O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Susanne Diesner

Aktuelle Aufführungen

Ausnahmsweise konzertant

MADAMA BUTTERFLY
(Giacomo Puccini)

Besuch am
8. März 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Tonhalle, Düsseldorf

Konzertante Opernaufführungen sind ein Widerspruch in sich, so lange man die Oper als Gesamtkunstwerk begreifen und sie nicht in ihre Einzelteile zerlegen will. Aus Veranstalter-Sicht ist das zwar ein probates Mittel, um auf Kosten der Zuschauer Geld zu sparen, aber gerade deshalb sind solche Veranstaltungen mit äußerster Zurückhaltung zu betrachten.

Sicher nicht legitim im Sinne des Gesamtkunstwerks, das Komponist und Librettist gemeint haben, ist eine konzertante Aufführung, bei der man die Kosten von Bühnenbild, Kostümen, Regie und so weiter einspart, um sich so genannte Stars leisten zu können. Als wirklich Große ihrer Zunft lehnen Opernsänger solch ein Ansinnen auch ab; schließlich wollen sie die gekonnte Kombination von Gesang und Spielvermögen zeigen. Und Zuschauer sollten drei Mal überlegen, ob sie auf solche konzertanten Marketing-Gags, die in letzter Zeit auffallend zunehmen, hereinfallen wollen. Aber: Keine Regel ohne Ausnahme.

Katharina Woesner und Bryan Lopez Gonzalez – Foto © Susanne Diesner

Das beweist die Tonhalle in Düsseldorf, wenn sie dem Nachwuchs die Chance gibt, sein Können unter Beweis zu stellen, ohne die Beteiligten zu überfordern. Bei Giacomo Puccinis Madama Butterfly ist allein der musikalische Schwierigkeitsgrad schon so hoch, dass man über die darstellerische Seite noch gar nicht nachdenken möchte. Andererseits: Soll man dem Nachwuchs deshalb die Chance nehmen, sein bislang erworbenes Können zu präsentieren? Trotzdem war allen Beteiligten erst mal mulmig zumute, als Ernst von Marschall, Künstlerischer Leiter des Jugendsinfonieorchesters der Tonhalle, die Idee äußerte, diese Oper in der Tonhalle konzertant aufzuführen. Auf die Frage, warum es unbedingt diese Oper sein müsse, hatte er eine einfache Antwort: „Weil es möglich ist.“ Möglich allerdings nur, schränkte er ein, wenn die Solisten aus der Gesangsklasse Konrad Jarnot der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf kämen. Jarnot fällt immer wieder auf, weil aus seiner Klasse exzellente Sänger hervorgehen. Aber als von Marschall dem Professor seine Idee vortrug, wurde auch der unruhig. Schließlich sind selbst erfahrene Opernprofis davon überzeugt, dass die Rolle der 15-jährigen Cio-Cio-San nur von einer Sängerin mit vielen Jahren Berufserfahrung gesungen werden könne. Wenigstens die Butterfly müsse mit einem Gast besetzt werden, verlangte Jarnot – vergeblich.

Zum vereinbarten Zeitpunkt findet das Konzert in der Reihe Big Bang statt. Jarnot hat die solistische Besetzung aus seiner Klasse zusammengestellt, im Chor werden auch angehende Sänger anderer Gesangsklassen der Hochschule berücksichtigt. Außerdem versichert er sich der Hilfe seines Kollegen Thomas Gabrisch, der an der Hochschule die Opernklasse leitet, bei der Einstudierung der Sänger. Von Marschall lässt sich ebenfalls nicht lumpen und beauftragt Stefano Rabaglia mit dem Dirigat. Und der Plan von Intendant Michael Becker geht auf, der mit dieser Reihe Konzerte junger Orchester anbietet: Neben den Besuchern aus dem Silbersee sind zahlreiche junge Leute im sehr gut besuchten Saal erschienen, die mal erleben wollen, was ihre Altersgenossen da so auf die Bühne bringen.

Das Jugendsinfonieorchester, das Ernst von Marschall leitet, basiert auf einem dreizügigen Modell und ist nach eigenen Angaben weltweit einzigartig. Mit zehn Jahren können sich Kinder mit einem Vorspiel auf hohem Niveau für das junge JSO U 16 bewerben und sich dann zum JSO „hocharbeiten“. Hier übernehmen die Düsseldorfer Symphoniker die Patenschaft für einzelne Orchestergruppen. Das System funktioniert, so mancher Jugendliche hat sich nach der Mitgliedschaft im JSO für ein Musikstudium entschieden und im hart umkämpften Orchestermarkt auch eine Stelle bekommen. Dementsprechend selbstbewusst treten die rund 17-jährigen Musiker an diesem Abend auf.

Stefano Rabaglia – Foto © Susanne Diesner

Für die Rolle der Cio-Cio-San hat Jarnot Katharina Woesner ausgewählt. Damit darf sie an diesem Abend gleich ein Doppel-Debüt feiern. Erster Auftritt in der Tonhalle und die erste gesangliche Darbietung der Butterfly. Sie meistert beides mit Bravour. Tatsächlich wird ihr Auftritt zu einem überwältigenden Erfolg. Auch, wenn es hin und wieder an Textverständlichkeit mangelt, was durch die Akustik der Tonhalle mitbestimmt wird, kann sie das Publikum in ihren Bann ziehen. Und mit ihrem Duett Vogliatemi bene, un bene piccolino am Ende des ersten Akts sagt sie auch dem letzten im Saal: Ich bin Butterfly. Grandios. Und damit darf auch schon verraten werden, dass es an diesem Abend keine Verlierer, sondern nur Gewinner gibt. Von Marschall hat mit seinem Urvertrauen Recht behalten. Bryan Lopez Gonzalez tritt als Pinkerton souverän und lässig auf. Es ist nicht hundertprozentig seine Rolle, aber der Tenor glänzt stimmlich an allen Ecken und Kanten. Ähnlich verhält es sich mit Eva Marti, die ihr Studium bei Jarnot erfolgreich abgeschlossen, aber diesen Auftritt gern noch einmal wahrgenommen hat. Mit ihrem eher zum Alt neigenden Mezzo hat sie keine „echte“ Suzuki-Stimme. Aber technisch brillant und mit ihrer überbordenden Spielfreude, die sie auch hier einzusetzen weiß, kann sie vor allem im zweiten und dritten Akt überzeugen. Ihr Duett mit Cio-Cio-San gerät zu einer weiteren Glanzstunde der Oper. William Drakett als amerikanischer Konsul zeigt, dass er einmal zu den ganz großen Baritonen gehören wird. Auch die anderen Rollen sind ohne Ausnahme so vorzüglich besetzt, dass man die Bilder im Kopf hat und kaum noch auf der Bühne vermisst. Ja, sich geradezu freut, dass hier kein mediokrer Regisseur den Glanz des Abends zerstören kann. Daneben leistet der Chor vorzügliche Arbeit.

Stefano Rabaglia agiert souverän. Musiker und Sänger vertrauen ihm, und so kann er gelassen Akzente setzen, die Balance halten und auch mal dramatisch werden. Das Orchester kann man ebenso wie die Sänger kaum genug loben. Staunt man, dass hinter dem Orchester Studenten stehen, bemerkt man kaum, dass auf dem Podium Jugendliche sitzen. Vor allem die Streicher begeistern durchgehend. Dass es bei den Bläsern im ersten Akt ein paar Haken gibt, ist geschenkt.

Vollkommen zu Recht erheben sich die Zuschauer am Ende, um minutenlang zu applaudieren. Sie haben eine außergewöhnliche Aufführung mit neuen Stimmen und einem überzeugenden Orchester erlebt. Woesner hat bewiesen, dass man nicht erst das fünfte Lebensjahrzehnt vollendet haben muss, um eine bewegende, 15-jährige Cio-Cio-San zu singen. Es lebe die konzertante Aufführung.

Michael S. Zerban