Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
ONE WOMAN BAND
(Diverse Komponisten)
Besuch am
11. November 2022
(Einmalige Aufführung)
Als Schau- und Spielplatz für einen Experimental Music Circus die Rotunde der Düsseldorfer Tonhalle zu wählen, ist natürlich genial. Besser könnte die Anspielung gar nicht sein. Und es geht auch gleich los wie im Zirkus. Parlierend mit Adrián Castello, ihrem Tanzpartner an diesem Abend, betritt Dorrit Bauerecker die Menagerie, unterläuft schon einmal das Auftrittsritual. Machen das nicht auch die ehrwürdigen Clowns? Immer schön auf der Mitte zwischen Ernst und Heiterkeit? So halten es die beiden auch. Castello gibt den Beleuchter, hantiert im Verlauf der Performance mit den Scheinwerfern, stellt sie mal da, mal dorthin. Dann verzieht er sich in die Tiefen der Eingangshalle, hängt sich in ein aus Tüchern geknüpftes Trapez, geht ab, absolviert Kurzstreckenläufe. Rund ist die Rotunde. Rund ist die Halle.
Fluxus, woran dieser Abend in so manchen eigentümlichen, wunderbar schrägen Zutaten erinnert, hat das auch nicht anders gemacht. Und während wir so allmählich Witterung aufnehmen und darüber nachsinnen, weshalb das Happening aus unseren Konzerten verschwunden ist und einmal mehr dabei sind, vom düsteren Loch unserer verhängten „Zeitenwende“ hypnotisiert zu werden, hat sich Dorrit Bauerecker, als hätte sie uns verstanden, vor einem ihrer Toy Pianos in Spielposition gebracht. Damit geht’s los. Nicht mit dem Steinway. Der kommt später dran. Als Pianistin, als Akkordeonistin, die sie ist, ist Dorrit Bauerecker immer zugleich Performerin. Wie die Kugeln in der Lostrommel geht das hin und her, in sämtlichen Nummern dieses Programms. Letzteres zeigt sich als wohl dosierter Mischsatz amerikanisch-angelsächsischer, deutscher, französischer Provenienz. Und alle huldigen sie der légèreté, der lightness, der Leichtigkeit. Versuchen es zumindest.
Foto © Susanne Diesner
Im Zentrum hockt ein Huhn. Zugeschaut, wie es sich bewegt, zugehört, was es für ein Gegackere hervorbringt, hat Jean-Philippe Rameau, um La Poule, ein angefluxtes Klavierstück aus dem Jahr 1729, in seinen Nouvelles Suites de Piece de Clavecin zu beheimaten, woraus es immer mal wieder, wie auch jetzt, aufgescheucht wird. Es ist dieser Fünfminüter, mit dem die One Woman Band die größe Nähe zum klassischen Klavierabend einnimmt. Auch Grigory Sokolov haben wir schon damit gehört. Nur, dass dies der Soloabend von Dorrit Bauerecker ist, was zunächst einmal besagt, dass der große Kunsternst für die Dauer des Programms in die Pause verabschiedet ist. An seine Stelle rückt die facilité.
Aufgespürt hat sie Bauerecker dort, wo sie eines ihrer wichtigsten Basislager unterhält: an der amerikanischen Ostküste. Julia Wolfe, Stephen Montague und auch Tom Johnson sind zu nennen. Komponisten, die alle durch das Cage-Tauchbad gegangen sind. Eine Erfahrung, die sich unverwechselbar in ihre Partituren eingegraben hat. Nicht nur hinsichtlich jener steten Präsenz aus U und E. Es ist vor allem die Ökonomie, das human Ausgehörte dieser Musiken, das fasziniert. Sei es, dass Bauerecker auf diesem resonsanzkörperbefreiten Ding von Musikinstrument Mirabella, a Tarantella for Toy Piano von Stephen Montague vorträgt. Ein Stück, in dem nichts drin, an dem alles dran ist und das ungemein charmant daherkommt. Oder sei es, dass Julia Wolfes East Broadway in Gang gesetzt wird, ein ebenso munterer wie ironischer Dialog zwischen der Toy-Pianistin Bauerecker und einer fauchenden Boombox, wie sie manche in ihre Autos verbauen, andere sich auf die Ohren geben. Die Bauereckersche Version ist ein hölzerner Kasten, aus dem lustige Lämpchen hervorragen, die, wie in der Disco, vor sich hin flackern. Und apropos Dialog. Das kompositorische Markenzeichen des heute in Paris lebenden Amerikaners Tom Johnson, seine Counting Duets, trägt Bauerecker zusammen mit dem special guest ihres Soloabends, mit Moritz Eggert vor. Wie Luftmaschen sind diese kontrapunktisch ausgesetzten, mal vorwärts, mal rückwärts abgespulten Zahlen-Kolonnen zwischen die Beiträge eingeflochten. Es braucht nicht viel, um Kunst zu machen.
Foto © Susanne Diesner
Drei Stücke aus Hämmerklavier, dem work in progress, das Moritz Eggert seit geraumer Zeit in seiner Kompositonswerkstatt auf der Werkbank liegen hat, sind mit und für Bauerecker entstanden. Hierbei handelt es sich um vorwiegend flächig gearbeitete Klaviersätze, die mit allen möglichen klingenden, quietschenden, schabenden Assistenzen aufgehübscht werden. „Nebeninstrumente“ sagt Eggert dazu. Das interessanteste dieser Stücke hat man sich für den Schluss aufgespart, Dual Band, ein Dialog zwischen One Woman Band am Klavier und One Man Band am Toy Piano, das mit kleinem Schlagwerk nachgerüstet ist.
Nicht zu vergessen eines der Paradestücke im Soloprogramm von Bauerecker. Gichtgriffel und Achterbeene für Schifferklavier und Fußpedale hat Niklas Seidl eigens für die Musikerin geschrieben. Um den Motivkern eines Schlagers der Hamburger Seemannsfolklore, ist Sprechgesang sowie ausgedehntes Zuspiel aus der tristen Alltagswelt der Anonymen Alkoholiker montiert. So was lastet nicht nur auf dem Stück. Hier, wie in Oxana Omelchuks Gfätterle für Akkordeon und zwei Casio-Keyboards, zeigt die Dramaturgie Längen, Schleifen.
Die in der Zugabe des Abends wie weggeblasen sind. Dorrit Bauerecker am Flügel. Der Titel des Stücks nicht gelistet im Programmheft. Es gilt, etwas zu erraten. Die Älteren im Publikum haben dabei die größeren Chancen. Dann, spätestens als die Pianistin nachtigallgleich zu flöten, zu singen anfängt, macht es klick. Blackbird. Weißes Album. Paul McCartney. Hier als Bearbeitung des Kölner Musikers Axel Lindner vorgetragen. – Das Leichte, das so schwer zu machen ist? I wo. Man muss nur, wie Dorrit Bauerecker, Mut haben. Und schon ist das losgelassene, das befreite Musizieren ein Kinderspiel.
Georg Beck