O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Galeriekonzert

FROM FANTASY AND LOVE
(Diverse Komponisten)

Besuch am
24. Juli 2021
(Einmalige Aufführung)

 

Düsseldorf Lyric Opera, Galerie Lausberg, Düsseldorf

Vor Autos wolle er nicht auftreten, wehrte Helge Schneider ab, als Autokinos als eine der wenigen Möglichkeiten erschienen, überhaupt noch irgendwelche Konzerte stattfinden zu lassen. Jetzt versuchte er es vor Strandkörben in Augsburg. Und brach nach 40 Minuten das Konzert ab. „Man kriegt keinen Kontakt zum Publikum“, erklärte Schneider. Und die Kellner, die ständig vor der Bühne hin- und herliefen, um am Platz zu servieren, gaben ihm den Rest. „Das macht einen so ein bisschen wahnsinnig“, wird er zitiert. Recht hat der Mann.

Die Zeiten großer Publika, mit denen sich gutes Geld verdienen lässt, scheinen passé. Stattdessen sind derzeit wohl eher Lösungen gefragt, die helfen, das Interesse der Menschen an kulturellen Veranstaltungen gegen die Interessen des Staates überhaupt aufrechtzuerhalten, auch wenn der Auftritt der Bundeskanzlerin in diesen Tagen in Bayreuth bei der Neuinszenierung des Fliegenden Holländers anderes vorspiegelt. Aber diesen Mummenschanz kennen wir längst aus vergangenen Zeiten. Das kann niemand mehr ernstnehmen. An vielen Orten werden derzeit kleine Veranstaltungen initiiert. Da braucht es einen Sponsor, jemanden, der geeignete Räumlichkeiten zu Verfügung stellt und jede Menge Engagement zeigt, und Musiker, die ihre Gagen neu berechnen. Das klingt zunächst einmal eher unerfreulich, könnte aber dafür sorgen, dass nicht nur das Interesse der Menschen an Musikveranstaltungen aufrecht erhalten bleibt, sondern sogar neue Zielgruppen erschlossen werden können.

Einer dieser Menschen, die in der Lage sind, geeignete Räume bereitzustellen, ist Bernd Lausberg. Einst studierte er Rechts- und Politikwissenschaften, wechselte aber dank mangelnder Inspiration in beiden Studiengängen in die Kunstgeschichte. Sein Fachwissen führte ihn in ein Düsseldorfer Auktionshaus, ehe er sich als Galerist mit Räumen in der Altstadt selbstständig machte. Später kamen zwei Galerien in Nordamerika hinzu. Inzwischen gibt es „nur noch“ die Galerie Lausberg in der Hohenzollernstraße. Lausberg fühlt sich „angekommen“. In den ungewöhnlichen Räumlichkeiten kuratiert er selbst regelmäßig Ausstellungen, derzeit läuft Pure, eine Sammelausstellung zwölf zeitgenössischer Künstler.

Foto © O-Ton

Wichtig ist dem Kunstexperten, seine Ausstellungen mit anderen Kunstformen zu kombinieren, seien es Lesungen, Konzerte oder ähnliche Aufführungen. Denkbar ist für ihn alles, was in die Räumlichkeiten passt. Als er im vergangenen Spätsommer Meghan Behiel kennenlernte, die unter anderem als Pianistin für die Düsseldorf Lyric Opera arbeitet, war schnell eine neue Idee geboren. Seit Mitte dieses Monats gibt es zum ersten Mal den Konzertsommer im Galeriegarten, der noch bis Ende August wöchentliche Konzerte anbietet. Behiel hat ein abwechslungsreiches Programm kuratiert und die Künstler aus dem Netzwerk der Düsseldorf Lyric Opera rekrutiert, um die Organisation kümmert sich Lausberg. An diesem Abend steht der Lieder- und Arienabend From Fantasy and Love mit der Mezzosopranistin Paulina Schulenburg, Behiel am Klavier und Linus Weber am Cello auf dem Zettel.

Lausberg hat vor der schmalen Fensterfront der Galerie einen roten Teppich ausrollen lassen. Zwei Herren heißen die Gäste willkommen und weisen ihnen den Weg ins Entrée – für den Galeristen gleichfalls ein Begegnungsraum, aber eben für die erste Begegnung – dessen Treppenstufen in den Innenhof führen. Dort ist so etwas wie ein Skulpturengarten entstanden, der heute Abend mit Getränkeausgabe, Rauchertischen und Stühlen vollgestellt ist. Ein schmaler Gang verbleibt, der in die hinteren Ausstellungsräume führt. Im Patio ist Raum für die Bühne. Nur wenige Plätze bleiben frei, was angesichts der Wettervorhersagen schon eher an ein Wunder grenzt, die sich allerdings bei Düsseldorf täuschen. Es bleibt trocken.

Der Gastgeber ist angespannt. Schließlich handelt es sich hier nicht um ein übliches Firmenevent, mit dem er Kunden locken will, sondern heute Abend ermöglicht er als einer der – noch – wenigen klassische Kultur im privaten Raum. Und da geht es nicht darum, einer elitären Runde in staatlich subventionierten Gebäuden übersteigerte Kunstgenüsse zu vermitteln, sondern Menschen, die oft genug gar nicht mit klassischer Musik in Berührung kommen, für Lieder und Arien zu begeistern. Als Profi hat er sich auf den Abend ausreichend vorbereitet, und so kommen die Moderationen fließend und überzeugend auch ohne Moderatorenkärtchen aus. Fast „aus dem Lameng“ kann er erzählen, dass Paulina Schulenberg geborene Düsseldorferin ist, in Essen und Salzburg studiert hat, Meisterkurse und ein Festengagement am Landestheater Schleswig-Holstein sowie zahlreiche Gastauftritte an anderen deutschen Bühnen absolviert hat.

Foto © O-Ton

Schulenburg beginnt den Abend mit dem Lied Auf Flügeln des Gesanges von Felix Mendelssohn-Bartholdy und setzt schon mit den ersten Tönen das Publikum in Staunen. Ihre Technik ist so brillant, dass sie bei klarer Textverständlichkeit ein außerordentliches Volumen aufbauen kann. Und es läuft vom ersten Moment an rund, auch wenn die Hörer mit den Liedern von Clara Schumann noch nicht so viel anfangen können. Liebeszauber, Liebst du um Schönheit und die Loreley kommen in rascher Folge, sorgsam und selbstbewusst interpretiert. Behiel hat im Laufe der Zeit gelernt, aus den noch so einfachsten Instrumenten Wohlklang zu zaubern und ihre Sänger mit der nötigen Zurückhaltung bei gleichzeitigem Engagement für das Werk zu begleiten. Und so fällt ihr das auch bei Robert Schumanns Mondnacht oder Reynaldo Hahns A Chloris nicht schwer. Vor der Pause wechselt Schulenburg noch schnell ins Opernfach – mit einem Klassiker. Aus dem Barbiere di Siviglia von Gioacchino Rossini singt sie die Kavatine der Rosina Una voce poco fa. Mit Sicherheit einer der Klassiker der Opernliteratur, der auf keiner Operngala fehlen darf. Mithin haben sich schon viele Sängerinnen daran versucht. Da reicht die Skala von „Ja, das muss eine Opernsängerin können“ bis „nach einer solchen Interpretation muss man lange suchen“. Schulenburg ordnet sich weit am oberen Ende der Skala ein. Was ihren Gesang so besonders macht, lässt sie nach der Pause erst richtig zur Geltung kommen, auch wenn es hier schon anklingt.

Im zweiten Teil tritt zunächst Cellist Linus Weber hinzu, um Schulenburg bei der Élégie von Jules Massenet zu unterstützen, ehe er mit dem Allegro appassionato von Camille Saint-Saëns eine Solo-Kostprobe seines Könnens gibt, das die Besucher bei seinem eigenen Konzert On Wings of Song am 14. August erleben können. Danach wird sich mancher gedanklich schon den Termin notiert haben. Neben einer klaren Stimme, einer guten Technik und Textverständlichkeit zeichnet sich die Leistung einer Opernsängerin durch ihre Lebenserfahrung aus. Die erlaubt ihr, das eigene Schaffen mit Leben zu füllen und – wenn es sich um eine Ausnahmeerscheinung handelt – eigene Akzente zu setzen. Schulenburg kann’s. Das beweist sie nachdrücklich mit den drei Arien aus Georges Bizets Carmen, die sie in der Reihenfolge der Oper singt. Habanera, Seguidilla und Chanson bohème geraten zu den absoluten Höhepunkten des Abends. Jeder Blick sitzt, jede Körperbewegung unterstreicht die Musik. Schulenburg gelingt es, ein Fest zu entfachen, das für Bravo-Rufe sorgt. Danach kommt es zu einem dramaturgischen Wackler.

Statt mit der Arie des Ruggiero Verdi prati aus Alcina von Georg Friedrich Händel zu schließen, einem schweren, feierlichen Werk, verpulvert Schulenburg den Grafen Orlowsky aus der Fledermaus, der eigentlich den Champagner einer Zugabe versprüht. Chacun à son goût – jeder nach seinem Geschmack – das Schulenburg ganz wunderbar interpretiert, treibt die Laune im Publikum zum Siedepunkt, um die Besucher dann einigermaßen ratlos mit den glänzenden Augen der Sängerin bei der Händel-Arie zurückzulassen. Aber es hat keiner ernsthaft Schaden genommen, und schon bald sind nach furiosem Applaus alle ins Gespräch vertieft. Der Abend ist gelungen, und er wird lang. In entspannter Atmosphäre einen solchen Kunstgenuss zu erleben – da muss man woanders lange suchen. Beim Konzertsommer im Galeriegarten ist das alles inklusive, wenn auch bislang nur für wenige Kenner.

Michael S. Zerban