O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Susanne Diesner

Aktuelle Aufführungen

Schade ums Konzert

GLUZMAN, MOSER & KOROBEINIKOV
(Dmitri Schostakowitsch, Franz Schubert, Arvo Pärt)

Besuch am
22. Februar 2022
(Einmalige Aufführung)

 

STonhalle, Düsseldorf

Es gibt Menschen, die behaupten, eine Konzertbesprechung dürfe ausschließlich von den dargebotenen Leistungen auf der Bühne handeln. Das ist allerdings lange her. Heutzutage ist ein Konzerterlebnis ein Rundum-Paket. Man könnte auch formulieren: Das Konzert beginnt an der eigenen Wohnungstür. Denn die Konkurrenz ist groß. Zahlreiche Unterhaltungsangebote einschließlich dem heimischen Netflix-Erlebnis auf dem Sofa buhlen um die Aufmerksamkeit des potenziellen Konzertbesuchers. Für den ist die Entscheidung recht einfach. Er wählt das Angebot, dass die beste Unterhaltung bei geringstem Aufwand bietet. Und dazu zählt auch die Anreise und der Aufenthalt vor Ort.

Damit gerät die Tonhalle in Düsseldorf in eine zunehmend schwierige Lage. Denn seitdem der Oberbürgermeister seine Vorliebe für eine autofeindliche Stadt entdeckt hat, wird die Anreise zunehmend unbequemer. Willkürlich angelegte Fahrradwege engen den Straßenraum in zunehmend gefährlicher Weise ein, die rote Welle bei der Ampelschaltung ist der neueste Einfall, um für Verkehrsunsicherheit zu sorgen. Ja, die Absicht ist klar. Der Bürger soll so lange drangsaliert werden, bis er auf das Auto verzichtet. Am schönsten wäre es ja, gleich ganze Straßen zu sperren. Die Hauptzielgruppe der Abendveranstaltungen in der Tonhalle sind übrigens die Senioren. Denen zuzumuten, nach zehn Uhr abends auf die Brücke zu klettern, um dort vor elf noch eine Straßenbahn zum Hauptbahnhof zu erwischen – danach fährt selbstverständlich keine mehr – und am Bahnhof in eine Bahn zu steigen, ach nein, die fahren ja nicht mehr. Also doch mit dem Auto zur Unteren Rheinwerft. Das ist der Parkplatz, von dem aus man durch eine Unterführung zur Tonhalle kommt. Der Platz ist weitgehend unbeleuchtet, der Belag erinnert an einen Panzerübungsplatz, weder ist der Platz überdacht noch bewacht. Deshalb gibt es ja den „Theatertarif“. Satte fünf Euro darf der Tonhallen-Besucher neuerdings in den Automaten werfen. Da von einer zweiten Eintrittskarte zu sprechen, ist nicht verwegen. Auf dem Weg zum Eingang der Tonhalle, der mit Dreck übersät ist, steigen die Erwartungen: Am Ende dieses Aufwands muss ein Konzert stehen, das es eigentlich nicht gibt.

Am Eingang die inzwischen eingeübte Prozedur. Anstatt eines freundlichen „Guten Abend!“ gibt es die sachliche Aufforderung, den Impfnachweis vorzuzeigen, sich auszuweisen – und, bitte schön, schnellstmöglich die Eintrittskarte zu zücken. Versprochen. Man schafft es nicht, die Unterlagen derart vorzubereiten, dass die Aufforderung „Und die Eintrittskarte bitte noch!“ umgangen werden kann. Die wird abgestempelt. Und damit ist nicht etwa die Glückseligkeit erreicht. Auf dem Weg durch das Gebäude weist eine Lautsprecherstimme zweisprachig – Englisch ist immer noch keine Amtssprache in Deutschland – darauf hin, dass Jacken, Mäntel und Taschen kostenlos an der Garderobe abgegeben werden können. Mit schlechtem Gewissen fällt einem ein, dass das Sakko bei der letzten Einlasskontrolle nicht dem modischen Geschmack der Dame an der Tür entsprach. Vielleicht geht es diesmal gut.

Ein Gast, der alle Formalitäten hinter sich gebracht, die fünf Euro für seinen Parkplatz bezahlt hat, beschließt, vor dem Haupteingang noch eine Zigarette zu rauchen. Vorsorglich hält er bei seiner Rückkehr das Ticket bereit. An der zweiten Tür wird er von einem jungen Mann aufgehalten. „Hmmmpppfff“. Der Gast versteht nicht. „Ist das Ticket eingescannt worden?“ wird der junge Mann deutlich. Verdammt. An alles hat der Gast gedacht. Ob die Dame, die den Stempel auf die Eintrittskarte gedrückt hat, auch den QR-Code eingescannt hat: Darauf hat er nicht geachtet. „Da ist doch der Stempel drauf“, versucht er sich zu retten. „Ist das Ticket eingescannt worden?“ Der Ton des Jungen verschärft sich merklich. „Der Stempel“, antwortet der Gast, der sein schlechtes Gewissen kaum unterdrücken kann, weil er nicht beobachtet hat, ob die Dame, die den Stempel auf das Papier presste, auch einen Scanner hatte. „Der ist für die G2-Kontrolle“, wird er augenblicklich und ausgesprochen vorwurfsvoll belehrt. Machen wir es kurz. Der Gast hat versagt. Und es ist wohl nur dem guten Willen des Aufpassers zu verdanken, dass seine Karte erneut gescannt wird und er wieder hineindarf. Auf dem Weg zum Platz wird der Gast wütend. Warum hat er sich nicht den Vorgesetzten geben lassen, um mit dem über Respekt zu reden? Der Überwachungswahn in Deutschland nimmt zu. Und offenbar werden zur Überwachung bevorzugt junge Männer mit Blockwart-Mentalität eingestellt. Ist das das Live-Erlebnis, das wir alle vermisst haben, das wir endlich wiederhaben wollen? Am Eingang zum Saal wird er überrascht. Die Dame hat nichts gegen sein Sakko, sondern fragt ihn, ob sie ihm bei der Platzsuche behilflich sein kann.

War da noch was? Der Gast schaut sich im schlechtbesuchten Saal um. Ach ja, drei hochkarätige Solisten wollen im Mendelssohn-Saal, das ist der große Saal des Hauses, ein ungewöhnliches Programm zur Aufführung bringen. Durchatmen, entspannen. Na, dann sollen sie mal kommen. Gluzman, Moser & Korobeinikov: Dahinter verbergen sich drei außergewöhnliche Musiker. Geiger Vadim Gluzman, Cellist Johannes Moser und Pianist Andrei Korobeinikov verfügen allesamt über unglaubliche Referenzen und sind überwiegend als Solisten auf den Bühnen dieser Welt unterwegs. Für das heutige Programm haben sie sich gemeinsam auf der Bühne versammelt. Dmitri Schostakowitschs Klavierkonzerte in c- und e-moll stehen auf dem Zettel, Franz Schubert soll mit seinem Klavierkonzert in B-Dur interpretiert werden und schließlich gibt es auch das Mozart-Adagio von Arvo Pärt. Sieht man von Schubert ab, haben die drei ein Programm abseits des üblichen Repertoires entwickelt.

Es hieße, Eulen nach Athen zu tragen, wollte man über die Virtuosität der Spitzenmusiker noch ein Wort verlieren. Auf höchstem Niveau wird das Andante – Allegro aus Dmitri Schostakowitschs Klaviertrio Nr. 1 in c-moll zu Gehör gebracht. Da findet ein ordentlicher Wechsel zwischen lebhaften und ruhigen Phasen statt, bei dem das Klavier sich als Unruhetreiber erweist. Zwischendurch verdüstern Geige und Cello das Klima, ehe es rauschhaft ins Finale geht. Hier gibt es schon die Zupfeinlagen, die später zur Vollendung gebracht werden. Ob es an diesem Abend Franz Schuberts Klaviertrio Nr. 1 in B-Dur mit allen drei Sätzen sein muss, darf dahingestellt sein. Hier wird nach den Sätzen noch geklatscht, was nicht auf ein konzerterfahrenes Publikum hinweist. Ja, das Klaviertrio erfreut sich allgemein großer Beliebtheit, aber in Beziehung zu Schostakowitsch verliert es doch deutlich. Romantisches Gesäusel mit ein paar guten Ideen im dritten Satz. Vielleicht kann man sich darauf einigen.

Nach der Pause bauen die Musiker vor. Johannes Moser verweist merkwürdigerweise darauf, dass die beiden nachfolgenden Stücke dem Andenken verstorbener Musikerfreunde gewidmet seien und deshalb Applaus zwischendurch nicht angebracht sei. Der Zusammenhang vermag sich nicht so recht erschließen. Dann aber sagt er etwas, dass tief ins Mark fährt. „Am 22. Februar haben wir alle Grund innezuhalten – und auch deshalb spielen wir diese Stücke“, sagt er im Hinblick auf die drohende Kriegsgefahr in der Ukraine. Dann geht es auch gleich mit Arvo Pärts Mozart-Adagio los. Ein Werk, bei dem man viel Mozart hört, bei dem man aber in der Verfremdung viel Eigenständigkeit erlebt, und seien es auch nur die vielen Pausen, die Pärt einbaut. Das Klaviertrio Nr. 2 in e-moll von Schostakowitsch tragen die drei vollständig und dankenswerterweise vor. Es wird kein besonders lustiger, aber nachdrücklicher Abend. Das Andante – Moderato beginnt sehr verhalten, bleibt freudlos, vergisst aber später das Moderato. Das Allegro non troppo zieht mit gewaltigem Tempo an. Im Largo werden die Piano-Akkorde gewichtig, die Geige wird traurig, das Cello betont mit düsteren Strichen. Das Allegretto beginnt mit rhythmischem Zupfen in einer Lebendigkeit, dass man mit den Fingern mitschnipsen möchte, ehe sich das Stück zu einem furiosen Finale aufbaut. Da möchte man gern wissen, welche Drogen der Komponist genommen hat. Schließlich könnte man die ja selbst irgendwo bekommen, um das, was man da hört, noch mal so sehr zu genießen.

Nachdem der Intendant, Michael Becker, sich erhoben hat, um zu applaudieren, tun es ihm viele Gäste gleich. Nach der Zugabe erschöpft sich dann aber auch die Begeisterung. Zwei Stunden hat der höchst erfreuliche Konzertabend gedauert – und er ist noch nicht zu Ende. Vor den meisten Besuchern liegt noch ein unerfreulich beschwerlicher Rückweg. Bei aller Begeisterung der Politiker für eine autofreie Stadt, bei der sie von Minderheiten unterstützt werden, müssen sich die Kulturinstitutionen schon heute darüber bewusst sein, dass eine autofreie Stadt auch eine kulturfreie Stadt ist. Der Traum von Fahrradstapeln vor den Haupteingängen wird sich nicht erfüllen. Die Schubert-Fans werden die ersten sein, die sich von ihren Enkeln zeigen lassen, wie man einen Streaming-Dienst in SACD-Qualität über Kopfhörer empfängt, während man einen Sekt auf dem Sofa trinkt. Stößchen!

Michael S. Zerban