O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Sonnenaufgang im Konzertsaal

NATURVERBUNDENHEIT
(Carl Nielsen, Jean Sibelius)

Besuch am
14. April 2024
(Einmalige Aufführung)

 

Landesjugendorchester NRW in der Tonhalle, Düsseldorf

So ein Jugendorchester trägt ja den „Makel“ schon im Namen. Natürlich sind alle dafür, die Jugend zu fördern. Aber wenn man ins Konzert geht, soll es schon der große Name sein, da möchte man nicht gern mit dem Nachwuchs „abgespeist“ werden. So hilft es auch wenig, wenn es das Landesjugendorchester NRW ist, bei dem man schon mal bei dem Wettbewerb Jugend musiziert gewonnen haben muss, um überhaupt aufgenommen zu werden. Die 14- bis 24-Jährigen, die in das Orchester kommen, haben in der Regel schon mal zehn Jahre Übung mit ihrem Instrument, erste Konzerte hinter sich. Das ist länger als eine Lehre oder ein Studium. Es ist ein Exzellenzorchester, das in die Stadthallen kleiner Städte eingeladen wird, um sich dort dann feiern zu lassen. Dabei hat der Verein zur Förderung von Landesjugendensembles, zu dem das Landesjugendorchester gehört, seinen Sitz in Düsseldorf, ein paar hundert Meter von der Tonhalle entfernt. Nachdem der Konzertsaal seine Einladung wieder zurückgezogen hat, haben die Verantwortlichen für das Landesjugendorchester entschieden, die Tonhalle für einen Auftritt anzumieten. Es ist eine gute Entscheidung und ein wichtiges Signal für die Jugendlichen.

Die sind aus ganz Nordrhein-Westfalen in einer Jugendherberge mit angeschlossener Sporthalle zu einer zehntägigen Probenphase zusammengekommen, um ihr neues Programm einzustudieren. Sie haben in Instrumentengruppen mit Dozenten bekannter Orchester geübt, haben sich von Dirigenten im Ensemble trainieren lassen. Ein erstes Konzert gab es – fast möchte man sagen, wie üblich – in der Stadthalle von Olpe. Dort, nicht in der Landeshauptstadt, hat es der Westdeutsche Rundfunk aufgezeichnet, aber immerhin aufgezeichnet. In Troisdorf gab es den zweiten Durchlauf, ebenfalls in der Stadthalle. Und nun, während am wenige Meter entfernten Rheinufer eine Kirmes die Menschen anzieht, treten sie also in der Tonhalle auf, da, wo die Düsseldorfer Symphoniker ihre Heimat haben. Fein rausgeputzt haben die Jugendlichen sich. Keine Order von oben verpflichtet die jungen Herren, sich Fliegen um den Hals zu binden und schwarze Anzüge und weiße Hemden zu tragen, auch die schwarzen Abendkleider der jungen Damen hat niemand angeordnet. Aber irgendwie gehört es für die Jugendlichen wohl dazu, und ein schönes Bild ergibt es schon.

Betrieb herrscht im Konzerthaus wie beim Auftritt eines prominenten Orchesters. Nur über die Besucherschar soll man sich nicht täuschen. Freunde, Bekannte und Familienangehörige dürften wohl den Großteil des Publikums ausmachen, das sich so zahlreich eingefunden hat. Aber warum nicht. Immerhin füllen die Besucher das Parkett. Und im gutbesetzten Rund ist die Laune famos. Schließlich steht ein ungewöhnliches Konzert bevor. Unter dem Titel Naturverbundenheit sind Werke von Carl Nielsen und Jean Sibelius vorgesehen. Auch das ein Film gezeigt werden soll, hat sich wohl im Vorfeld herumgesprochen.

Foto © O-Ton

Vor Konzertbeginn fragt man sich dann allerdings, ob man hier richtig ist, wenn man Musik hören will. Es ist vollkommen in Ordnung, dass Michel Rychlinski, Geschäftsführer des Vereins, den Abend mit der Bitte um finanzielle Unterstützung des Orchesters eröffnet, noch viel schöner, dass er die Gelegenheit nutzt, sich bei den Eltern zu bedanken, die sich schon länger finanziell beteiligen. Aber wer glaubt, es ginge dann los mit der Musik, sieht sich getäuscht. Eine Übersicht über die Programme der kommenden beiden Jahre folgt. Und damit nicht genug, hat man doch eigens eine Moderatorin für den Abend engagiert. Der Dirigent betritt die Bühne – um ihr ein Interview zu geben. Mittlerweile ist die erste Viertelstunde verstrichen. Hatte irgendjemand gehofft, heute Abend neue, gar musikalische Aspekte zum Thema Naturverbundenheit zu erleben, wird er zunächst eines Besseren belehrt. Daniel Johannes Mayr, Erster koordinierter Kapellmeister an der Oper Bonn, der für den ursprünglich vorgesehenen Hossein Pishkar einspringt, nutzt die Gelegenheit für einen Kurzvortrag über das Orchester des Wandels, eine Umweltaktivisten-Gruppe in der Orchesterlandschaft. Um es gänzlich auf die Höhe zu treiben, darf dann auch noch eine Jugendliche aufsagen, wie gern das Landesjugendorchester auch Teil des Orchesters des Wandels wäre. Immerhin lernt der Besucher an diesem Abend, dass man auch ein Konzert noch für aktivistische Zwecke missbrauchen kann. Ob ausgerechnet ein Jugendorchester dafür eingespannt werden muss, mag sich jeder selbst überlegen.

Ach, die Musik. Ja, die gibt es auch noch. Beginnend mit der Helios-Ouvertüre des dänischen Komponisten Carl Nielsen, die in Deutschland weniger bekannt ist als im Heimatland Nielsens, wo sie jedes Kind kennt. So steht es auf der Netzseite, wird aber selbstverständlich auch noch einmal mündlich ausgeführt. Ebenso wie der Umstand, dass Nielsen sein Werk gar nicht in Dänemark, sondern in Griechenland komponiert hat. Im Übrigen ein wunderbares Werk, das den parallel auf einer Leinwand präsentierten Film mit Naturaufnahmen von Andreas Bachmann untermalt. So eindrucksvoll die Bilder sind, gebraucht hätte es sie nicht, um von der großartigen Leistung der Musiker abzulenken. 1903 schrieb Nielsen das knapp eine Viertelstunde dauernde Werk, das bis heute in Dänemark im neuen Jahr als erste Musik gespielt wird. Er stellte der Konzertouvertüre, die er Julius Röntgen gewidmet hat, ein Motto voran. „Stille und Dunkelheit – dann steigt die Sonne unter freudigem Lobgesang – wandert ihren goldenen Weg – senkt sich still ins Meer“, hat er geschrieben. Und das spielen die Jugendlichen nun wunderbar nach.

Dem folgt sein Flötenkonzert, das 23 Jahre später entstand und das heute zum internationalen Repertoire für das Instrument gehört. Dazu haben die Verantwortlichen des Landesjugendorchesters die Querflötistin Anne-Cathérine Heinzmann verpflichtet. Dass eine Solistin vom Blatt spielt, erlebt man nicht so oft. Die Jugendlichen ficht das nicht an. Sie lassen sich von Mayr stringent durch das Werk führen, über das es durchaus geteilte Meinungen gibt. Tatsächlich beeindruckt hier das Spiel der jungen Musiker mehr als die Musik selbst. Heinzmann lässt sich eine Zugabe nicht nehmen. Sie spielt den zweiten Satz Jade aus Pierre-Octave Ferrouds Trois Pièces pour Flûte seule aus dem Jahr 1922.

Foto © O-Ton

Es ist zu spüren, mit welchem Engagement die Verantwortlichen des Vereins alles unternehmen, um den Jugendlichen und ihrem Publikum einen unvergesslichen Abend zu bereiten. Es geht nicht nur darum, ein exzellentes Orchester auf die Beine zu stellen, sondern vor allem sollen die jungen Musiker Wertschätzung erfahren, die sie für das Leben prägen wird. Das vermittelt auch Dirigent Mayr, der für die Arbeit mit den Jugendlichen großen Dank äußert. Er steht stellvertretend für die Gast-Dirigenten, wenn er eine gewisse Skepsis vor Beginn der gemeinsamen Arbeit verspürte und an diesem letzten Abend bedauert, dass sie nun schon wieder vorbei sein soll. Nun, bis dahin dauert es noch ein wenig.

Im Grunde geht nichts über eine kurze Einführung vor Beginn einer Aufführung, die das Publikum mit ein paar Hintergrundinformationen auf das Werk einstimmt. Michael Becker, Intendant der Tonhalle, ist so jemand, der das perfekt beherrscht. In wenigen Minuten gelingt es ihm, die Hörerschaft mit Neugier zu erfüllen. Der steht nun nicht zur Verfügung, also gibt es eine etwas längere Anmoderation, die keine wirklich neuen Informationen bietet, den Abend aber merklich in die Länge zieht.

Im zweiten Teil des Abends steht Jean Sibelius‘ zweite Sinfonie auf dem Programm. 1902 kam das etwa 45-minütige Werk in Helsinki zur Uraufführung. „Kraft, herbe Farbgebung, ernstes Pathos, Naturverbundenheit“ – so beschrieb der Reclam-Konzertführer schon 1965 sehr treffend, was die Sinfonie des finnischen Nationalkomponisten ausmacht. Und all das bekommen die Besucher der Tonhalle an diesem Abend in allem nur erdenklichen Glanz zu hören. Mayr setzt sich mit großer Verbundenheit – hier spürt man es einmal mehr – und mit vollem Körpereinsatz dafür ein, die Musiker zu Höchstleistungen anzustacheln. Als ob das nötig wäre. Das Landesjugendorchester NRW braucht sich vor keinem Berufsorchester zu verstecken. Was hier an Routine fehlt, wird mit dem sprühenden Funken überboten, der das Publikum packt.

Und so verwundert es kaum, dass die Besucher von ihren Sitzen springen, um den jungen Menschen zu applaudieren. Da ist dann schnell vergessen, dass bei den Umweltaktivisten am Ende immer noch der Beamer das Wort Naturverbundenheit auf die Projektionsfläche wirft. Bei denen kommt der Strom ja auch nur aus der Steckdose. Alles in allem hat sich das Landesjugendorchester NRW von seiner besten Seite präsentiert, das Publikum ganz in seinen Bann ziehen können und ist in der Tonhalle bestens aufgehoben.

Michael S. Zerban

Den durchaus sehenswerten Film kann man sich hier noch anschauen.