Kulturmagazin mit Charakter
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ICH DACHTE, SIE SIND MEIN MANN!
(John Tobias)
Besuch am
16. November 2023
(Premiere am 12. Oktober 2023)
Welche Ansprüche stellt das Publikum an eine Boulevardkomödie? Sie soll Unterhaltung bieten, lustig sein und darf gern ein paar unerwartete Wendungen haben. Das war es dann wohl auch schon. Solche Ansprüche zu unterbieten, ist also recht schwierig. Am 30. Mai 1980 fand die deutsche Erstaufführung von Ich dachte, Sie sind mein Mann! in Stuttgart statt. Ein Stück, das der Brite John Tobias unter dem Originaltitel Is the real you really you geschrieben und Ruth und Rick Mueller übersetzt hatten. Tobias gelang es tatsächlich, ein so seichtes und vorhersehbares Werk zu schreiben, dass es selbst die Mindestanforderung an eine Komödie kaum erfüllt. So ist wenig verwunderlich, dass seither kaum mehr als drei Premieren im deutschen Raum verzeichnet sind.
Die Ausgangssituation ist nicht nur kurios, sondern auch wirklichkeitsfremd. Candida mit dem originellen Spitznamen Candy sitzt gelangweilt in der ehelichen Wohnung im 14. Stockwerk. Das Abendessen für den Mann ist vorbereitet, sie löst Kreuzworträtsel und wartet auf ihn. Ein Mann im roten Anzug mit grüner Krawatte und grünen Socken betritt die Wohnung, lässt sich nach flüchtiger Begrüßung in den Sessel fallen und liest Zeitung. Es dauert eine Weile, bis die beiden erkannt haben, dass es sich nicht um den Ehemann handelt, sondern um einen Nachbarn aus dem Nebenhaus, der völlig selbstverständlich findet, dass die Wohnungstür nur angelehnt war. Holzschnittartig geht es weiter. Es knistert zwischen Candy und Harold, sie verlieben sich und beschließen, aus ihrem bisherigen Leben auszubrechen. Als Henry, Candys Ehemann und Versicherungsvertreter im grünen Anzug mit roter Krawatte und roten Socken nach Hause kommt, wird er vor vollendete Tatsachen gestellt. Während er sich zu den Kindern zurückzieht, um mit ihnen fernzusehen, verlässt das Liebespaar die Wohnung mit dem Ziel, die Nacht in einem Hotel zu verbringen. Dort stellen die beiden fest, dass sie kein Geld haben. Also geht es wieder zurück in die Wohnung, um Gloria, Harolds Ehefrau, zu treffen, die Harold sein Taschengeld aushändigen soll. Wie die Begegnung ausgeht, ist so vorhersehbar, dass man sich eigentlich die Zeit bis zum Ende des Stücks sparen könnte.
Da gelingt es höchstens noch dem Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, den Stoff schönzureden. Dass sich Kristof Stößel trotzdem entscheidet, das Stück zu inszenieren, kann nur daran liegen, dass er glaubt, Personal auf der Bühne zu haben, das in der Lage ist, das Publikum auch mit einem Hauch von Nichts zu überzeugen. Tja, was soll man sagen? Seit dem 12. Oktober läuft das Stück im Düsseldorfer Kabarett Flin, nachdem es zuvor schon in Wuppertal gezeigt wurde, und es ist ständig bestens besucht. Und das liegt eindeutig an den Schauspielern. Die liefern grandios ab.
Angefangen bei Michèle Connah, durch eine haarsträubende Perücke bis zur Unkenntlichkeit entstellt, die als Candy immer wieder unaufdringlich Anspielpartner im Publikum sucht und selbst in den unglaubwürdigsten Situationen eine herrliche Komik an den Tag legt, ohne auch nur einen Moment albern zu werden. Sebastian Teichner überzeichnet Harold ganz wunderbar vor allem in der Rolle als Liebhaber. Überzogen dargestellte Leidenschaft, die an schlechte Hollywood-Liebesfilme erinnert, animiert zu mehr als guter Laune. Spätestens zur Pause hat er auch den letzten der Besucher überzeugt, und da macht es gar nichts, dass er ganz zum Ende als eigentlich tragikomischer Held, der er sein könnte, etwas abfällt. Vielleicht auch, weil das Buch nun wirklich nicht mehr hergibt. Bis zum vergangenen Sonntag spielte er im Düsseldorfer Theater an der Luegallee noch den hintertriebenen Unternehmer, der auch mal in Rage geraten konnte, jetzt zeigt Jan Philip Keller seine ganze Wandlungsfähigkeit als Versicherungsvertreter Henry, der in seinem eigenen Kosmos lebt und überhaupt nicht versteht, wie ihm gerade geschieht. Selbst eine alberne Stierszene meistert er noch mit Bravour. Stefanie Krüger ist stimmlich angeschlagen, lässt sich davon aber nicht abhalten, den vergleichsweise kurzen Part der Gloria in pinkfarbener Perücke und deutlich leiser zu übernehmen. Das ist Einsatzfreude pur, und das Publikum ist da schon beim Szenenapplaus angekommen, weil die Darsteller einfach in jeder Situation begeistern.
Gute zwei Stunden sorgen die Darsteller allein mit ihrer Schauspielkunst für allerbeste Unterhaltung. Dass man sich in diesem ganz besonderen Theater mit seiner Wohlfühlatmosphäre ohnehin von der ersten bis zur letzten Sekunde gut aufgehoben und betreut fühlt, trägt zum Gelingen des Abends viel bei. Und so kann der Applaus gar nicht groß genug ausfallen.
Es gehört sicher nicht zu den schlechtesten Ideen, den Jahresabschluss mit Freunden bei der Silvesteraufführung zu feiern. Michèle Connah und Stefanie Krüger sind auch am 30. November bei Damenbesuch ungefiltert zu erleben, einer Erstaufführung im Kabarett Flin, bei dem drei Musicaldarstellerinnen singen und reden. Das klingt schon jetzt nach Kultveranstaltung.
Michael S. Zerban