Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
MADE IN GERMANY
(Diverse Komponisten)
Besuch am
30. April 2023
(Einmalige Aufführung)
Es gibt diese Tage, wie sie schöner nicht sein könnten, zumindest, wenn man sich auf das eigene Umfeld beschränkt. In Düsseldorf ist Kaiserwetter: 18 Grad, wolkenloser Himmel, Sonnenschein satt und eine erfrischende Brise hin und wieder. Dichtgedrängt strömen Ausflügler über die Kirmes am Rheinufer unterhalb der Tonhalle. Durch den Ehrenhof flanieren Paare. Auch in der Tonhalle selbst herrscht am Sonntagnachmittag Betrieb. Denn das Tea Time Ensemble hat zum Nachmittagskaffee in die Rotunde eingeladen. Die Rotunde ist das Foyer, das einem Amphitheater gleich angelegt ist. In der Mitte ist alles für das Konzert vorbereitet, auf den Stufen sind Sitzkissen ausgelegt, auf dem oberen Absatz sind Stühle aufgestellt. Im Hintergrund wird Kaffee ausgeschenkt, der im Eintrittspreis inbegriffen ist. Dazu kann man köstlichen Kuchen erwerben.
Foto © O-Ton
Es herrscht reger Betrieb, auch wenn noch reichlich Platz für mehr Besucher vorhanden wäre. Gekommen sind überwiegend ältere Herrschaften. Das ist bedauerlich, denn hier und heute wird man viel lernen können. Die Stimmung ist entspannt. Glockenschlag 15 Uhr betreten die Musiker schwungvoll das Rund. Mit Will Meisels Berlin bleibt doch Berlin eröffnet das Programm Made in Germany, das Musik aus den 1920-er Jahren in Deutschland präsentieren will. Martin Fratz begrüßt das Publikum im Düsseldorfer Klang und sammelt damit gleich mal die ersten Gute-Laune-Punkte ein. Er moderiert den Nachmittag, und das ist ein Geschenk. In den kommenden eindreiviertel Stunden gibt es geballte Information über die Unterhaltungsmusik in einer Zeit, in der der Tanz auf dem Vulkan längst begonnen hat. Die Wirtschaft liegt darnieder, Berlin ist mehr Elend als Glanz, den Menschen gehen allmählich die Perspektiven aus. Da ist Ablenkung gefragt. Und es kann eigentlich nicht kitschig genug sein, aber das bitte mit Niveau. So entstehen Gassenhauer. In Berlin sind sie alle: die Komponisten, die das Musikleben jener Zeit bestimmen, bevor viele von ihnen das Land verlassen, um sich vor den Nationalsozialisten in Sicherheit zu bringen. Einer der typischen Titel ist Otto Stranskys Gnädige Frau, sie sind ja so schön. Beim Tea Time Ensemble wird nicht gesungen. Stattdessen veredelt das Quintett die Musik mit klassischen Instrumenten. Fratz moderiert nicht nur gekonnt, sondern sitzt auch am Flügel. Als Stehgeiger gibt Pascal Théry manches Mal den Witzbold. Die Obligatgeige wird von Ildiko Antalffy, der einzigen Frau des Ensembles, gespielt. Michael Flock-Reisinger kommt am Cello zwischendurch auch die Rolle des Solisten zu. Und für die Untermalung mit dem Kontrabass ist Francesco Savignano zuständig. Alle fünf sind erfahrene Orchestermusiker, die sich sehr entspannt geben können, weil sie ihre Lieblingsmusik spielen, von Pflicht also keine Rede sein kann. Das spürt man jeden Moment wohltuend in Spiel und Auftritt. Wenn hier mal eine Kuchengabel klappert, eine Kaffeetasse zu hart auf die Steinfliesen aufgesetzt wird oder jemand lautstark die Treppen herunterpoltert, zuckt hier niemand zusammen.
Mit dem Kavalier alter Schule von Hermann Imperto leitet Fratz auf die Münchner G’schichten von Theo Mackeben, einem der ganz Erfolgreichen, über. Längst sind viele Komponistennamen vergessen, aber wenn Fratz einige ihrer Titel aufzählt, kennt sie jeder der hier Anwesenden. Die Schlager aber werden im Wesentlichen ausgespart. Dem Quintett geht es eher um die Pretiosen, die es möglicherweise nicht in die Ufa-Filme oder in das aufkommende Radio geschafft haben. So wie Heimliche Küsse von Herbert Küster oder Du hast mir heimlich die Liebe ins Haus gebracht von Werner Richard Heymann. Heymann ist sicher einer der interessantesten Komponisten dieses Nachmittags. Er wurde 1926 Generalmusikdirektor der Ufa und war zunächst für die Kompositionen und Arrangements für Stummfilme zuständig. Mit dem Aufkommen des Tonfilms begann sein Ruhm. Er komponierte unter anderem Melodien zu Die Drei von der Tankstelle, Der Kongress tanzt oder Ein blonder Traum. Mit ihm verbinden sich einige der größten Namen des deutschen Films. Lilian Harvey, Willy Fritsch, Heinz Rühmann, Hans Albers und viele andere interpretierten unvergessene Schlager wie Ein Freund, ein guter Freund oder Das gibt’s nur einmal, das kommt nicht wieder. Und ehe die Nostalgie überhandnimmt, gibt es vor der Pause noch das erfrischende Stück Regenschauer von Fritz Gerhardt.
Foto © O-Ton
Es geht auf gleichem heiter-nachdenklichem Niveau weiter, wenn auch etwas zügiger, weil einige der Komponisten jetzt schon bekannt sind. Der Duft, der eine schöne Frau begleitet stammt von Hans May. Peter Igelhoff erlaubt sich mit Die Grete übt den ganzen Tag Klavier einen wunderbaren Scherz und steht damit auch ein wenig stellvertretend für die Musik dieser Zeit. Leicht, heiter, unterhaltsam musste sie daherkommen. Und wie in der Tonhalle zu hören ist, setzte das ein hohes Können voraus, vergleichbar einer guten Komödie. Erst, wenn die Witze wirklich hart erarbeitet sind, gewinnen sie die Leichtigkeit, die das Publikum überzeugt. Gerhard Winkler kommt mit Glaube mir zu Gehör, ehe von Gerhardt der Konzertwalzer Moselfahrt erklingt. Von Mackeben gibt es als zweites Werk Ich schenk mein Herz, ehe es im Endspurt zunehmend heiterer wird. Bei Kurt Herrlingers Um Nasenlänge kann sich Fratz den Gottschalk-Krüger-Kalauer nicht verkneifen, bügelt das aber im Stück wieder aus, indem er die Peitsche imitiert. Und die Kuckucksrufe in Winklers Kuckucksuhr setzen einen wunderbaren Schlusspunkt des Programms, ehe das Publikum mit einer Zugabe noch einmal ordentlich in den Nostalgie-Himmel getragen wird.
„Sie kennen das Stück, und etwa ab der Mitte wissen Sie, was zu tun ist“, kündigt Fratz an. Und da ist sie, die Operette, die der Konzert-Reihe ihren Namen gab – Frau Luna. Kenner wissen jetzt, was kommt. Da braucht es auch den Namen Paul Lincke nicht mehr. Seit 1904 gibt es den Gassenhauer, der bis heute Berlin sympathisch wirken lässt. Die Berliner Luft erfüllt den Raum. Beseelt klatscht das Publikum den Marsch mit, ehe es beschwingt in den nachmittäglichen Sonnenschein entschwindet.
Es kommt nicht so oft vor, dass ein Konzerterlebnis ohne Fehl und Tadel bleibt. Das gilt auch hier. Fratz bedankt sich zwar selbst beim Techniker und dem Foyer-Personal, vergisst aber, Ildiko Antalffy und Francesco Savignano namentlich zu nennen. Und das wirklich Bedauerliche: Er bekommt erst im November wieder Gelegenheit, diesen Fehler auszumerzen. Dann aber hoffentlich auch im Kreise jüngeren Publikums. Denn das Tea Time Ensemble bringt die Unterhaltungsmusik vergangener Tage mit größtem Vergnügen in die Gegenwart.
Michael S. Zerban