O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Theater an der Luegallee

Aktuelle Aufführungen

Böses Spiel

DIE PATIENTIN
(Gaspard Cabot)

Besuch am
11. November 2023
(Premiere am 6. April 2023)

 

Theater an der Luegallee, Düsseldorf

Vor 43 Jahren wurde das Theater an der Luegallee im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel gegründet. Ein Zimmertheater sei es, ist zu lesen. Das ist wohl ein wenig untertrieben, auch wenn die Devise „Klein, aber fein“ ganz sicher stimmt. Hinab in den Keller geht es. Nach einer sehr freundlichen Begrüßung wird man gefragt, ob man zum ersten Mal da sei, sofern man nicht ohnehin schon bekannt ist. Wer das bejaht, bekommt erst mal das Theater erklärt. Das ist grandios und so noch nicht erlebt. Rechterhand die Garderobe, daneben das Treppchen hoch die Toilette. Daran schließt sich die Bühne auf einem Podest an, vor der rechts und links Stuhlreihen mit Tischen aufgebaut sind. Auf der linken Seite gibt es eine kleine Bar und in der Ecke die Technik. Christiane Reichert, die das Theater seit 2019 mit Joachim Meurer, seit 2020 mit Frank Bahrenberg leitet, spricht von einer „Kuschel-Bude“. Ein bisschen plüschig ist es schon, und wenn jemand erzählte, es habe sich seit 1980 zumindest am Mobiliar nichts verändert, mag man das glauben. Da atmet man schon nach wenigen Minuten Theaterluft und lässt sich gern von der Atmosphäre gefangen nehmen.

Foto © Theater an der Luegallee

Programmatisch scheinen die kleinen, privat geführten Theater immer häufiger darauf zu setzen, ihre Stuhlreihen mit Komödien und Comedy zu füllen. Das mag kurzfristig funktionieren, und inzwischen sind die Zuschauer so konditioniert, dass sie hinter jedem Satz auf der Bühne einen Lacher vermuten. Ein Rückfall ins Vaudeville-Zeitalter, der solchen Theatern aber dauerhaft keine Zukunft beschert, weil seichtes Gelächter sich erschöpft und Leere hinterlässt. Das Erfolgsrezept des Theaters an der Luegallee sieht eine gesunde Mischung vor. Selbstentwickelte Revuen, eigens für das Theater geschriebene Stücke, Krimis, Lokalkolorit bis hin zu Lesungen findet man bei Betrachtung des Programms, ja, auch viele Komödien, aber eben nicht nur. Unterhaltung gewiss – und auch das ist schon diskussionswürdig – aber bitte schön mit Abwechslung. Und so steht heute Abend ein Psychothriller auf dem Programm.

Gaspard Cabot, 1966 in Strasbourg geboren, studierte in Düsseldorf Freie Künste und lebt heute in der Nähe von Paris. Sein Stück Die Patientin wird im Theater an der Luegallee als deutsche Erstaufführung gezeigt. Jezebel Miller lebt nach einem Unfall in einer Art Wachkoma. Zusammen mit ihrem Bruder Darius, der sie liebevoll pflegt und gleichzeitig das vom Vater gegründete Familienunternehmen weiterführt, lebt sie in New York in einem großzügigen Apartment in der Nähe des Central Park. Um ihre Versorgung zu gewährleisten, stellt er Maryann Hall ein, eine junge und hochmotivierte Krankenschwester, die sich auf die private Pflege spezialisiert hat. Eine wunderbare Liaison, wie es scheint. Maryann lebt sich prachtvoll ein, baut eine freundschaftliche Beziehung zu der Kranken auf und es scheint, als lebe die Patientin auf. Selbst gelegentliche Rückschläge, die seltsam erscheinen, können an dem Trend nichts ändern. Bis Darius ein medizinisches Gutachten über den Zustand seiner Schwester bei einer korrupten Ärztin anfordert. Er fordert auch Maryann auf, ein Schriftstück über den Gesundheitszustand seiner Schwester anzufertigen. Sie soll entmündigt werden, um laut Darius das Unternehmen zu retten. Bei Maryann schrillen die Alarmglocken. Allerdings die falschen. Denn sie nimmt an, Jezebel sei in Gefahr. Dass ihr eigenes Leben auf dem Spiel steht, bemerkt sie zu spät.

Foto © Theater an der Luegallee

Die Bühne ist denkbar schlicht eingerichtet. Ein Wohnzimmer, in dem zwei Sessel und ein kleiner Tisch im Vordergrund stehen, im Hintergrund eine Essgruppe mit zwei Stühlen. Zwei Säulen vervollständigen das Bild. Die Lichttechnik beschränkt sich im Wesentlichen auf das Auf- und Abblenden während der Szenenwechsel. So ist das Augenmerk ganz auf die Darstellung gerichtet. Die Schauspieler erbringen Meisterleistungen. Jan Philip Keller gelingt es innerhalb der ersten Minuten, sich als kompletter Unsympath einzuführen, so dass man schon die Lust verliert, ihn weiter erleben zu wollen. Veronika Morgoun zeigt eine Berufsanfängerin, die sich naiv bemüht, ihre wachsenden Zweifel und gleichzeitige Hilflosigkeit sehr überzeugend abliefert. Die Hauptperson des Abends ist Christiane Reichert, die auch für die Regie verantwortlich zeichnet. Ihre Darstellung des Wachkomas ist so ernsthaft, dass die Besucher endlich aufhören zu glauben, sie säßen in einer Komödie. Großartig wird es beim Besuch von Dr. Brown, die sie gleich mitverkörpert. Bei ihrer ruppigen Art stockt dem einen oder anderen schon mal der Atem. Anderthalb Stunden inklusive einer Pause lang sind die textsicher vorgetragenen Dialoge so packend und wirklichkeitsnah, dass man am liebsten selbst der hilflosen Jezebel beispringen möchte.

Entsprechend herzlich und damit angemessen ist der Applaus, den das Publikum den Darstellern zollt. Es ist für ein kleines Theater ein ganz großer Abend. Vormerken sollte man sich auf jeden Fall das Stück, das am 30. November auf die Bühne kommt. In Rheinblut – Eine Stadt jagt einen Vampir geht es um den wahren Fall des Düsseldorfer Serienmörders Peter Kürten. Ein Stück, das eigens für das Theater an der Luegallee konzipiert wurde.

Michael S. Zerban