O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Keinen hat es noch gereut

ALLES! ALLES LIEB‘ UND LEID, UND WELT, UND TRAUM
(Gustav Mahler, Henriëtte Bosmans et al.)

Besuch am
1. Juli 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Liedsommer 2023, Palais Wittgenstein, Düsseldorf

Zwar ist die Netzseite von Liedwelt Rheinland gendersprachideologisch verseucht, aber wer sich direkt auf das Programm des Liedsommers 2023 begibt, kann sich weitgehend davor schützen – und wird so manch interessantes Konzertangebot finden. Ein etwas umständlicher Titel fällt dabei ins Auge. Alles! Alles Lieb‘ und Leid, und Welt, und Traum heißt ein Konzertabend, der erstmalig im Düsseldorfer Palais Wittgenstein stattfinden soll.

Die Landeshauptstadt setzt derzeit alles daran, Köln den Titel der autofeindlichsten Stadt in Nordrhein-Westfalen abzujagen. Das hat nicht nur zur Folge, dass ewige Staus mit roten Ampelphasen produziert werden, sondern auch der Innenstadtbereich zunehmend unattraktiver wird. Das Palais Wittgenstein, in unmittelbarer Nähe des Karlsplatzes, ist mit dem Auto so gut wie nicht mehr erreichbar, es sei denn, man nimmt überteuerte Parkgebühren bei marginalem Service im Parkhaus in Kauf. Die vielzitierte Lebensqualität in der Stadt ist davon weit entfernt. Da verwundert es nicht, dass der Konzertsaal an diesem Abend nicht einmal zur Hälfte besucht ist. Es trifft also nicht die Stadtoberen, sondern die Künstler. Und damit auch das Publikum, dem ein wunderbares Programm vorenthalten wird.

Tomas Kildišius – Foto © O-Ton

Zur Gestaltung haben sich nicht nur Sänger und Pianistin versammelt, sondern auch ein Saxofonquartett findet seinen Platz auf der Bühne. Tomas Kildišius hat inzwischen sein Studium an der Robert-Schumann-Hochschule bei Konrad Jarnot und Hans Eijsackers erfolgreich abgeschlossen. Schon während des Studiums zählte der Bariton zu den begehrtesten Sängern in der Stadt. Ihn begleitet Ani Ter-Martirosyan, die sich längst auch als Solistin am Klavier einen Namen gemacht hat. Ihre Aufgabe ist dabei vergleichsweise leicht, denn sie bekommt Unterstützung vom Eternum Quartett. Mari Ángeles del Valle, Eva Kotar, Ajda Antolovič und Filip Orlović haben sich an der Kölner Musikhochschule kennengelernt und längst zu einem gefragten Saxofonquartett entwickelt. In dieser für einen Liedabend ungewöhnlichen Konstellation beginnt Kildišius mit den Liedern eines fahrenden Gesellen von Gustav Mahler. Ursprünglich vertonte Mahler die vier Gedichte Wenn mein Schatz Hochzeit macht, Ging heut‘ Morgen über’s Feld, Ich hab‘ ein glühend Messer und Die zwei blauen Augen von meinem Schatz 1885 für Orchester, ein Liebesgesang für die Sopranistin Johanna Richter, der nicht zum gewünschten Erfolg führte. Arsen Babajanyan hat die vier Lieder für Saxofone und Klavier arrangiert, und er hat hervorragende Arbeit geleistet. In diesem musikalischen Umfeld kann der Sänger auftrumpfen. Kildišius, gebürtig aus Litauen, glänzt mit herausragender Textverständlichkeit, die manchen Muttersprachler neidisch werden lassen dürfte.

Den anschließenden Wechsel ins Niederländische respektive Französische nutzt Kildišius, um die Besucher zu begrüßen und die nachfolgenden Lieder kurz vorzustellen. Sehr gut. In den Jahren 1947 und 48 verfasste die niederländische Pianistin und Komponistin Henriëtte Bosmans zehn Melodien auf Französisch für Klavier und Gesang, um sie Noemie Perugia zu widmen. Sechs aus den Dix Mélodies hat Kildišius ausgewählt und von Sylvain Dedenon arrangieren lassen, die vom Meer, Matrosen und der Liebe handeln. Saxofone und Klavier bereiten dem Bariton eine wunderbare Grundlage, um sich nun auch auf Französisch zu profilieren. Die damit verbundenen Herausforderungen nicht nur sprachlicher, sondern auch sängerischer Art meistert er ohne Schwierigkeiten.

Ani Ter-Martirosyan – Foto © O-Ton

Dagegen fallen die beiden Lieder aus Die schöne Magelone von Johannes Brahms fast ein wenig ab. Mit Keinen hat es noch gereut und Wie froh und frisch liefert Kildišius – nunmehr in der alleinigen Begleitung von Ter-Martirosyan – einwandfreie Interpretationen, denen aber im Kontext ein wenig die Farben der Saxofone fehlen. Andersrum ist kaum zu verstehen, warum der Bariton die Chance ungenutzt lässt, Summertime aus der Suite Porgy and Bess von George Gershwin zu intonieren. Ebenso wie mit It ain’t necessarily so liefern die Saxofonisten hier erstklassige instrumentale Arrangements von Babajanyan ab, die raffiniert und elegant die schwüle Stimmung der Suite verfeinern. Ein Hörgenuss vom Allerfeinsten.

Für den letzten Block hat Babajanyan drei Lieder aus Maurice Ravels Don Quichotte à Dulcinee arrangiert, die mit dem Trinklied ihren Höhepunkt und damit ein gelungenes Ende eines außergewöhnlichen Konzerts finden. Die Wiederholung der zehnten Melodie von Bosmans, Les médisants, als kleine Zugabe beendet dann auch den rauschenden Beifall, um den die Besucher sich bemühen. So muss ein Liedabend sein. Ungewöhnliches Programm, hervorragende Interpretation in überraschender Besetzung und gutgelaunte Musiker, die richtig Spaß haben an der Umsetzung ihrer Ideen.

In Köln, Dortmund und Bonn wird es in den nächsten Tagen noch die Möglichkeit geben, ein großartiges Konzert zu besuchen, wie es einem wirklich nicht alle Tage geboten wird.

Ende Oktober wird dann das Album Die schöne Magelone von Johannes Brahms erscheinen, das Kildišius und Ter-Martirosyan in Begleitung der Sprecherin Jannike Liebwerth eingespielt haben.

Michael S. Zerban