O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Kommilitonen helfen beim Erfolg

BODY BEAST AND BLOSSOM
(Valentin Ruckebier)

Besuch am
12. Januar 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Robert-Schumann-Hochschule Düsseldorf, Partika-Saal

Valentin Ruckebier ist Student. Also eigentlich. Irgendwie. Nach 16 Semestern, sage und schreibe acht Jahren, will er jetzt seinen Abschied bei der Robert-Schumann-Hochschule in Düsseldorf einreichen. Wird auch Zeit. Andere Jugendliche haben längst einen Ausbildungsabschluss und arbeiten, um ihr Geld zu verdienen. Na ja, das macht Ruckebier auch. Ist nur nicht so einfach. Fing auch schon schwierig an bei ihm. Als Sohn eines Gitarristen und einer Sängerin konnte er der Musik kaum entkommen. Schrieb mit acht Jahren seine ersten Kompositionen. Spielte Klavier, Geige, sang im Knabenchor. Als Jungstudent ging es dann los an der Robert-Schumann-Hochschule. Die Jahre an der Musikhochschule nutzt er, um seine Kompositionen aufführen zu lassen, bei denen ihn Manfred Trojahn und später Oliver Schneller als Professoren unterstützten, ach ja, und um seine zweite Karriere zu begründen. Gesang studierte er bei Konrad Jarnot. Seit Anfang vergangenen Jahres ist er Mitglied des Opernstudios an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg. Hat im November den ersten Preis im Bundeswettbewerb Gesang im Konzertfach gewonnen. Langsam kann einem schwindlig werden. Ruckebier hängte an sein Kompositionsstudium noch den Exzellenzstudiengang, den man nur mit entsprechenden Noten und einer Eignungsprüfung beginnen darf.

Valentin Ruckebier – Foto © O-Ton

Am Ende des Exzellenzstudiengangs steht das Konzertexamen. Das ist der höchste von der Hochschule zu vergebende Abschluss bei den praktischen Musikern. Wer den Doktorhut braucht, muss ihn bei den Theoretikern erwerben. So ein Konzertexamen besteht aus zwei Teilen. Da gibt es zum einen den hochschulinternen Teil, das so genannte Kolloquium, das Abschlussgespräch, wie man es ähnlich auch von der Promotion kennt. Der zweite Teil ist ein öffentliches Konzert. Zu dem hat Ruckebier unter der Überschrift Body Beast and Blossom in den Partika-Saal, das ist der Konzertsaal der Musikhochschule, eingeladen. Die Schwierigkeit eines solchen Konzerts liegt auf der Hand, gerade im Fach Komposition. Zwar darf daran theoretisch jeder kostenfrei teilnehmen, aber gefallen muss es in diesem Fall nicht dem Publikum, sondern dem Prüfer respektive einer Prüfungskommission, was von Hochschule zu Hochschule variiert.

Trotzdem unternimmt Ruckebier alles, um seinem Publikum einen vergnüglichen Abend zu bereiten. Im Foyer hat er eine Klanginstallation aufgebaut, die er BlattVornMundOrgel nennt. Die Besucher können Laubblätter in einen hermetisch abgeschlossenen Raum legen, in den bei Drehen eines Knopfes Druckluft abgegeben wird. So entstehen ganz unterschiedliche Töne und für Gesprächsstoff ist gesorgt. Ergänzend hat der Komponist eigene Fotos im Foyer aufgehängt, die Szenen aus der Natur zeigen. Damit ist dann auch der Tenor des Konzerts vorgegeben.

Bei anderen Konzertexamina können sich Sänger oder Solo-Instrumentalisten auf ihre Fähigkeiten verlassen. Bei einem angehenden Komponisten ist das nicht so einfach. Denn der ist darauf angewiesen, dass er genügend Kommilitonen findet, die in der Lage sind, seine Arbeiten auch gebührend umzusetzen. Und das auch zu wollen. Ruckebier darf sich glücklich schätzen. Er wird auf Wolken getragen. Jan Kunz hat den Saal dazu in geschmackvolles Licht getaucht, ohne es mit den Effekten zu übertreiben. Das erste Stück führt zu den Anfängen. Denn Broken Circle war die erste Komposition, die im Rahmen seines Studiums im Partika-Saal aufgeführt wurde. Ein Sextett in drei Sätzen befasst sich mit den Assoziationen zu Phänomenen wie der Steinkreis Stonehenge in der englischen Grafschaft Wiltshire. Unter der musikalischen Leitung von Laura Brannath wird der gebrochene Kreis sowohl in seiner Eigenschaft als Sternwarte als auch als Kultstätte beleuchtet. Ruckebier lässt sich auf das so entstehende Spannungsfeld gekonnt ein. Im Programmheft erläutert er zudem ausführlich nicht nur die assoziativen Inhalte, sondern auch seine Musik, die von Flöte, Klarinette, Perkussion, Klavier, Geige und Cello interpretiert wird.

Laura Brannath – Foto © O-Ton

Dass die Gesangsausbildung nicht ohne Einfluss auf seine Kompositionen bleiben würde, leuchtet jedem ein, der sich ein wenig in der Materie auskennt. Und so ist das folgende Stück, das 2019 an anderem Ort uraufgeführt wurde, als Vokalkomposition ein Wendepunkt in Ruckebiers bisherigem Schaffen. Der Bariton George Clark, begnadeter Kommilitone aus seiner Gesangsklasse bei Konrad Jarnot, trägt in der Klavierbegleitung von Austéja Valušytė das Lied Blütenblatt vor, das ein vom Komponisten selbst verfasstes Gedicht zur Grundlage hat. Die Reflektion über Schaffens- und Entstehungsprozesse, über Vergänglichkeit und Neubeginn der Kunst ergreift das Publikum nicht nur inhaltlich, sondern auch in der sehr gelungenen Ausformung der Stimme und der Harmonie mit dem Klavier.

Nicht weniger mystisch kommt die Uraufführung des Abends daher. Der altgriechische Titel Cheimon steht sowohl für den Winter und seine Entbehrungen als auch nach Aischylos für Leiden, Not und Trauer. Der Komponist nimmt den Hörer mit auf eine Reise der Psyche durch die Jahreszeiten, die er mit allerlei Mythologie verbindet. Jakob Kleinschrot, ebenfalls Schüler von Jarnot, verleiht dem Werk die tenorale Stimme, die orchestral mit Flöte, Klarinette, Fagott, Perkussion, Klavier, zwei Geigen, Cello und Kontrabass eingebettet wird. Außerdem verwendet Ruckebier hier erstmalig die Möglichkeit der elektronischen Zuspielung eigenen field recordings. Es entsteht ein faszinierendes und packendes Musikstück, das hoffentlich bald bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik oder einem ähnlichen Festival zu hören sein wird, um es einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen.

Die Freude über den gelungenen, gut einstündigen Abend ist auch beim Publikum groß, das die Musiker und den Komponisten ausgiebig mit Applaus bedenkt. Ein noch schönerer Abschluss wäre die Bekanntgabe eines bestandenen Konzertexamens gewesen. Aber da muss sich Valentin Ruckebier noch bis zum Kolloquium gedulden. Zweifel gibt es nach diesem Abend zumindest beim Publikum keine.

Michael S. Zerban