Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
AUS DEM SÜDLICHEN EUROPA
(Diverse Komponisten)
Besuch am
30. November 2022
(Einmalige Aufführung)
Seit 2003 führt das Notabu-Ensemble im Hartmut-Hentrich-Saal der Düsseldorfer Tonhalle die Kammermusikreihe mit dem Titel „Na, hör’n Sie mal …“ auf. Hier soll „die Musik der Gegenwart und einer jüngeren Vergangenheit einem aufgeschlossenen Publikum“ vermittelt werden, „das eben nicht schon zu den erfahrenen Hörern gehören muss“. So ist es auf den Netzseiten der Tonhalle und des Ensembles nachzulesen.
Da ist mit dem Mittwoch der Aufführungstag gut gewählt, denn wer so aufgeschlossen ist, geht auch mitten in der Woche ins Konzert. Selbst dann, wenn am Eingang mal wieder die Kleiderpolizei wacht. Es nervt. Jetzt ist es gut, einen Kopf größer als das Personal zu sein und die Stimmlage auf die Außentemperaturen absinken zu lassen. Denn so darf man dann doch mit dem Mantel in den kühlen Saal, in dem man fast zwei Stunden nahezu unbeweglich sitzen wird.
Vera Seedorf – Foto © Joschua Voßhenrich
Der Saal ist überraschend gut besucht. Wie man es jetzt immer häufiger erlebt, wenn von neuer oder zeitgenössischer Musik die Rede ist. Und da bremst der Computer den Abend erst mal aus. Mit dem IBM 7090 ließ Iannis Xenakis 1962 das zwölfminütige Stück ST/10.1, 080262 erstellen. Klar, dass er den selbst programmiert hatte. Und das war zu seiner Zeit sicher so etwas wie eine Sensation. In der Folge produzieren heute Millionen Menschen Eindrucksvolleres am heimischen Computer. Auch wenn das zehnköpfige Orchester das Stück virtuos vorträgt. Es ist ein Ausflug in eine Vergangenheit, die vorbei ist. Ein Jahr nach Erscheinen von Xenakis Werk wurde Konstantia Gourzi geboren. Fast 60 Jahre später erscheint ihr Nèome für Klarinette, Schlagzeug und Klavier. Nèome bedeutet so viel wie: Ich komme zurück. Im übertragenen Sinn versteht Gourzi darunter, „dass der innere Weg zur Nostalgie oder Sehnsucht ebenfalls ein Zurückkommen“ sei. Dafür fährt sie großes Geschütz auf. Die Pianistin Yukiko Fujieda wird zusätzlich mit zwei Windspielen ausgestattet, allerdings unnötigerweise so weit in die Ecke gedrängt, dass sie nicht mehr zu sehen ist. Mit zwei Vibrafonen, einer überdimensionierten Kuhglocke, einem Becken und zwei Klangschalen ist Schlagwerkerin Vera Seedorf ausgestattet. Und Christof Hilger vervollständigt das Trio mit einer eher geflüsterten Klarinette. Es entsteht über zehn ein ruhiger, getragener Eindruck mit unverkennbar orientalischen Einflüssen.
Die kommenden sieben Minuten gehören José Maria Sánchez-Verdú, der 2011 Memoria del aqua – Erinnerung des Wassers – komponierte. Hier tritt das elfköpfige Orchester unter Leitung von Mark-Andreas Schlingensiepen wieder an, um eben eine Geräuschkulisse zu erzeugen, die Tiefen eines Gewässers assoziiert. Die Töne werden kaum hörbar, mehr gehaucht als gespielt, lediglich Yoishi Murakami kommt mit seinem Horn deutlicher zu Gehör. Das klingt nach Poesie – und ist es auch. Von Vinyl-Schnecken ist bei Maxim Kolomiiets die Rede. 2016 komponierte er das sechsminütige Werk Vinyl Snails für ein sechsköpfiges Orchester, in dem die Leerlaufrille am Ende einer Schallplatte Vorbild ist, über die sich schon mal schrille Ausbrüche legen.
Yukiko Fujieda – Foto © Joschua Voßhenrich
Eindeutiger Höhepunkt des Abends ist der Besuch von Laura Marconi. Die aus Turin stammende Musikerin lebt in Düsseldorf und hat hier auch Komposition studiert. Mit dem Notabu-Ensemble gibt sie ihr Debüt in der Tonhalle. Dazu hat sie ein Gedicht von Alice Bosco vertont. In Ethos 19 berichtet die Dichterin von der emotionalen Situation während des Lockdowns in Norditalien. Marconi setzt das mit dem siebenköpfigen Orchester, das ohne Schlagwerk auskommt, sehr eindrucksvoll um. Im anfänglich immer gleichen Rhythmus ist die Isolation zu spüren, in die Klaviernoten wie Wassertropfen in einem Kerker zu Boden fallen. Die Komponistin spricht den Text selbst, über den Saallautsprecher nicht immer verständlich. Hier hätte man sich den pinkfarbenen Farbdruck des Abendzettels sparen können, dann wäre noch Geld für ein Blatt Papier mit dem Gedicht oder wenigstens dessen Übersetzung drin gewesen. So geht etliches von dem Text unter, vor allem, wenn sich die Streicher allmählich verdichten. Aber letztlich soll auch das Thema Lockdown mit seinen schrecklichen Erfahrungen auch in psychischer Form ein Ende finden. Und so wird nach etwa zwölf Minuten symbolisch von jedem Musiker ein Notenblatt zerknüllt und zu Boden geworfen. Recht so. Gratulation an Marconi für einen schönen Vortrag und vor allem eine gelungene Intonation.
Nach mehr als anderthalb Stunden hätte man den Abend damit wunderbar schließen können. Schlingensiepen allerdings möchte noch einmal zurück ins Museum, und so tritt das gesamte Orchester noch einmal zusammen, um die Zweite Serenade von Bruno Maderna aus dem Jahr 1954 aufzuführen. Es ist nun wirklich nicht so, dass man sich dabei die Ohren zuhalten müsste, zumal das Notabu-Ensemble in gewohnter überragender Qualität aufspielt. Aber wäre es wirklich so schlimm gewesen, statt Xenakis und Maderna zwei Komponisten der Gegenwart aus dem europäischen Süden zu wählen? Aber auch so sind die Besucher mit dem Abend zufrieden, also die, die nicht schon in der Pause gegangen sind, aber deren Anzahl ist überschaubar, und sicher werden viele am 25. Januar wieder in der Tonhalle erscheinen. Dann ist das nächste Konzert mit ungewöhnlicher Musik vom Notabu-Ensemble geplant.
Michael S. Zerban