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Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Familienprojekt für die Dame in Rot

GUNHILD, GLADDENED
(Benjamin Britten, Johannes Brahms)

Gesehen am
22. Juni 2021
(Vorschau)

 

Rolf A. Scheider, Düsseldorf

Theater und Opernhäuser versuchen, noch vor der Sommerpause nach ihren Möglichkeiten so viel wie möglich auf die Bühne zu bringen. Was einigermaßen paradox ist. Nach fast einem Jahr des Auftrittsverbots beeilen sich die Institutionen, sich auf die Sommerpause vorzubereiten. Das hat viel mit zu überdenkenden Strukturen zu tun, die selbst im zweiten Jahr nicht ins Wanken geraten, obwohl die Medien schon jetzt intensiv daran arbeiten, die Bevölkerung auf die „nächste Welle“ im Herbst vorzubereiten. Und wer als erstes schließt, wenn die Regierung die Gefahr einer Delta-Mutation hochjubelt, ist ja inzwischen bekannt.

Mit ganz anderen Problemen haben die freiberuflichen Künstler zu kämpfen. Denn die Häuser brauchen derzeit keine Gäste, schließlich werden die Produktionen in aller Regel eingedampft. Wenigstens in Nordrhein-Westfalen gibt es ein Stipendiaten-Programm, das den Freiberuflern Geld verspricht, wenn sie Projekte in einer bestimmten Zeitspanne verwirklichen. Nun könnte man sagen, wenn die Geld bekommen, können sie auch etwas dafür tun. Müssten sie ja sonst auch. Richtig. Aber in anderen Zeiten wäre ein Opernsänger in ein Haus eingeladen worden, um dort eine Rolle zu singen. Jetzt muss er ein eigenes Projekt entwickeln. Das ist noch einmal eine ganz andere Herausforderung.

Rolf A. Scheider – Bildschirmfoto

Der hat sich beispielsweise der Bass-Bariton Rolf A. Scheider gestellt. Und ihm war von Anfang an klar, dass es mit der einfachen Aufzeichnung eines Liederabends nicht getan war. Solche Streams sind eigentlich schon von gestern. Trotzdem. Es gehört nicht zu den Grundfähigkeiten eines Opernsängers, sich mit der Videotechnik auseinanderzusetzen. Auch dann nicht, wenn er mit einer Regisseurin verheiratet ist, die sich in einem anderen Projekt erstmals mit dem Videoschnitt auseinandergesetzt hat, und einen Sohn hat, der als Jungfilmer durchaus Talent besitzt. Das kann die Familie aber nicht schrecken. Und so geht sie gemeinsam mit dem langjährigen Freund und Liedbegleiter Thomas Hinz und der Schauspielerin Svenja Niedergriese, Gesangsschülerin von Scheider, ans Werk.

Entstanden ist ein Stück, das mehr an seiner Fantasie als an der Qualität gemessen sein will. Und das ist auch völlig in Ordnung so. Um die Akustik zu erklären, steht der Sänger eben doch zunächst ganz konventionell neben dem Klavier. Aber rasch greift Nicola Glück ein und zeigt mit Leidenschaft, dass sie die Überblendungstechniken im Videoschnittprogramm entdeckt hat. So findet sich der Zuschauer vor einer Mühle wieder, vor der Scheider in einem großartigen Kostüm Benjamin Brittens The Miller of Dee interpretiert. Mit Es wohnet ein Fiedler zu Frankfurt am Main mischt sich dann Johannes Brahms in das Geschehen ein. Die Szene wird belebt von Niedergriese, einer Lady in Red, wie sie Chris de Burgh vor dem Auge gehabt haben muss. Eine Augenweide in einem unglaublich schönen Kostüm, die von Leander Glück immer wieder ins rechte Licht gesetzt wird.

Zu den nächsten sieben Liedern von Britten und Brahms steigert sich die Begegnung vom Müller und der schönen Unbekannten, die eine schöne Balance zwischen Liebesgeschichte, Romantik, Humor und, ja, gar ein bisschen Tragik entwickelt bis zum Lied Oliver Cromwell. Gut, ob man letzteres verstehen muss, bleibt dahingestellt. Wie es mit dem Verständnis der englischen Texte überhaupt noch nicht allzu gut bestellt ist. Da ist zu hoffen, dass sich bei der Uraufführung am 25. Juni in den Erläuterungen unter dem YouTube-Video noch Übersetzungen finden, die auch dem deutschsprachigen Publikum einen Zugang ermöglichen. Und das wäre gerechtfertigt, denn Untertitel hätten die schönen Bilder, die in dem gut 20-minütigen Video geliefert werden, sicher gestört.

Das Verdienst des Videos liegt nicht darin, dass ein Opernsänger ersten Ranges zu hören ist, sondern dass Scheider aus den Konventionen ausbricht und daran arbeitet, die Möglichkeiten des Internets zu nutzen. Genau darin wird auch die Chance für andere freiberufliche Künstler liegen: In Zeiten, in denen die Institutionen die Freiberufler im Stich lassen, neue – digitale – Wege zu finden, um die Zuschauer zu begeistern. Das gelingt dem Video ganz eindeutig. Am 25. Juni ist es hier zu sehen.

Michael S. Zerban