O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Unterkühlter Jazz und überhitzte Orgel

ORGEL TRIFFT JAZZ-TRIO
(Diverse Komponisten)

Besuch am
18. Oktober 2021
(Einmalige Aufführung)

 

IDO-Festival, Lambertus-Kirche, Düsseldorf

Orgelmusik. Seien wir ehrlich. Wir haben die Sendung mit der Maus über Orgelbauer gesehen, wir haben unendlich viel Orgelmusik in der Kirche ertragen, so lange wir noch da hingehen mussten. Und wir müssen sie weiterhin hören, wenn wir zu Hochzeiten oder Beerdigungen eingeladen werden. Wir haben nie richtig verstanden, wann wir nun endlich mitsingen müssen, weil die mediokre Musik irgendwie immer nur im Hintergrund dröhnt. Unvergessen die Zeit, als die Gitarre Einzug in die sonntägliche Messe hielt. Wie eine Befreiung war das.

Herbert H. Ludwig hat das vollkommen anders erlebt. 1935 in Mülheim an der Ruhr geboren, hört er das Orgelspiel von Siegfried Reda und ist hin und weg. Zwar lernt er selbst weder das Klavier- noch Orgelspiel, sondern wird Ingenieur, aber die Begeisterung für die „Königin der Instrumente“ bleibt. Beruflich verschlägt es ihn nach Düsseldorf. In der Landeshauptstadt gibt es 168 von geschätzten 50.000 Orgeln in der Bundesrepublik. 2006 gründet Ludwig das IDO-Festival, das Internationale Düsseldorfer Orgel-Festival. Es gelingt ihm, rund 10.000 Besucher im Jahr für das Fest zu begeistern, das in den verschiedenen Kirchen der Stadt ausgerichtet wird. Dabei war ihm immer wichtig, die Vielseitigkeit der Orgel und ihre Kombinierbarkeit darzustellen. Und Ludwig setzte alles daran, das Festival zum Erfolg zu führen. Neben dem persönlichen Engagement investierte er viel privates Geld, um die Menschen für die Orgel zu begeistern.

Reinhold Richter – Foto © O-Ton

2018 übergab der Intendant die Festivalleitung an Frederike Möller. Die promovierte Pianistin hat sich eigentlich auf Toy Pianos spezialisiert, also die Bespielbarkeit kleinster Klaviere, nimmt aber die Herausforderung gerne an und wird damit das junge Gesicht des Festivals. Ob das funktioniert, wird sich spätestens bei der sechzehnten Durchführung des Festes zeigen. Möller hat verstanden, was dem Intendanten, der bis heute ein waches Auge auf die Geschehnisse im Festival hat und sich persönlich darum kümmert, wichtig ist. Da wird das Festival in die Kategorien Classic, Modern, Jazz, Cross und Family eingeteilt. Das Programmheft gewinnt erheblich an Umfang und bietet dementsprechend mehr Information bis dahin, wo es die besten oder auch keine Parkplätze gibt. Das ist löblich.

Begonnen hat das Festival am 24. September, und es wird bis zum 1. November dauern. Heute steht die Kategorie Jazz auf dem Programm. Und der Empfang an der Lambertus-Kirche fällt gleich herzlich aus. Vor dem Eingang erwarten die Mitarbeiter die Gäste zur 3G- oder 4J-Kontrolle. Jeimpft, jenese, jetestet und jut jelaunt – also eigentlich eher die 5J-Kontrolle, aber all das nimmt der Rheinländer ja jetzt wirklich nicht so „jenau“. Herrlich. Und die wesentlichen Informationen gibt es gleich dazu. Auf Seite blabla finden Sie das Programm, auf Seite blabla Informationen zu den Künstlern. Nehmen Sie doch gleich das Programmheft, kriegen Sie aber drinnen auch noch mal. Gehen Sie rechts, wenn Sie eine Karte haben, sonst bitte hinter der Glastüre links. Ist das nicht ein wunderbarer Empfang? Da braucht es doch keinen Sekt mehr. Willkommen im Rheinland.

Annähernd pünktlich beginnt der Abend. Dass der frühere Oberbürgermeister Thomas Geisel nebst Gattin auf reservierten Plätzen teilnimmt, wird mit wohlwollendem Raunen der übrigen Gäste zur Kenntnis genommen. Möller begrüßt die Besucher, die heute Abend das Sebastian Gahler Trio zusammen mit Reinhold Richter an der Orgel erleben werden, ehe Gahler selbst das Programm erläutert. Hier fühlt man sich gut aufgehoben, auch wenn man weder Jazz noch Orgel mag. Einfach mal ausprobieren.

Sebastian Gahler und Matthias Nowak – Foto © O-Ton

Die drei Jazzer, Sebastian Gahler am Flügel, Matthias Nowak am Bass und Ralf Gessler am Schlagzeug beginnen den Abend moderat, ehe Reinhold Richter, seines Zeichens Organist und Kantor an St. Helena in Mönchengladbach-Rheindahlen, der Orgel erste dissonante Klänge entlockt. Im dritten Teil des Stücks von Olivier Messiaen La vierge et l’enfant – die Jungfrau und das Kind – äußert sich das Jazz-Trio erneut mit seiner Sicht zum Werk und einem ersten Schlagzeug-Solo. Ähnlichkeiten zwischen dem, was die Orgel spielt, und den Klängen der Jazzer sind für den musikalischen Laien kaum zu entdecken. Eher kann man den Abend so verstehen, dass Gahler, der für alle Arrangements verantwortlich ist, sich von den Orgelwerken inspirieren lässt. Zusammen mit einer gehörigen Portion Improvisation ergibt sich so ein sehr abwechslungsreiches Klangbild. Desseins éternel – ewige Ratschlüsse – gibt es ebenfalls von Messiaen. Über einem tiefen Dauerton erklingen langanhaltende hohe Töne. Daran schließen sich die Assoziationen des Trios an, die sich fein und zurückhaltend geben. Gessler zeigt, wie man dem Schlagzeug leise Töne entlockt. Das ist faszinierend.

Mit dem Finale aus Satyagraha von Philip Glass spielt Richter den absoluten Höhepunkt des Abends. Eine völlig neue Klangwelt, in der sich minimalistische Variationen in die Höhe schrauben, immer ätherischer werden, bis der Kirchenraum gänzlich mit überbordenden Klängen gefüllt ist. Als die Tonflut verebbt, beginnt das Publikum, wieder zu atmen. Ein Erlebnis! Von der vorderen Kante des Altarraums gibt es einen „Nachhall“ des Pianos, ehe das Trio jazzig-verspielter wird. Nach Glass den Choral Vater unser im Himmelreich von Felix Mendelssohn-Bartholdy zu wählen, sorgt für einen echten dramaturgischen Spannungsabfall. Da können die Jazzer nur noch mühsam mit verswingten Klängen retten. Immerhin findet Richter dann noch mit den Litaneien von Jehan Alain einen imposanten und damit gelungenen Abschluss.

Insgesamt ist das Konzept aufgegangen und hat dem Publikum einen ausgesprochen unterhaltsamen Abend geliefert. Dass der nach knapp anderthalb Stunden beendet ist, wird von den Besuchern goutiert, denn viel länger hält man es bei den Temperaturen auf den Kirchenbänken auch nicht aus. Und so fällt der Applaus ausgesprochen herzlich, aber nicht langatmig aus. Wer anschließend noch ein wenig im Programmheft blättert, wird dort noch viele vielversprechende Abende in den kommenden knapp zwei Wochen entdecken.

Michael S. Zerban