O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Gelungener Ausflug nach Amerika

AMERICAN SYMPHONIC
(Leonard Bernstein, Samuel Barber, George Gershwin)

Besuch am
22. Juni 2024
(Einmalige Aufführung)

 

Universitätsorchester der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Johanneskirche, Düsseldorf

Was für eine Schande. Als kleines Kind hast du damit begonnen, ein Instrument zu erlernen, praktisch deine gesamte Jugend damit verbracht, es bis zur Perfektion zu beherrschen, vielleicht erste Solisten-Konzerte gegeben, irgendjemand sprach zwischendurch auch mal von Wunderkind, hast möglicherweise in Jugendorchestern gespielt und an Wettbewerben teilgenommen. Und mit dem Abitur in der Tasche stehst du plötzlich am Scheideweg. Sollst du jetzt wirklich das Instrument zu deinem Beruf machen? Oder „was Richtiges“ lernen? Wenn es nach den Eltern geht, die dein Studium zu großen Teilen finanzieren, ist die Entscheidung klar. Musik ist ja schön und hat sicher auch zu deiner Herzensbildung beigetragen, deshalb haben die Eltern ja auch viel Geld dafür ausgegeben, aber mit dem Abitur beginnt doch der Ernst des Lebens. Einzelschicksale? Silke Löhr bezweifelte das schon 1987. Damals gründete die Studentin der Musikhochschule Köln das Symphonie-Orchester der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Bereits ein halbes Jahr später nahmen 50 Studenten aller Fachrichtungen – außer Musik – an einem ersten Konzert teil. Heute verzeichnet das Programmheft 76 Teilnehmer. Seither ist nicht nur das Orchester ständig gewachsen, sondern zwei Jahre später gründete Löhr auch den Unichor. Sie nahm ihre Aufgabe sehr ernst, richtete ihr eigenes Studium nach der neuen Aufgabe aus. Sie studierte Dirigieren und Orchesterleitung. 2003 wurde sie zur Akademischen Musikdirektorin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf ernannt.

Orchester und Chor entwickelten sich in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten unter ihrer Leitung zu festen Bestandteilen des Düsseldorfer Kulturlebens, treten immer wieder in der Tonhalle und den Kirchen im Stadtgebiet und Umgebung auf. So auch heute. Das Universitätsorchester der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, wie es heute heißt, lädt zu einem Konzert in die Johanneskirche ein. American Symphonic lautet der Titel. Auf dem Programm stehen Leonard Bernstein, Samuel Barber und George Gershwin. Das ist immerhin so reizvoll, dass die Johanneskirche zwar nicht ausverkauft, aber doch sehr gut besucht ist. Kenner wissen, dass die Kirche in der Düsseldorfer Innenstadt für Orchesterauftritte immer ein Wagnis darstellt. Wer hier die Akustik nicht kennt, kann böse Überraschungen erleben.

Elena Klaas – Foto © O-Ton

Mit einem lauten Knall beginnt der Abend. So hat es Leonard Bernstein für Slava!, eine politische Orchesterouvertüre aus dem Jahr 1977, vorgesehen. Slava war der Spitzname des russischen Cellisten und Dirigenten Mstislaw Rostropowitsch, mit dem sich Bernstein während einer Tournee des New York Philharmonic Orchestra in Russland anfreundete. Ihm widmete er das Werk, als Rostropowitsch 1977 Dirigent des National Symphony Orchestra der USA wurde und das erste Konzert in Washington D.C. leitete. Willkommen also in der Zirkusmanege. Ein Eindruck, den Bernstein durchaus vermitteln wollte, und das gelingt in der Johanneskirche auch sehr gut. Politisch, wie es der Untertitel verspricht, war in Zeiten des Kalten Krieges nicht nur die Entscheidung, einen russischen Dirigenten in Amerika zu engagieren, sondern auch die Tonbandaufnahmen, die politische Worthülsen in die Musik einstreuen sollten und heute Abend kurzerhand weggelassen werden. Was auf keinen Fall fehlen darf, ist der Abschluss der Ouvertüre, wenn das Orchester wie aus einem Mund „Slava!“ ruft. In der Theorie. In der Praxis fehlt es an dieser Stelle ein wenig an der Präzision und Energie eines Peitschenknalls, um den Effekt voll und ganz auszukosten.

Die Bläser verlassen den Altarraum, in dem sich das Orchester aufgestellt hat, um Platz zu machen für ein Werk, das für den Komponisten Alptraum wie Siegeszug war. 1938 arrangierte Samuel Barber sein Adagio for Strings opus 11 auf Bitten von Arturo Toscanini, das er ursprünglich als zweiten Satz für ein Streichquartett vorgesehen hatte. Im selben Jahr gab es die Uraufführung und Radioübertragung des NBC Symphony Orchestra unter Toscaninis Leitung. Es machte Barber nicht nur weltberühmt, sondern sorgte im Folgenden auch dafür, dass der Komponist auf das Werk reduziert wurde. Zum „Best of des 20. Jahrhunderts“, wie es Alena Wilsdorf im Programmheft nennt, entwickelte es sich, nachdem das Adagio im Anschluss an den plötzlichen Tod des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt im Radio gespielt wurde. Und die Streicher in der Johanneskirche geben ihr Bestes, um die Feinheiten des Stücks auszutarieren. Das Publikum zeigt sich von der Leistung beeindruckt und weiß noch nicht, dass es gerade erst das Vorspiel erlebt hat.

Silke Löhr – Foto © O-Ton

Denn ein Jahr später entstand das Concerto del Sapone, wie Barber sein Konzert für Violine und Orchester opus 14 später scherzhaft nannte, entstand es doch als Auftragsarbeit des Seifenfabrikanten Samuel Fels. Hatte es der Geiger Iso Briselli, für den es geschrieben worden war, im Finale für unspielbar erklärt, wurde es zu einem der am meisten gespielten Violinkonzerte in Nordamerika. Das Uni-Orchester hat als Solistin eine Kommilitonin einladen können. Elena Klaas hat bereits als Jungstudentin an der Robert-Schumann-Hochschule Geige studiert und ihre Ausbildung fortgesetzt, bis sie 2020 ihr Medizinstudium aufnahm. Nach dem Seifenkonzert fragt man sich allerdings, ob sie den richtigen Weg einschlägt oder der Musikwelt hier nicht eine hervorragende Violinistin verlorengeht. Das Orchester unterstützt sie fabelhaft, und so gelingt eine eindrucksvolle Darbietung. Für den Jubel im Auditorium bedankt Klaas sich mit der Sarabande aus der Zweiten Partita von Johann Sebastian Bach.

Die streicherlastige erste Konzerthälfte gleicht George Gershwin nach der Pause mit der vermutlich berühmtesten – und lange Zeit umstrittensten – amerikanischen Oper aus, die 1935 uraufgeführt wurde. Nein, es gibt keine Aufführung von Porgy and Bess, sondern Löhr hat die dazugehörige Suite Porgy and Bess: Symphonic Picture, die Robert Russell Bennett für Orchester arrangierte, ausgewählt. Eine gute Entscheidung, die die Dirigentin voll auskostet, wenn sie mit ihren Musikern den Glanz verbreitet, den die verschiedenen Genres bieten. Und man fragt sich einmal mehr, wie die Musiker, die formal ein Laien-Orchester sind, solche Spitzenleistungen hervorbringen können. Die Antwort liegt neben dem persönlichen Engagement eines jeden einzelnen Mitglieds, das hier immer wieder zu spüren ist, und der großartigen Leistung von Löhr, die gefühlt jeden Instrumentalisten einzeln an die Hand nimmt, in den Probenzeiten. Ein Semester lang hat das Orchester Zeit, sich auf ein neues Programm vorzubereiten. Zeit, die mehr als gut genutzt wird, wie die Akteure jetzt in der Kirche zeigen.

Heiter-beschwingt feiert das Publikum nach knapp zwei Stunden nicht nur ein interessantes Programm, sondern auch die jungen Leute, die ihm das amerikanische Repertoire nähergebracht haben. Ein großartiger Abend, den man am 26. Juni noch einmal erleben kann, dann in der Stadthalle Ratingen. Unbedingt empfehlenswert, zumal die akustischen Verhältnisse sich deutlich zu denen in der Johanneskirche unterscheiden.

Auch der Universitätschor bietet ein neues Programm unter dem Titel Der Traum von Freiheit, dessen Programm ebenfalls vielversprechend klingt.

Michael S. Zerban