O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Anke Hesse

Aktuelle Aufführungen

Missratene gute Idee

DÜSSELDORF SINGT WEIHNACHTSLIEDER
(Diverse Komponisten)

Besuch am
23. Dezember 2019
(Einmalige Aufführung)

 

D.Live, Merkur-Spiel-Arena, Düsseldorf

Die Idee greift allmählich um sich und hatte im vergangenen Jahr Premiere in Düsseldorf: Kurz vor Weihnachten treffen sich die Bürger einer Stadt in einem Stadion und singen gemeinsam Weihnachtslieder. Eine schöne Idee, möchte man denken. Das Heimatgefühl wird verstärkt, und gemeinsames Singen gehört ja ohnehin zu den verbindendsten Dingen auf dieser Welt. Allerdings hatte es schon nach der Premiere arge Kritik gehagelt, weil den Besuchern offenbar zu wenig Gelegenheit gegeben wurde mitzusingen. Das soll sich nun alles ändern.

Schon bei der Anreise zur Arena, dem Hausstadion des Fußballvereins Fortuna 95, gibt es Bedenken. Vom Auto wird abgeraten, aber allzu gut sind noch die Berichte von den letzten Fußballspielen in Erinnerung, bei denen die Besucher nach dem Spiel nur mit erheblichen Verzögerungen vom Messe-Bahnhof nach Hause kamen. Und so fährt auch gleich die erste Straßenbahn vollkommen überfüllt durch. Aber mit der Bahn, die sagenhafte eine Minute später hält, funktioniert der Transport. Mehrfache, abgestufte Sicherheitskontrollen werden bei rund 15.000 Besuchern zügig absolviert. Überall zwischen den Fressbuden, die von den Menschen frequentiert werden, als habe es seit Tagen keine Lebensmittelversorgung mehr gegeben, werden Liederhefte verteilt. Ordner an den Blocktüren sorgen dafür, dass man den richtigen Eingang ins eigentliche Stadion findet.

In der Mitte des Stadions, in dem am Vorabend noch der Fußballclub einen Sieg feiern durfte, sind jetzt auf einer weißen Fläche Musikinstrumente aufgebaut. Davor zahlreiche Lautsprecher. Die Musiker nehmen halbwegs pünktlich ihre Plätze ein, nachdem die Gäste eine Düsseldorferin, die an dem Abend 80 Jahre alt wird, mit einem Ständchen bedacht haben. Stadionsprecher André Scheidt, der die Moderation übernimmt, spricht persönlich Glückwünsche aus, ehe er das Procedere des Abends erklärt. Die Taschenlampe des eigenen Mobiltelefons solle nicht nur dazu dienen, die Texte im Liederheft mitzusingen, sondern auch dafür, eine schöne Stimmung zu erzeugen. Mit der Stimmung ist das allerdings so eine Sache. Die wird sich – beim Publikum zumindest – im Laufe der Veranstaltung nicht unbedingt steigern.

Im Stadion ist es eigentlich zu kühl, um dort anderthalb Stunden auf Plastikstühlen auszuharren. Von den Musikern sieht man außer Schemen nichts. Da kann man sich über Scheidts Moderation freuen. So erfahren die Zuschauer, wer sich da in der Mitte des Stadions tummelt. Ärgerlich, dass derweil auf den riesigen Monitoren über der Veranstaltungsfläche Weihnachtsdekofilmchen gezeigt werden – anstatt Nahaufnahmen oder Liedtexte.

Die Gruppe Alt Schuss steht für gute Stimmung im Düsseldorfer Karneval – Foto © Anke Hesse

Musikalisch hat das Ganze wenig mit einem „gemeinsamen Singen“ von Weihnachtsliedern zu tun. Man könnte eher sagen: Es stört nicht, wenn jemand im Publikum mitsingt. Das Orchester Michael Kuhl, das den Löwenanteil der Musik besorgt, will mit Jazz- oder Swing-Arrangements glänzen. Das mag für ein Konzert nett sein; wenn man als ungeübter „Sänger“ deutliche Einsätze braucht, taugt eine solche Verfremdung überhaupt nicht. Auch merkwürdige Tempo-Vorstellungen tragen nicht zu einem fröhlichen Mitsingen bei, während man die Jacke enger um den Körper wickelt, mit Handy und Liederheft jongliert und versucht, irgendetwas auf der „Bühne“ zu erkennen. Um dem Laienchor die Stimmung zusätzlich zu vermiesen, wird gern in höheren Tonlagen am Mikrofon gesungen. Da kommen die Baritone und Altistinnen auf den Rängen mehr als einmal ins Schleudern.

Als Künstler werden zusätzlich begrüßt die Swinging Funfares, Alt Schuss, De Fetzer, Kokolores und André Degiorgio aka enkelson. Für ein vorweihnachtliches Singen der Düsseldorfer Bürger miteinander ist dieser Gruppenauflauf eigentlich vollkommen überflüssig. Freunde des Karnevalsbrauchtums würden da wohl mehr Freude aufbringen. Für diesen Anlass hätte im Grunde ein ordentlicher Pianist und ein exzellenter Chorleiter mit Entertainment-Qualitäten mehr Sinn gemacht. An der Liederauswahl hätte das vermutlich ohnehin nicht viel geändert. Die ist nämlich im Großen und Ganzen in Ordnung. Von den 22 Liedern gibt es sechs mit englischen Texten, darunter das berüchtigte Last Christmas, und dass Rolf Zuckowski gleich auch noch mit drei Liedern vertreten sein muss, ist wohl den Kindern geschuldet.

Aber insgesamt ist das Konzept noch nicht zu Ende gedacht. Und so sucht das Publikum nach kurzem Applaus sein Heil in der Flucht. Während die Künstler noch irgendwelche Zugaben vom Stapel lassen, sorgen sich die Düsseldorfer um die Rückreise. Aber die ist inzwischen deutlich besser organisiert, so dass man binnen kürzester Zeit in der Straßenbahn sitzt. Eine Veranstaltung, nach der man sich am meisten darüber freut, dass An- und Abreise so gut funktioniert haben, ist möglicherweise noch nicht ganz das, was in anderen Städten längst zu einem der jährlichen Höhepunkte im bürgerlichen Miteinander avanciert ist.

Michael S. Zerban