O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Susanne Diesner

Aktuelle Aufführungen

Glückliches Ende zu Beginn

GENOVEVA
(Robert Schumann)

Besuch am
2. Juni 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Schumannfest, Tonhalle, Düsseldorf

Den Geschmack des Sommers will das Schumannfest dieses Jahr in der Stadt verbreiten. Und damit das Motto nicht so profan klingt, wird es lieber auf Englisch propagiert, so dass es sich wie die fröhliche Werbung eines Speiseeisherstellers anhört. Auf dem Programmheft vertraut man dann doch lieber dem „Romantisiere-dich“-Slogan der Tonhalle, die das Schumannfest veranstaltet.  Während das Asphalt-Festival, das am 16. Juni beginnt, bereits seit vielen Tagen großflächig in der ganzen Stadt plakatiert, ist vom Schumannfest nichts dergleichen zu bemerken. Nach solcherlei Marketing-Aktivitäten ist zu hoffen, dass das Schumannfest nicht zum „Festival für Eingeweihte“ gerät. Denn von heute bis zum 18. Juni ist hier künstlerisch einiges aufgeboten, das durchaus einen Besuch lohnt. Zum Auftakt gibt es Robert Schumanns einzige Oper Genoveva aus dem Jahr 1850.

Wenn ein Komponist nur eine einzige Oper schreibt, hat das einen Grund. Im Fall von Robert Schumann wird kolportiert, dass die Presse mit ihren „schlechten“ Kritiken dafür sorgte, von weiteren Versuchen abzulassen. Dabei hat er im Großen und Ganzen alles richtig gemacht. Mit dem Sujet der Genoveva von Brabant bediente er eines der wichtigsten Themen jener Zeit neben Faust oder Don Juan. Er setzte sich gegen den ursprünglichen Librettisten Robert Reinick durch und schuf seine eigene Fassung, die nur noch 200 Verse Reinicks enthielt. Trotz der abfälligen Bemerkungen Richard Wagners über den dritten Akt blieb er bei seiner Fassung aus dem Revolutionsjahr 1848. Und nicht zuletzt bestand er auf einem glücklichen Ausgang der Handlung. Möchte man sich aus heutiger Sicht an der Handlung stören, kann man sicher die Kriegsverherrlichung zu Beginn und das Heil-Geschrei anführen, mit dem die Oper endet. Musikalisch ist überraschenderweise, wenn man die zurückhaltende Aufführungspraxis betrachtet, kaum Kritik angebracht, auch wenn man Nicolaus Harnoncourt nicht unwidersprochen beipflichten möchte, das Stück sei wie eine große Symphonie mit Gesang. Die Unerbittlichkeit des Zeitablaufs in der Musik, dass man sie nie zurückdrehen, dass man nie stehenbleiben könne, werde auf diese Weise zum dramaturgischen Prinzip, bei dem Dialoge und szenische Vorgänge vergleichsweise in den Hintergrund träten. Zumindest ist der Eindruck bei der heutigen Aufführung ein anderer.

Pfalzgraf Siegfried zieht in den Krieg gegen die Mauren. Um Haus und Hof zu schützen, setzt er Golo als Verwalter ein. Der wäre eigentlich lieber mitgezogen, verliebt sich stattdessen in Siegfrieds Frau Genoveva. Weil sie seine Avancen nicht erwidert, lockt der Lehnsknecht sie in eine Falle, indem er sie des scheinbaren Ehebruchs überführt. Dabei ist ihm die Amme Margarethe behilflich. Genoveva wird festgesetzt. Siegfried, verletzt auf dem Rückweg seines Siegeszugs, erfährt von Genovevas vermeintlichem Fehltritt und befiehlt, sie zu töten. Margarethe gesteht rechtzeitig die Intrige, so dass Siegfried Genoveva rechtzeitig vor der Hinrichtung retten kann. Das Liebespaar findet wieder zusammen und wiederholt seinen Treueschwur vor der Kirche.

Kristina Heliin hat die Regie der konzertanten Aufführung übernommen. Und das hat sie wirklich prima gelöst. Während üblicherweise der Chor hinten und das Orchester davorsteht, die Solisten sich an der Rampe positionieren, um sich bei ihrem Einsatz vom Stuhl zu erheben, nutzt Heliin wirklich alle räumlichen Gegebenheiten aus. Orchester und Chor werden nebeneinandergesetzt, die Sängerdarsteller werden mit kleineren Accessoires ausgestattet und dürfen sich szenisch bewegen. Wer hier Kritik äußern will, darf zumindest fragen, warum das Orchester und der Chor, obwohl sie aus verschiedenen Bühnenaufgängen kommen, nicht parallel auftreten und damit bei einer dreistündigen Aufführung Zeit sparen. Zusätzlich werden die Choristen mit Kopfbedeckungen ausgestattet, von denen man annehmen darf, dass es sich um zeitgenössische Kopfbedeckungen aus dem 8. Jahrhundert handelt. Im Hintergrund gibt es Übertitel, die fast durchgängig funktionieren, und eine Projektionsfläche. Auf der werden Animationsfilme von Patrik Söderlund und Visa Suonpää gezeigt. Dass die nur scheinbar einen Zusammenhang mit der Oper bilden und stattdessen eine ideologische Aufladung versuchen, ist nur deshalb uninteressant, weil die Zuschauer es nicht verstehen können. Wer Opernaufführungen für seine politischen Absichten nutzen will, schadet der Oper.

Ganz sicher keinen Schaden fügen die Darsteller der Oper zu. Johannes Weisser gibt vor allem sängerisch einen strahlenden Siegfried ab. Als Genoveva gelingt es Carolyn Sampson, die Zuschauer emotional von einer Frauenrolle zu überzeugen, die heute in ihrer Ergebenheit gegenüber Siegfried ganz sicher nicht mehr nachvollziehbar ist. Die Heimtücke der Marghareta bringt Marie Seidler mit viel Spielfreude und Volumen auf die Bühne. Weniger überzeugend ist Marcel Beckman als Golo. Warum er wie ein Einspringer mit Partitur in der Hand singen muss, ist die eine Sache, dass seine Stimmlage vor allem in den letzten beiden Akten kaum mit der des selbstbemitleidenden Verlierertypen übereinstimmt, die andere. Da gibt Felix Speer als Hidulfus, Bischof von Trier, eine ganz andere Figur ab. Seine Auftritte reichen eindrucksvoll an Siegfried heran. Dass Drago, hier von Cornelius Uhle dargestellt, im späteren Verlauf eigentlich nur noch als Geist auftritt, wird in dieser Aufführung nicht thematisiert, funktioniert so aber auch. Die weiteren Nebenrollen passen sich klaglos ein. Unglaublich luxuriös ist der Arnold-Schoenberg-Chor unter der Leitung von Erwin Ortner besetzt.

Das Helsinki Baroque Orchestra spielt auf historischen Instrumenten, in diesem Fall auf historischen Instrumenten aus der Zeit Robert Schumanns, wie Tonhalle-Intendanten in seiner kurzen Begrüßung betont. Dem laienhaften Zuhörer bleiben die feinen Unterschiede verborgen. Dafür sorgt Aapo Häkkinen, der sich am Pult außerordentlich engagiert gibt und eben dafür sorgt, dass die Sänger hier keinesfalls in den Hintergrund treten. Er teilt seine Begeisterung über die Leistung des Orchesters mit dem Publikum, das langanhaltend allen Akteuren applaudiert und aus einer Ecke gar mit ausgiebigen Bravo-Rufen bedacht wird.

Mit Genoveva ist dem Schumannfest ein grandioser Einstand gelungen, nach dem man sich auf die nachfolgenden Abende freuen darf, immer in der Hoffnung, dass sie sich dann in einem vernünftigen Zeitrahmen bewegen.

Michael S. Zerban