O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Gegen die Einsamkeit

KAMMERKONZERT
(Diverse Komponisten)

Besuch am
29. Oktober 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Hallo Nachbar! im Pfarrsaal Maria Empfängnis, Düsseldorf

Nachbarschaftshilfe. In früheren Zeiten überlebensnotwendige Selbstverständlichkeit. Wer alt und gebrechlich wurde, durfte sich sowohl im ländlichen Raum als auch in der Stadt darauf verlassen, dass die Nachbarn sich kümmerten, einsprangen, wenn es mit dem täglichen Einkauf nicht mehr so funktionierte, Wege allein zu beschwerlich wurden oder einfach auch mal Zeit für einen Plausch gegen die Einsamkeit war. Schleichend löste die Individualisierung das Miteinander in der Gesellschaft ab. Im Gegenzug entstanden in der Stadt zahlreiche Hilfsangebote. So lange man in der Lage ist, sich ungehindert zu bewegen, gibt es eine Vielzahl von Veranstaltungen, an denen man selbst noch mit wenig Geld teilnehmen kann. Aber wehe, wenn es beschwerlich wird. Die Lücke zwischen dem häuslichen Umfeld und der Welt wird größer. 2013 erkannte der Düsseldorfer Franziskaner-Orden eben diese Lücke und gründete die ehrenamtliche Initiative Hallo Nachbarn! Heute leisten rund 160 Menschen kleine Hilfestellungen für ihre „Nachbarn“. Dabei geht es nicht um Betreuung oder Pflege, für die andere Stellen zuständig sind. Mal auf einen Kaffee zusammensitzen, die Einkäufe übernehmen oder die Begleitung zu Behördengängen, die Möglichkeiten sind vielfältig. Aus vielen solcher Begegnungen haben sich Freundschaften entwickelt. Und das ist auch so gewollt. Im Verein Vision:Teilen, in dem die Initiative angesiedelt ist, kennt man kein vergleichbares Angebot in anderen Städten, ist aber gern bereit, bei der Verwirklichung beratend zur Seite zu stehen.

Miyuki Brummer – Foto © O-Ton

Und einmal im Jahr organisiert Hallo Nachbarn! ein Konzert für die Nachbarschaft im Pfarrsaal der Marienkirche gleich neben der Oststraße. Formal ein Benefizkonzert, bei dem Spenden erbeten sind, tatsächlich wohl eher eine Zusammenkunft von Nachbarn, Ehrenamtlern und den inzwischen angestellten Sozialarbeitern. Nicht nur der Empfang ist außerordentlich herzlich, es liegt auch eine Freude in der Luft.

Die Pianistin Miyuki Brummer, der Flötist Klaus-Peter Riemer und die Sopranistin Ekaterina Somicheva haben unter dem schlichten Titel Kammerkonzert ein ansehnliches Programm zusammengestellt, das sie in der schmucklosen, sachlichen Atmosphäre des Pfarrsaals vortragen. Riemer führt mit kurzen Moderationen durch den Abend alter Musik. Eröffnet wird der bunte Reigen mit Domine Deus aus Gloria von Antonio Vivaldi. Das Ave Maria wird in verschiedenen Versionen vorgetragen werden, die schönste ist aber sicher die von Giulio Caccini aus dem 16. Jahrhundert, die Somicheva als nächstes vorträgt. So wenig man der Akustik dieses Saales trauen mag, und sie nutzt dem Flügel noch eher als dem Klang der Querflöte – den Gesang alter Musik unterstützt sie fabelhaft. Das wird besonders deutlich, nachdem Riemer und Brummer das Air aus der Ouvertüre D-Dur, BWV 1068 aus der Feder von Riemers Lieblingskomponisten Johann Sebastian Bach dargeboten haben. Dann nämlich trägt Somicheva in Begleitung der beiden Die Landluft. Kleine Kantate von Wald und Au von Georg Philipp Telemann aus dem 18. Jahrhundert vor. Das könnte in einem Film, der in dieser Zeit spielt, nicht perfekter klingen. Man sieht die Landschaft förmlich vor sich. Wunderbar.

Ekaterina Somicheva – Foto © O-Ton

Mit ihrem solistischen Ausflug greift Brummer auf zwei Schlager der romantischen Musik zurück. Franz Liszts Liebestraum Nr. 3 in As-Dur kommt dem Publikum ebenso bekannt vor wie Robert Schumanns Träumerei aus den Kinderszenen. Gemeinsam lassen die drei die ersten beiden Arien Süße Stille, sanfte Quelle und Singe Seele, Gott zum Preise von Georg Friedrich Händel erklingen. In reiner Klavierbegleitung interpretiert Somicheva ihr zweites Ave Maria, diesmal in der Version von Franz Schubert. An Caccini reicht es nicht heran, und das liegt nicht an der Sängerin. Mit Meine Seele hört im Sehen und Flammende Rose. Zierde der Erden bringen die drei zwei weitere Arien von Händel zu Gehör. Noch einmal geht es zu Bach. Jesu, bleibet meine Freude geht Vincenzo Bellinis Angiol di Pace voran. Die zurückliegende zweiwöchige Konzertreise lässt die Opernsängerin sich ebenso wenig anmerken wie die Erkältung, die sie gerade überstanden hat. Da geht es in der Programmfolge turbulenter zu, als dem Abendzettel zu entnehmen ist. Überraschend wird die Sonate für Klavier und Flöte von Gaetano Donizetti eingefügt, um „feuriges Temperament“ aufkommen zu lassen, erzählt Riemer, hält aber das Versprechen nicht so ganz. Er entschließt sich spontan, gleich wieder zu Bach zurückzukehren und die Sarabande als dritten Satz aus der Partita a-Moll solistisch vorzutragen.

Die dritte Version des Ave Maria an diesem Abend stammt von Charles Gounod, erreicht aber ebenfalls Caccini nicht. Mit Panis Angelicus von César Franck wird der Abend wunderbar abgerundet. Das Publikum, das bislang schon jeden Beitrag ausgiebig applaudierte, feiert die Musiker nun erst recht ausgiebig und freut sich über die Wiederholung des Panis Angelicus als Zugabe. Dass sich viele der Besucher anschließend persönlich bei den Künstlern bedanken, ist nur konsequent. Sie haben ein großartiges Programm zu hören bekommen. Und nein, heute Abend wird nicht viel Geld mit der Kultur verdient, aber ein ganzer Saal voller Menschen hat sich in ihr heimisch gefühlt.

Viele davon verlassen das Haus in Gesellschaft. Die Initiative Hallo Nachbar! freut sich derweil auf weitere ehrenamtliche Helfer. Denn der Bedarf ist da.

Michael S. Zerban