O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Bettina Stöß

Aktuelle Aufführungen

Kraft der Wiederholung

COME IN
(Twyla Tharp, Aszure Barton)

Besuch am
26. September 2021
(Uraufführung)

 

Deutsche Oper am Rhein, Opernhaus Düsseldorf

Da ist die Freude schon getrübt, ehe der Abend überhaupt begonnen hat. Bei Betreten des Düsseldorfer Opernhauses der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg bekommt man das Gefühl, man sei in die Zeit vor dem zweiten Lockdown zurückversetzt. Außer dass beim Einlass nun auch neben der Eintrittskarte der Impf-, Test- oder Genesenennachweis vorzuzeigen ist. Im Foyer wird ein älterer Herr rüde vom Aufsichtspersonal angesprochen, dass er seine Maske zu tragen habe. Ja, auch das gibt es immer wieder – nicht nur in der Oper – dass Aufseher ihre Rolle überambitioniert spielen. Im Saal gilt die alte Sitzordnung. Jede zweite Reihe wird besetzt, zwischen nicht zusammengehörigen Personen bleibt ein Stuhl frei. Aber es bleiben auch so noch genügend Stühle unbesetzt. Trotzdem herrscht hier Maskenpflicht. Wozu genau war noch mal die Impfung da? Wäre man vielleicht doch lieber ins Theaterzelt auf dem Burgplatz gegangen. Da haben die Veranstalter für eine ausreichende Belüftung gesorgt, so dass die Besucher nah beieinandersitzen können, ohne eine Maske zu tragen. Auch in der Oper sinkt die Bereitschaft der Besucher zur Kooperation drastisch. Da geraten viele Masken beim Erlöschen des Lichts zum effizienten Kinnschutz. Wer bis jetzt versucht, mit Gleichmut zu reagieren, dem treibt ein Blick in das Programmheft die Zornesfalten auf die Stirn.

Da belästigt Dramaturgin Carmen Kovacs das Publikum mit ideologischer Idiotensprache, obwohl sich auch in der Oper mittlerweile die Erkenntnis herumgesprochen haben sollte, dass der Großteil des Publikums Sternchen und andere Sperenzchen ablehnt. Und wenn jemand geltende Rechtschreibregeln ignoriert, wird es mit der Wahrhaftigkeit womöglich auch nicht so weit her sein. Damit wird der Inhalt des Programmhefts uninteressant. Dass Kovacs sich anscheinend irgendeiner Blase zugehörig fühlt, wird deutlich, wenn sie die Missachtung des Publikums im Heft weitertreibt. Englisch ist keine Amtssprache in Deutschland und somit kann auch von keinem deutschen Besucher verlangt werden, dass er des Englischen mächtig ist. Und da wäre es in einem Programmheft wohl das Mindeste an Respekt vor dem Publikum, dass englische Begriffe und Titel erklärt oder wenigstens übersetzt werden. Schmunzeln darf man allerdings, wenn der Titel des Abends Come in lautet. Denn der erinnert doch an einen der schönsten faux pas der Werbegeschichte, den Werbeslogan der Kosmetikfirma Douglas, der lautete Come in and find out – Komm herein und finde wieder raus.

Solchermaßen auf den Abend eingestimmt, sind zumindest die Erwartungen schon mal sehr gedämpft. Statt der früher üblichen drei Aufführungen, gibt es an diesem Abend zwei. Sehr angenehm. Mit Pause und Catering. Ja, wenn der Mammon lockt, kann man bei Corona dann doch mal ein bisschen über die Stränge schlagen. Den Anfang macht die Uraufführung Commentaries on the Floating World – Kommentare zur schwebenden Welt – der Choreografin Twyla Tharp. Die Idee der dreiviertelstündigen Choreografie ist, einen Helden in seiner eigenen Welt leben zu lassen, während die wirkliche Welt unbemerkt um ihn herum abläuft. Mit dem Erfolg, dass er schließlich durch einen neuen Helden ersetzt wird. Ein interessanter Einfall, der einem Tänzer allerdings besondere Kondition abverlangt. Denn der Held bleibt die ganze Zeit, überwiegend frei improvisierend, auf der Bühne. Über einen solch langen Zeitraum haben dann auch die Improvisationskünste eines Julio Morel ihre Grenzen. Stefanie C. Salm hat ihm ein luftiges, buntes Kostüm angedeihen lassen, das ihn deutlich vom Corps in Schwarz mit blauen Accessoires abhebt. Das Corps glänzt mit ansehnlichen Leistungen. Einen Lichtblick gibt es im doppelten Wortsinn an diesem Abend von Volker Weinhart, der überwiegend mit Verfolgern und Seitenscheinwerfern arbeitet. Dadurch entsteht eine Spielfilmatmosphäre, die den Abend deutlich aufwertet. Für die Aufführungen sind als Dirigenten im Wechsel Marie Jaquot und James Williams angekündigt. Wenn Jaquot die Uraufführung Williams überlässt, ist das kein Grund zur Enttäuschung. Denn die Musik von Terry Riley ist durchaus auch ohne große Kunst beherrschbar. Die ewige, staccatohafte Repetition wirkt auf Dauer einschläfernd und anstrengend. Die Rosine im Kuchen des Einheitsbreis ist Luiza Fatyol, die den Sopran-Part übernimmt. Sie steht an der Rückwand des leicht angehobenen Grabens und verleiht der Aufführung so doppelten Grund zur Freude. Ihr sind Souveränität und Spaß an der Aufgabe anzusehen. Dass sie mikrofoniert singt, macht nichts. Schließlich ist die Freude größer, sie überhaupt mal wieder singen zu hören.

Im Grunde wäre es damit auch gut. Aber Demis Volpi hat noch ein Stück aus dem Jahr 2006 gefunden, das er hintendran hängen kann. Junge Choreografin wird von berühmtem Tänzer gefragt, ob man ein gemeinsames, ergebnisoffenes Projekt angehen solle. Nach vielerlei Proben kommt kein rechtes Ergebnis zustande, bis die Choreografin die Idee hat, typische Gesten des Tänzers als Grundlage einer Aufführung zu verwenden. So zumindest erzählt Aszure Barton ihre Begegnung mit Mikhail Baryshnikov 2005. Daraus entstand Come in, das 2006 in Hell’s Kitchen Dance, Buffalo, New York, uraufgeführt wurde. Was möglicherweise damals noch eine reizvolle Idee war, wurde später von Barton in ein reines Männerballett umgewandelt. Das wurde nun von den Tänzern der Rheinoper adaptiert. Was an diesem Abend zu erfahren ist: Die Alltagsgesten eines Tänzers unterscheiden sich nicht wesentlich von denen anderer Menschen und entbehren jeglicher Originalität. Was ja prinzipiell auch gar nicht schlimm ist. Genial umgesetzt, kann daraus ein allgemeingültiges Stück entstehen. Bei Barton gerät es zur Männertanzstunde, in der sich drei vollkommen nichtssagende Gesten beständig wiederholen. Dazu passt aber gut die stark romantisch eingefärbte, sich ebenfalls ständig wiederholende Musik von Vladimir Martynov, die Williams leichterdings ebenso beherrscht wie die Solistin Franziska Früh an der Geige. Vermutlich sitzen im Graben außerdem Musiker der Düsseldorfer Symphoniker, die ein ausgewogenes Spiel bieten; darüber gibt aber das Programmheft keine Auskunft – so ist das, wenn Dramaturgen sich mit Ideologie statt mit ihren Aufgaben beschäftigen. Während Barton die Männer in schwarze Trikots kleidet und mit Stühlen auf die Bühne schickt, hält sich Leo Janks mit Licht stark zurück. So gerät die zweite Aufführung zu einem Schattentanz, der letztlich eine Fan-Gruppe im Block zu Johlen veranlasst – das übrige Publikum lässt es, wie schon beim ersten Stück, bei freundlichem Applaus.

Demis Volpi hat ein Luxusproblem. Es strotzt nur so vor wichtigen Namen, ihm steht ein hervorragendes Corps unter optimalen Übungsbedingungen zur Verfügung, er kann mal eben einen Abend mit Live-Musik gestalten – aber all das führt beim Publikum nicht zu frenetischer Begeisterung. Derzeit leisten die Fotografen die wichtigste Arbeit, wenn die Rheinoper die Stadt mit Plakaten flutet, die mehr versprechen, als auch dieser Abend wieder hält.

Michael S. Zerban