Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
FRIEDENSKONZERT
(Diverse Komponisten)
Besuch am
25. Februar 2023
(Einmalige Aufführung)
Ein Jahr dauert der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine schon an. In öffentlichen Bekundungen ist immer wieder zu hören, dass vor einem Jahr niemand habe glauben wollen, dass der Krieg so lange dauere. Wer so etwas behauptet, hat also damit gerechnet, dass Putin seine „Sonderaktion“ rasch beendet haben werde. Für alle anderen musste schon am 24. Februar vergangenen Jahres klar gewesen sein, dass dieser Krieg sich noch lange hinziehen wird, wenn für die Ukraine auch nur die Chance einer Verteidigung bestünde. Ein Jahr lang hat sich der Staat bislang erfolgreich zur Wehr gesetzt, trotz fehlender Unterstützung politischer Entscheider, die viel zu lang gehofft haben, sich ihrer Verantwortung entziehen zu können. Aber sehr zum Entsetzen so genannter Pazifisten wendet sich das Blatt allmählich. Ja, es ist eine schöne Vorstellung, Blumen in Panzerrohre zu stecken und damit Kriege zu verhindern. Die Wirklichkeit sieht hässlicher aus. Wenn ein größenwahnsinniger Machthaber glaubt, ein souveränes Land unter sein Joch beugen zu können, wenn er nur skrupellos genug ist, ist nicht die Zeit zum Reden. Dann ist die Zeit, sein Recht auf Selbstverteidigung zu ergreifen. Und für andere Staaten ist es Pflicht, dem Opfer beizuspringen. Die Ukraine bezahlt ihr Recht auf Souveränität jeden Tag mit Blut.
Natalia Vetrova und Mikhail Tzar – Foto © O-Ton
Viele Menschen haben das begriffen. Auch in Deutschland. Auch wenn es vor einem Jahr wohl kaum einen Deutschen gab, der nicht in Handelsbeziehungen mit der Ukraine stand, der überhaupt etwas über die Ukraine wusste. Na ja, vielleicht ein paar Historiker noch. Aber was die Menschen heute wissen, ist, dass nach 80 Jahren das absolut Unvorstellbare eingetreten ist: ein Krieg in Europa. Die einen sprechen der Ukraine mal eben das Recht auf Selbstverteidigung ab, indem sie mit alten, inzwischen überholten Pazifisten-Sprüchen Waffenlieferungen verweigern wollen, die anderen reagieren mit Entsetzen und Hilflosigkeit. Die anderen, das sind zum Beispiel deutsche Bürger. Am vergangenen Freitag gab die Punk-Rock-Band Die toten Hosen ein Benefizkonzert in Düsseldorf. Schon im Vorfeld kamen Spenden in Höhe von 600.000 Euro zusammen. Band-Leader Campino war das zu wenig. Und er erklärte den Konzert-Tag zum „Kampftag“. Eine Million Euro wollte er wenigstens auf dem Konto sehen, um den Menschen in der Türkei und Syrien zu helfen. Stand heute sind anderthalb Millionen eingegangen.
Der kapitalistische Reflex, Not mit Geld lindern zu können, ruft bei vielen Menschen Unbehagen hervor. „Geld kann man nicht essen“ gilt auch in einer Welt noch, in der es außer Konsum nicht mehr viel zu geben scheint. Und doch bleibt häufig nur der Griff in die eigene Geldbörse, um der Hilflosigkeit zu entgehen. Obwohl, es gibt da noch etwas anderes. Jeremias Mameghani nennt es Friedenskonzert. Dazu hat er im Namen der Organisation Flüchtlinge willkommen in Düsseldorf ins Palais Wittgenstein eingeladen. Der Konzertsaal erlebt einen wahren Ansturm. Da gibt es zum einen das Stammpublikum, das den Einladungen zu den Benefizkonzerten seit 2015 gerne folgt. Und dann gibt es das Publikum, das sich mit den Ukrainern identifiziert. Schnittmengen inklusive. Wie immer beschleicht einen dieses wohlige Gefühl, wenn man so viele Nationalitäten friedlich versammelt in der eigenen Stadt erlebt.
Der Oberbürgermeister entsendet keinen Stellvertreter, sondern erscheint selbst zum Konzert, um ein Grußwort zu entbieten. Dass er ein oder zwei kluge Gedanken äußert, geht in dem Moment unter, in dem er versucht, auch noch die ukrainische Gesellschaft in Geschlechter-Lager zu spalten. Außer ihm interessiert es keinen Menschen, ob eine Ukrainerin oder ein Ukrainer aus den Ruinen der Bombardements gezogen wird. Die Wirkung seiner Rede verpufft. Aber so geht es ja derzeit vielen Politikern. Die Generalkonsulin der Ukraine, Iryna Shum, wird freundlich begrüßt. Überraschend nutzt sie die Gelegenheit nicht, das Wort zu ergreifen. Dabei hätte man von ihr erwartet, dass sie einiges zu sagen hat.
Violina Petrychenko und Jeremias Mameghani – Foto © O-Ton
Robert Hotstegs übernimmt die Moderation des Abends. Für ihn wie für die übrigen Vereinsmitglieder scheint der Begriff eines Friedenskonzerts vollkommen klar zu sein. Und so bedarf es keiner weiteren Erläuterung der Worthülse. Der musikalische Teil des Abends und also der wichtigere beginnt emotional mit dem Vortrag der ukrainischen Nationalhymne. Anschließend spielen Violina Petrychenko und Jeremias Mameghani vierhändig am Flügel zwei Kantaten von Johann Sebastian Bach. Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit in einer Bearbeitung von Györgi Kurtag und Schafe können sicher weiden in der Bearbeitung von Mary Howe erklingen frisch und bestätigen schon einmal die Ankündigung von Petrychenko, die die Menschen im Saal mit guter Laune erfreuen will, weil es nichts bringt, in düsteren Zeiten auch noch in dunkler Stimmung zu versinken. Anschließend wendet sich Petrychenko ihrem Lieblingsthema zu. Sie spielt einen Walzer von Yakis Stepoviy, die Träumerei und das Dumka-Schunka von Mykola Lysenko. Das sind zwei ihrer Landsleute, und Petrychenko reist seit Jahren durch deutsche Lande, um den Deutschen diese Musik näherzubringen. Seit Kriegsbeginn hat sie ihre Bemühungen noch einmal verstärkt. Auch die Geigerin Juliia Chemerys und die Pianistin Ievgenia Iermachkova lassen die Musik eines ukrainischen Komponisten erklingen. Von Myroslav Skovik hört das Publikum Melodie und Tanz aus Guzulian Triptych.
Mameghani kann mit einem echten Knüller aufwarten. Love Letter ist eine Uraufführung von Alla Pavlova, die bereits vor dem Krieg aus Russland nach New York emigriert ist. Die Komponistin hat dem Pianisten die Noten eigens für diesen Abend zur Verfügung gestellt. Ein eingängiges Stück, nach dem man auch mal mehr von Pavlova hören möchte. Aber vorerst setzt sich Natalia Vetrova ans Klavier und gibt nach einem Medley ukrainischer Filmmelodien mit der Ungarischen Rhapsodie Nr. 12 von Franz Liszt richtig Zunder.
Nach anderthalb Stunden hätte das Konzert eigentlich enden können. Stattdessen gibt es dann eine Pause. Anschließend tritt der Sänger Mikhail Zsar mit der Pianistin Irina Slania als Duo Dua Mi auf. Topoli von Petro Soloduha und Dwa Kolory von Alexandr Bilasch scheint keiner der Anwesenden zu kennen, was die Stimmung nicht im Geringsten schmälert. Warum die Pianistin Ievgeniia Iermachkova mit ihrem Vortrag von Walzer, la Chorale und l’Aria aus der Suite Nr. 5 von Myroslav Skorik keinen Anklang beim Publikum findet, ist vollkommen unverständlich und liegt sicher nicht an ihrem Spiel. Noch einmal begeistert Petrychenko das Publikum, diesmal mit Mriya von Yakiv Stepovyi und dem Lied op. 17 Nr. 1 einschließlich Improvisation von Levko Revutskyi. Da werden die Klänge gar ein bisschen jazzig, was angesichts der fortgeschrittenen Uhrzeit durchaus der richtige Einschlag ist. Das Duo Mi und Vetrova sorgen mit Imagine von John Lennon für das richtige Finale, auch wenn die musikalische Ausgestaltung sicher nicht ausgereift ist. Aber bei dieser Hymne spielt das wohl kaum eine Rolle, so auch an diesem Abend nicht, der mit stehenden Ovationen ein rauschendes Ende findet.
Ein sehr gelungener Abend, was sich dann hoffentlich auch in der Spendenbereitschaft am Ausgang niederschlägt. In den Boxen klimpert es jedenfalls nicht. Jeremias Mameghani hätte das nächste Benefizkonzert sicher gern wieder für die Menschen in der Ukraine ausgerichtet, aber jetzt steht erst mal noch Dringenderes an. Was für Zeiten, in denen Konzertveranstalter Triagen unternehmen müssen. Wer die schöne Atmosphäre des heutigen Abends erleben möchte, hat dazu bereits am 3. März Gelegenheit. Dann will Mameghani im Rathaus Neuss-Kaarst weiter Geld sammeln: für die Erdbebenopfer in der Türkei und Syrien.
Michael S. Zerban