O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Jammern ist keine Lösung

HOPPLA, WIR SPIELEN NOCH
(Jörg Udo Lensing)

Besuch am
20. April 2022
(Generalprobe)

 

Theater der Klänge in der Komödie Steinstraße, Düsseldorf

Seit 1962 gibt es die Komödie an der Steinstraße in Düsseldorf. Bis heute ist es Boulevardtheater und hat sich einen Ruf erworben, weil hier regelmäßig bekannte Film- und Fernsehschauspieler auftraten. Die Spielstätte gehört zu den schönsten Theatern mindestens in Düsseldorf. Ein paar Meter von der Berliner Allee, kaum einen Steinwurf von der Johanneskirche entfernt, orientiert man sich eher an der zugehörigen Gastronomie Affenbar, um den unscheinbaren Eingang zu entdecken. Dann geht es ins Souterrain, wo einen ein schnuckeliges Foyer von gerade mal knapp 90 Quadratmetern empfängt. Von hier gelangt man in das plüschige Parkett, über eine Treppe geht es nach oben in den Rang. Hier atmet man den Hauch der Vergangenheit, auch wenn die Technik immer auf dem Stand der Zeit blieb. Inzwischen nagt der Zahn der Zeit an dem Theater, aber von seinem Retro-Charme hat es nichts verloren.

Viel Zeit, das gemütliche Theater zu bestaunen, bleibt allerdings nicht mehr. Die Komödie hat es beinhart erwischt. Erst gerieten die Finanzen ins Schlingern, dann wurde bekannt, dass das Haus von einem Hamburger Investor aufgekauft wurde, um dort ein Hotel zu bauen. Inzwischen scheinen sich die Wogen wieder etwas geglättet zu haben. Von Rücklagen ist man in dem Betrieb, der inzwischen in eine gemeinnützige Gesellschaft überführt wurde, noch weit entfernt, aber immerhin ist mit dem Capitol an der Erkrather Straße, gleich neben dem Tanzhaus NRW, eine neue Spielstätte gefunden. Auch aus Sicht der Stadt eine glückliche Lösung, wird doch damit die Kultur am Hauptbahnhof weiter gestärkt. Wie zu hören ist, gibt es wohl Überlegungen seitens des Investors an der Steinstraße, ob in das Hotel ein neues Theater integriert werden kann. Bevor aber die Zukunftsmusik zu laut wird, hat sich das Theater der Klänge mit einem neuen Programm im Theater an der Steinstraße einquartiert. Es hätte keine passendere Spielstätte finden können. Denn Jörg U. Lensing will mit seinem Ensemble eine „Relevanz-Revue“ im Stil der Kabarett-Revuen der 1920-er Jahre vorstellen. Besser hätte hier wirklich nur noch eine Berliner Kneipenbühne gepasst, falls es die überhaupt noch gibt. Aber in Düsseldorf gibt es die natürlich nicht. Und so ist der Spielort einfach nur entzückend.

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Seit 1987 gibt es das Theater der Klänge als Musik- und Tanztheater, seit 1991 hat das Theater Probenräume, Werkstätten und Verwaltung im Stadtteil Pempelfort. Für seine Produktionen sucht es sich jeweils passende Aufführungsorte, wenn es nicht zu Gastspielen eingeladen ist. Ein Modell, das bis Corona prima funktionierte. Auch an Lensing ist die Pandemie nicht spurlos vorbeigegangen. Größer als der finanzielle Schaden war wohl der seelische. Von der Relevanz des Theaters aus tiefstem Herzen überzeugt, plötzlich erfahren zu müssen, dass die Kultur für die Regierung so ziemlich das Unwichtigste in Viren-Zeiten ist, Auftrittsverbote und Existenzvernichtung als völlig selbstverständlich behauptet werden, hat den Theatermann und sein Team im Knochenmark getroffen. Aber Jammern ist keine Lösung. Da liegt es näher, mit dem Programm Hoppla, wir spielen noch das eigene Verständnis von Theater noch einmal zu überprüfen – am liebsten choram publico. Was trocken klingt, fängt auch erst mal recht schwerfällig an.

Die Bühne ist einfach gestrickt. Ein weißer Lappenvorhang im Hintergrund wird mit künstlerischen Projektionen beschickt, Markus Schramma spielt viel mit dem Licht und ein paar Requisiten besorgen den Rest. Caterina Di Fiore hat für die Darsteller jede Menge Kostümwechsel vorgesehen, die teils der Fantasiewelt des Theaters, teils der Gegenwart der Darsteller entspringen. Jacqueline Fischer sorgt, oft in Zusammenarbeit mit den Darstellern, für kleine, aber edle Choreografien. Manuel Rittich eröffnet als Conférencier den Abend. Der Text ist ordentlich vorgetragen, soll das Publikum schon mal auf gute Laune einschwenken. Weil verfrüht, verpufft ein gut Teil der Wirkung. Geschenkt. Die Reise ins Theater nimmt zügig Fahrt auf. Und die Themenwechsel lassen keine Langeweile aufkommen. Mein erster Theaterbesuch, meine erste eigene Rolle, meine aufregendste Rolle, warum ich zum Theater gekommen bin, welchen Aberglauben es bis heute im Theater gibt – das vermischt sich mit berühmten Theaterzitaten von Shakespeare bis Brecht und Geschichten aus der Geschichte des Theaters. Stella Göke gelingt es auch an diesem Abend glücklicherweise nicht, überzeugend als Nilpferd aufzutreten, obwohl das eine Aufgabe in ihrem Ausbildungsgang war, Jacqueline Krell und Sophia Otto legen einen großartigen Tanz mit Tischen hin, Manuel Jadue liefert einen spannenden Vortrag über Theaterbeleuchtung, wenn er nicht gerade das Ensemble mit seiner Harmonika unterstützt. Rafael Svarin bringt einen der größten Monologe der Theatergeschichte zu neuem Glanz. Und irgendwo mischt ständig Christian Paul mit.

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Es ist ein wunderbares Panoptikum, das nicht nur den Sehnsuchtsort Theater ständig neu belebt, sondern auch die vielen Facetten dieses Ortes beleuchtet. Tanz, dramatisches Schauspiel, biografische Erfahrungen, Athletik, Zauber – unablässig gibt es hier Neues zu entdecken, das mal lustig, mal nachdenklich daherkommt.

Die Musik stammt zu großen Teilen von Michael Scheibenreiter. Die gesungenen Texte haben Lensing oder die Darsteller verfasst, wenn es sich nicht um Bearbeitungen handelt. Das ist so gelungen, dass aus elf Nummern gleich ein Album entstanden ist, dass bei den kommenden Aufführungen erworben werden kann und mit Sicherheit eine lohnende Anschaffung ist, sei es als Erinnerung, sei es, weil man sich hier selbst noch einmal seine ganz eigenen Gedanken zum Theater machen kann.

Hoppla, wir spielen noch ist keine Dauerklage darüber, wie viel besser früher alles war, sondern eher eine vielschichtige Bestandsaufnahme, was bis heute alles so passiert ist. Das ist unterhaltsam bis nachdenklich. Die Darsteller befeuern das Geschehen mit Textsicherheit und Spielfreude. Herrlich. Wer sich auf diese bisher in dieser Form noch nicht dagewesene Revue – und natürlich auf das wunderschöne Theater an der Steinstraße – einlassen will, muss sich beeilen. Vier Aufführungen gibt es ab dem 21. April, und die Plätze sind immer noch beschränkt.

Michael S. Zerban