebsten selbst noch die Bühnenarbeiter namentlich aufgeführt werden, sucht man bei Vimeo vergeblich im Begleittext, wer für Schnitt und Aufbereitung des Filmmaterials zuständig ist. Es ist peinlich und respektlos. Derjenige jedenfalls hat sich viel Mühe gegeben, ein anständiges, sehenswertes Video zu produzieren. Trotzdem wirkt die Zweitverwertung, denn mehr ist es ja nicht, ein wenig armselig. In Zukunft wird man hoffentlich der Kamera zugewandte Darsteller erleben. Denn dann wird auch ein Bühnenstück noch gewaltiges Potenzial entfalten. Gute Vorbilder gibt es in der Kinowelt genug. Mittlerweile verstehen die ersten Theater, dass sie sich eben doch mit dem Internet über die Notlösung hinaus auseinandersetzen müssen, und bieten endlich andere Formate an. Düsseldorf gehört da nicht zu den Vorreitern. Trotzdem darf man dankbar sein, noch einmal in den Genuss des engagiert aufgeführten Peer Gynt zu kommen. Düsseldorfer Bürgerbühne eben.

Michael S. Zerban