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Foto © Jonas Geyersberger

Aktuelle Aufführungen

Die Wahrheit über die Lady

MACBETH. DIE DUNKLE LADY
(Juliane Sattler)

Besuch am
14. Oktober 2018
(Uraufführung)

 

Die Chemiker, Junger Kammerchor Düsseldorf, Partika-Saal der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf

Eigentlich studiert Juliane Sattler Kulturmanagement und Kulturpädagogik an der Hochschule Niederrhein. Nebenbei, wie sich das für moderne Studenten gehört, arbeitete sie für Chor- und Opernfestivals, Theater und Konzerthäuser. Und weil sie das alles nicht auszulasten scheint, wirkt sie auch beim Theater-Ensemble Die Chemiker und beim Jungen Kammerchor Düsseldorf mit. Die Chemiker wurden 2012 an der Heinrich-Heine-Universität gegründet, der Kammerchor entstand 2014 auf Initiative einiger Düsseldorfer Studenten, die sich zum Ziel gesetzt haben, anspruchsvolle geistliche und weltliche Chormusik in kammermusikalischer Besetzung zu Gehör zu bringen. Jetzt hat sie ihre erste Schauspiel-Bearbeitung vorgelegt und auch gleich mit umgesetzt. Wie so oft standen Zweifel am Beginn ihrer Arbeit.

Da zeigt uns William Shakespeare die Ehefrau des Edlen Macbeth im gleichnamigen Stück zunächst als mordlüsterne, machthungrige Furie, die vor nichts zurückschreckt. Und dann soll sie sich plötzlich das Leben genommen haben. So ganz nebenbei wird das im Stück mal eben so verkündet. Das ist doch Quatsch. Und seit wann spielen Orakel in der Machtpolitik von Höfen oder Regierungen eine Rolle? Noch nie. Selbst wenn irgendwelche abergläubischen Machthaber sich auf solche Quellen gestützt haben, waren doch die Orakel meist manipuliert. Was, fragt Sattler, wenn eigentlich alles ganz anders war? Hilfreich bei der Antwort ist sicher ihre Lust, aus neuen Blickwinkeln auf Altbekanntes zu schauen und Tradition und Moderne zu verbinden.

Im Fall von Macbeth kommt sie so zu einer wunderbar funktionierenden Lösung. Da sind die Hexen plötzlich keine überirdischen Wesen mehr, sondern schlichte Befehlsempfängerinnen. Und die Lady bleibt so tough, wie sie es von Anfang an war. Das ist überaus intelligent erzählt und funktioniert schlüssig bis zum Ende. Es ist nicht die einzige Überraschung an diesem Abend im Partika-Saal der Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf.

POINTS OF HONOR

Musik



Gesang



Regie



Bühne



Publikum



Chat-Faktor



Der Wermutstropfen liegt in der Umsetzung einer wunderbaren Idee. Der Konzertsaal der Musikhochschule ist durchaus nicht der akustisch perfekte Ort für eine Schauspiel-Aufführung. Wenn es Nebengeräusche gibt, wie sie etwa ein Säugling produziert, der sich an diesem Abend ausgesprochen lebhaft zeigt, sind die Schauspieler schon nicht mehr zu verstehen. Und nicht nur das entgeht Regisseurin Nina Lange. Auch das Licht ist auf einen Konzertbetrieb ausgelegt. Da bleiben die Effekte abseits von Scheinwerfer aus und ein doch arg begrenzt. Auch die Bühne muss auf Spezialeffekte gänzlich verzichten. Hinter einem Paravent, auf dem es wenigstens wechselnde Prospekte von Marina Lukin gibt, sind die zahlreichen Requisiten versteckt, die abwechselnd auf die Bühne getragen werden. Lichtblicke sind die Kostüme von Andrea Freitag, die sie wirklich liebevoll detailreich und historisierend an das schottische Hochland und seine Clans angepasst hat, und die Maske von Irene Malinowski, die mit Perücken und Farbstiften wahre Wunderwerke vollbringt. Das gelingt Lange nicht. Die Szenenwechsel sind abgehackt und in die Länge gezogen, und in der Personenführung geht es über die Leistungen einer Laienspielschar über weite Strecken nicht hinaus. Die Regisseurin klebt an einer metrischen Sprache, verzichtet auf die Souffleuse, die dringend geboten wäre. Hölzerne Dialoge, Versprecher und fehlende Leidenschaft sind die Folge. Da wird unglaublich viel Potenzial verschenkt.

Foto © Jonas Geyersberger

Sattler selbst spielt die Lady Macbeth. Und zeigt die mit Abstand beste Leistung des Abends. Danach kommt ein tiefes Loch, was Darstellung und Sprache angeht. Sebastian Mazurkiewicz zeigt einen Macbeth, der seelische Nöte und Verzweiflung spielt und einigermaßen textsicher über die Runden kommt. Abdullah Tezcan fehlt aufgrund der hölzernen Bewegungen die Souveränität eines Königs von Schottland. Die Rolle des Malcom liegt eigentlich bei Andreas Hanning in guten Händen, aber wenn der Regisseurin nichts einfällt, steht er halt rum. Malinowski macht neben ihrer Zauberhand in der Maske auch als Banquo eine gute Figur, so weit die Regie es zulässt. Einen „bezaubernden“ Auftritt liefern die drei Hexen Melanie Plenter, Isabell Powazka und Jenny Hust vor allem aufgrund ihrer eindrucksvollen Maske ab. Verständlich sind sie immer nur bruchstückhaft. Diana Wolf als Arzt, Marina Lukin als Diener, Jasmin Kurafelski als Banquos einziger Sohn Fleance oder Andrea Freitag als herrlich skurril aussehender Macduff schwimmen an der Oberfläche herum.

Noch einmal: Die Geschichte ist wunderbar neu erzählt. Allein deshalb lohnt sich der Besuch. Und auch die zweite Grundidee ist großartig. Immer wieder tritt der Junge Kammerchor Düsseldorf auf. Er interpretiert in der musikalischen Einstudierung von Matthias Staut und Ingo Plaschczek die neue Komposition von Johannes Karst. Seitlich von der Bühne aufgestellt, geht die Textverständlichkeit gegen Null. Aber man bekommt mit, mit welcher Sorgfalt Plaschczek die anspruchsvolle, aber eingängige Musik mit den Choristen durchgeht und mit welcher Leidenschaft die Chormitglieder dabei sind. Allein dafür lohnt der Besuch des Abends. Eine Zusatzseite im ansonsten kompletten Programmheft mit den Texten wäre möglicherweise machbar gewesen und hätte den Genuss erhöhen können.

In der Applausordnung geht dann – nach nahezu zweieinhalb Stunden Aufführungsdauer – erwartungsgemäß alles durcheinander. Die Zuschauer ficht das nicht an. Sie sind begeistert von der Musik und den Kostümen, so ist in der Pause zu hören. Und die Folgevorstellungen seien hier empfohlen, denn der Aufführungsort ist dann der Gemeindesaal der Kreuzkirche in Neuss-Gnadental. Und da könnte sich die Akustik dramatisch verbessern. Am 27. und 28. Oktober können sich die Besucher davon überzeugen.

Michael S. Zerban