Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
IN THE HEART OF THE HEART OF THE MOMENT
(Alexandra Waierstall)
Besuch am
26. März 2022
(Vorschau)
Spektakulär verabschiedete Alexandra Waierstall sich vor ziemlich genau drei Jahren mit Bodies and Structure, ohne damals zu wissen, dass es ein Abschied werden würde. Damals ließ sie die Holztribüne Arena der amerikanischen Künstlerin Rita McBride bespielen. Ein großartiger Abend, der im Gedächtnis haften blieb.
Auch Waierstall, die sich halbwegs gut über die Zeit der Auftrittsverbote rettete, geriet nicht in Vergessenheit. Dazu hatte sie sich in den Vorjahren bereits einen zu großen Namen erarbeitet. Und so strömen ihre Anhänger zum Tanzhaus NRW, um ihre nächste große Produktion zu erleben, die sie aus einem unerfindlichen Grund Preview, also Vorschau, nennt. Weder findet sich irgendwo eine Erklärung, noch wird das Stück einen Hinweis darauf liefern. Aber eigentlich interessiert das auch niemanden wirklich.
Der Große Saal im Tanzhaus NRW ist nahezu vollbesetzt. Spannung und Vorfreude sind förmlich zu greifen. Im Vorfeld hat Waierstall geäußert, dass sich In the Heart of the Heart of the Moment als Weiterentwicklung von Bodies and Structure versteht, nur eben jetzt als reines Tanzstück ohne Skulptur. Die Choreografin wolle, so ist auf ihrer Webseite zu lesen, die veränderten sozialen Strukturen nach der Pandemie und was die Veränderungen für den Einzelnen bedeute aufzeigen.
Die Bühne ist ebenso leer wie die Seitenbühnen. Dort haben sich die neun Tänzer aufgestellt. Alexandra und Vater Horst Waierstall, in Sachen Kostüm ein eingespieltes Team, haben sie einheitlich in schwarzweiße Camouflage-Hosen gekleidet. Die Oberteile sind individualisiert, changieren zwischen silberfarbenem Latex und schwarzen Einzel-Schmuckstücken. Den Clou des Abends aber bildet sicher das Licht von Caty Olive. Es gibt keinen Scheinwerfer-Einsatz. Stattdessen pendeln über der Tanzfläche Leuchtkörper, die aussehen wie Neonröhren und einzeln angesteuert werden können. Sie werden später in den Tanz integriert, verlöschen nacheinander und steuern so menschengemacht dem Dunkel entgegen, ohne die Tänzer zur Unzeit unkenntlich werden zu lassen. Das ist originell und fantasievoll.
Ying Yun Chen – Foto © Katja Illner
Ebenfalls sehr schön herausgearbeitet ist die Bewegungssprache, die Waierstall für ihr Stück findet. Was auffällt, ist, dass Waierstall auf ihr Stilmittel der Nacktheit bis auf den entblößten Oberkörper eines Tänzers verzichtet. Sind wir postpandemisch noch zu befangen, uns in aller Offenheit zu präsentieren? Vieles im Tanz deutet darauf hin. Die Einsamkeit als stetig sich wiederholendes Element scheint immer noch bedeutendes Überbleibsel. Ebenso wie die Zögerlichkeit, sich auf stabile Beziehungen einzulassen. Während auf der Bühne Soli und Duette zu sehen sind, kommt es auf den Seitenbühnen immer wieder zu bewussten Positionswechseln. Annäherungen immerhin gibt es, die sich alsbald aber wieder verflüchtigen. Wenn es zu größeren Ansammlungen kommt – dann gibt es ungestüme Tänze aller neun Tänzer – wirkt das eher wie eine Protestveranstaltung, die Party um jeden Preis. Eindeutig haben die Bemühungen der Regierung, eine ganze Gesellschaft in die Isolation zu treiben, viel tiefergehende Wirkungen beim Einzelnen hinterlassen, als wir es auch nur erahnen können. Die Versuche, wieder in eine Gemeinschaft zu finden, hier entstehen sehr schöne Bilder wie der sich aufrichtende Mensch als Aufeinanderfolge von Personen oder eine Rettungskette, an der sich zwei Tänzerinnen entlangschlängeln, scheitern derzeit noch. Intensiver und zukunftsfreudiger ist da nur noch das Bild, in dem die Tänzer zu einem Klumpen verschmelzen. Aber es eignet sich bei Waierstall nicht als Schlussbild. Da bleibt der Mann – oder der Mensch? – einsam auf der Bühne zurück, unwissend, mit sich selbst etwas anzufangen. Unbestimmt.
Stavros Gasparatos steuert Klanglandschaften mit hämmernden Trommelschlägen bei, die wohl bewusst nicht als Herzrhythmus erklingen, und bewirkt damit die Dynamik auch in ruhigen Handlungsmomenten.
Das Publikum zeigt sich tief beeindruckt. Alexandra Waierstall und ihr Team können nahtlos an die gewohnte Qualität anknüpfen. Eine wunderbare Leistung. Trotzdem. Wenn die Choreografin denn eine endgültige Fassung ihres Werkes präsentiert, haben sich die gesellschaftlichen Zustände oder – wie sie es nennt – sozialen Strukturen hoffentlich so weit verändert, dass ein versöhnlicherer Schluss möglich ist.
Michael S. Zerban