O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Susanne Diesner

Aktuelle Aufführungen

Vom Abenteuerroman zum Magmastrom

ALLA BREVE ‘25
(Bastián Jorquera Figueron, Yejun You, Antoine Eden)

Besuch am
7. November 2025
(Uraufführung)

 

Robert-Schumann-Hochschule im Forum Freies Theater, Düsseldorf

In Düsseldorf gibt es eine Musikhochschule, die bietet den Studiengang Komposition mit verschiedenen Schwerpunkten an. Es wäre wohl überhaupt kein Problem für die Deutsche Oper am Rhein, sich einer solchen Ressource zu bedienen und ihrem Publikum regelmäßig neue Opern anzubieten. Findet nicht statt. Da fragt man sich schon, ob die Landeshauptstadt ein Opernmuseum für mindestens 1,8 Milliarden Euro braucht. Aber das soll nicht Thema sein. Dass die Nachwuchskomponisten auf hohem Niveau arbeiten, wollen sie jetzt zum vierten Mal im Format Alla breve beweisen. Ein fein gewählter Titel, der im täglichen Sprachgebrauch so viel wie in Kürze bedeutet, musikalisch bezeichnet er meist den 2/2-Takt, der mithin zwei Schläge pro Takt hat. Die Musik wird also im Vergleich zum 4/4-Takt doppelt so schnell gespielt. Höhere Geschwindigkeit bei höherem Schwierigkeitsgrad als Vorgabe für die zeitgenössische Oper? Das können die jungen Tonsetzer jetzt im Forum Freies Theater unter realistischen Aufführungsbedingungen zeigen. Zuvor konnten die Studenten sich mit Konzepten für Kurzopern bewerben, unter denen drei von ihren Professoren ausgewählt wurden. In diesem Jahr fiel die Wahl auf El abismo de Dantès von Bastián Jorquera Figueron, Durst, aber wie? von Yejun You und Unten von Antoine Eden.

Die drei etwa halbstündigen Werke werden von einem professionellen Team inszeniert und von der Opernklasse und Kammerensembles der Hochschule aufgeführt. Thomas Gabrisch hat sich um die musikalische Einstudierung gekümmert. Als Regisseurin steht Hanna Werth vor der anspruchsvollen Aufgabe, drei vollständig unterschiedliche Herangehensweisen zu meistern. Ist es im ersten Stück noch der eher konventionelle Zugang auf der Basis eines Abenteuerromans, wird es in der Mitte schon beinahe surreal und am Schluss spart der Komponist am Text. Um es vorwegzunehmen: Werth löst das vorzüglich. Saskia Hulte schafft für alle drei Werke ein großartiges Bühnenbild, bei dem das Orchester stets auf der rechten Bühnenhälfte bleibt, während mit einfachen Mitteln, dem Einsatz von Plastikbahnen und Holzkisten, wunderbar fantasievolle Bilder entstehen. Großartig hat Bee Hartmann die Kostüme entworfen. Da fällt einem statt des Begriffs des Kostümbildners eher der des Modedesigners ein. Christian Lacroix oder Arthur Arbesser kommen einem da in den Sinn. Unbedingt erwähnenswert auch Maskenbildner Matthias Butt, der mit kräftigen Farbstrichen auch vor den Haaren nicht zurückschreckt. Da braucht man nicht herumzureden: Das Team könnte sich auf jeder Opernbühne seine Meriten verdienen.

Es geht vergleichsweise bieder los mit El abismo de Dantès von Bastián Jorquera Figueron, zu Deutsch die Hölle des Dantès. Der Nachwuchskomponist begann seine musikalische Laufbahn im Alter von neun Jahren als Flötist. 2013 nahm er das Kompositionsstudium an der Universidad de Chile auf. 2025 absolvierte er den Master an der Robert-Schumann-Hochschule, wo er derzeit am Exzellenzstudiengang teilnimmt. Für sein heutiges Werk hat er einen Ausschnitt aus dem Grafen von Monte Christo ausgewählt. Es ist der Augenblick, als Abbé Faria dem jungen Edmond Dantès von dem Schatz erzählt, der den Wendepunkt im Leben des künftigen Grafen bedeuten wird. Grantas Šileikis als Edmond, Jakob Brieden als Abbé und Solomon Hayes als Kerkermeister erfüllen ihre Rollen eindrucksvoll. Das zwölfköpfige Orchester unter der Leitung von Dzmitry Kalatsila überfordert die Besucher nicht. Insgesamt eine solide Leistung, bei der es nichts zu meckern gibt.

Hört man sich zeitgenössische Opern an, kann man den Eindruck gewinnen, dass die Komponisten zwei Dinge nicht mehr lernen. Den Operngesang, der sich heutzutage eher in – oft langweiligen – Rezitativen erschöpft, vielleicht mal mit dem einen oder anderen Ausflug in höhere Tonlagen durchsetzt. Und das Orchesterspiel, das häufig eher an die Aneinanderreihung verschiedener Instrumentenstimmen erinnert als an ein Zusammenspiel, bei dem die Summe größer wird als die einfache Addition der Instrumente. Der zwanghafte Versuch, auch nur jeden Anflug von Romantik zu vermeiden, führt – für Komponisten möglicherweise überraschend – nicht zu größerer Begeisterung ihrer Publika, sondern dazu, dass Uraufführungen mit schöner Regelmäßigkeit nach der zweiten Vorstellung wieder in der Schublade verschwinden. Die spannende Frage des Abends ist also, ob man im FFT anderes erleben wird.

Daran arbeitet auch Yejun You mit seinem Werk Durst, aber wie? Der gebürtige Südkoreaner studierte in seiner Heimat Komposition und Computermusik, absolvierte sein Masterstudium in elektroakustischer Komposition in Bremen und nimmt derzeit am Exzellenzstudiengang Komposition der Robert-Schumann-Hochschule teil. Aus einem Durstgefühl heraus entwickelte der Musiker ein Spannungsdreieck zwischen Mangel, dem daraus erwachsenden Bedürfnis und dem „hochmütigen Versuch“, beides durch Vernunft zu kontrollieren. Daraus entwickelt er eine halbstündige Handlung, in der Johannes Jost als Trichter versucht, zwischen dem Trinker Falk Fink und der Nässe Sita Grabbe zu vermitteln. Ihm ist allerdings Erfolglosigkeit beschieden, denn, so die überraschende Auflösung, Nässe als auch Trinker erkennen ihre eigenen Bedürfnisse, „deren Erfüllung als Illusion unerfüllt bleibt“. Werth sorgt für angemessene Bewegung im Raum, die Sänger erfüllen ihre Aufgaben hervorragend. Auch hier zwölf Musiker, die die Ideen von Yejun You diesmal unter der Leitung von Giorgos Tsilidis hoch engagiert umsetzen.

Mit Unten von Antoine Eden scheint der Abend allerdings förmlich zu explodieren. Der Komponist nimmt selbst an Klavier und Keyboard Platz. Mit sechs Jahren begann der gebürtige Leipziger, Klavier zu spielen, mit vierzehn zu komponieren. An der Robert-Schumann-Hochschule studiert er zeitgenössische Komposition. Heute Abend erzählt er eine abstrakte Liebesgeschichte zwischen zwei Wesen, die schließlich über einem Magmastrom schweben. Neben sanftem Humor gefallen vor allem die Stimmen, die sehr differenziert zwischen Sprechgesang, Gesang und Duett ausfallen. Hier findet sich der Strom durchgängig. Dabei gibt es vergleichsweise wenig Text für Charlotte Komar, Maximilian Schwarzacher und Natalie Mischoli als Zusatzstimme. So haben sie sehr viel Zeit, sich tänzerisch im Spiel mit Plastikfolien zu verausgaben. Auch die zusätzliche Aufgabe meistern sie mit Bravour. Musikalisch gibt es unter der Leitung von Luke Pan eine Art Dammbruch. Zwar gibt es auch bei Eden dreizehn Musiker auf der Bühne, die aber sind nun aufgeteilt in Ensemble und Band. Und damit vernichtet der Komponist so ziemlich alle Genre-Grenzen. Was ihm auch genau so Anliegen seiner gesamten Arbeit ist. Da wird Minimal Music unter rockige Beats gemischt, Flötenklänge suchen die Klassik, um von Trompete und Flügelhorn Richtung jazziger Tanzmusik gedrängt zu werden. Das Ganze als hochkomplexer Mahlstrom, der kaum Gelegenheit zum Durchatmen gibt. Ja, so kann man sich die Weiterentwicklung von Oper vorstellen.

Das Publikum zeigt sich begeistert und bedankt sich lange bei den jungen Akteuren wie beim Leitungsteam. Wenn man neuere Entwicklungen aus diesem Abend ableiten möchte, sind es sicher die Einspielungen von Geräuschen und elektronischer Musik, die allmählich von „ausgefallenen Ideen“ zu professionellen Bestandteilen der Musik werden. Ob die Professoren bis zum nächsten Alla breve dann auch eine Studentin finden, deren Arbeit gut genug ist, um auf der Bühne umgesetzt zu werden, bleibt vorerst noch ihr Geheimnis, nachdem es dieses Mal anscheinend nicht gelungen ist.

Michael S. Zerban