Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
ADVENTSKONZERT
(Diverse Komponisten)
Besuch am
19. Dezember 2021
(Einmalige Aufführung)
Ein anstrengendes Jahr geht zu Ende. Entscheidungen wurden zu Glückstreffern – oder auch nicht, Planungen gerieten zu Glücksspielen. Wenn irgendetwas stattfand, dann gleich mit ungeheurem Aufwand. Von der einfachen, kleinen Urlaubsreise bis zum Theaterbesuch gab es kaum entspannte, heitere Momente. Wer im Frühjahr prophezeite, dass im Herbst eine neue, noch schlimmere Virusvariante verkündet werden würde, wurde belächelt. Trotzdem gaben viele Kulturarbeiter alles, um noch möglichst viel Programm im Herbst durchzusetzen. Zu groß die potenzielle Gefahr neuer Auftrittsverbote. Auch Bernd Lausberg versuchte, seine Galerie in Düsseldorf aufrechtzuerhalten. Nicht nur das gelang ihm, sondern er konnte über das Jahr sogar in Zusammenarbeit mit der Düsseldorf Lyric Opera acht Konzerte in seinen Räumlichkeiten aufführen. Im Herbst dann die Katastrophe. Ein Arbeitsunfall zwingt ihn wörtlich in die Knie. Kurz vor Weihnachten kann er sich wenigstens wieder an Krücken bewegen. Und nimmt sich vor, das Jahr nicht so ausklingen zu lassen. Es muss noch irgendetwas passieren, das Mut macht, das Kraft gibt. Und so wird kurzerhand ein Adventskonzert organisiert. Mit Publikum. Das ist dem Galeristen wichtig, der in den letzten Wochen wenig Menschen gesehen hat. Meghan Behiel als Künstlerische Leiterin der Düsseldorf Lyric Opera sichert ihm Unterstützung zu. Auf sie ist Verlass.
Explodierende Energiepreise, ständige Mietsteigerungen und Zugangsbeschränkungen zum Handel vermiesen den Menschen die Laune, sich mehr als einen Meter unnötig zu bewegen oder Geld auszugeben. Lausberg lässt sich davon nicht schrecken, verschickt persönliche Einladungen, zuvörderst an die Menschen, die schon die ersten acht Konzerte besucht haben. Viele von ihnen machen sich auf den Weg, weil sie zu wissen glauben, dass sie in der Galerie wieder ein besonderer Abend erwartet. In Anbetracht der Temperaturen und eines permanenten Nieselregens bleibt der Innenhof heute bis auf die Bar ungenutzt. Es sind genügend Stühle im hinteren Galerieraum untergebracht, um die Gäste zu empfangen. Da wird die Bühne etwas kleiner, aber bei dem Wetter ist es nicht schlimm, ein wenig zusammenzurücken. Es gibt Glühwein, Kekse und all die anderen Getränke, die einem den Sonntagnachmittag versüßen. Schnell fühlen sich die Gäste heimisch. Und auf einen pünktlichen Beginn legt hier wirklich keiner Wert. Ginge es nach ihnen, vertändelten sie tatsächlich die kommenden zwei Stunden mit Geplauder. Also greift der Hausherr ein.
Meghan Behiel – Foto © O-Ton
Behiel hat ein wunderbares Ensemble zusammengestellt, das hier nicht den ersten gemeinsamen Auftritt absolviert. Neben ihr selbst am Klavier spielt Linus Weber Cello, Bariton James Williams mit Mezzosopranistin Phillipa Thomas und Sopranistin Ani Tsartsidze übernehmen den gesanglichen Teil. Sonderaufgaben werden nach Fähigkeiten verteilt. Und so landet Williams gleich zu Beginn neben Behiel am Klavier, um mit Sleigh Ride, einem Stück von Leroy Anderson für vierhändiges Klavier zu beginnen. Nach dem gelungenen Auftakt tritt das Ensemble gemeinsam an, um Mozarts Ave Verum Corpus vorzutragen. In schneller Folge geht es weiter. Tsartsidze und Thomas lassen das Laudamus te von Vivaldi erklingen, ehe Williams und Tsartsidze mit Bei Männern, welche Liebe fühlen aus Mozarts Zauberflöte für einen nächsten Höhepunkt sorgen. Linus Weber sorgt für zusätzliches Schmunzeln, wenn er eine Kerze, die irgendwo herumstand, ordnungsgemäß zu den vier Kerzen auf dem Klavier stellt. Die gehören zu einem künstlerischen Arrangement, das einen Adventskranz darstellt. Stilisierte Porzellan-Christsterne werden mit vier unterschiedlichen Kerzen kombiniert. Tja, wenn das fünfte Lichtlein brennt …
Weber macht alles wieder gut, wenn er gemeinsam mit Behiel das Lied ohne Worte von Mendelssohn Bartholdy präsentiert. Wer die Düsseldorf Lyric Opera kennt, weiß, dass La ci darem la mano aus Mozarts Don Giovanni im Programm nicht fehlen darf. Tsartsidze und Williams verzichten auf den größten Schmelz zugunsten größerer Forschheit. Auch nicht schlecht. Bleiben wir noch ein wenig bei Mozart und gönnen dem Publikum noch die großartigen Papagena- und Papageno-Rufe im berühmten Duett aus der Zauberflöte. Dann darf das ganze Ensemble noch einmal ran, wenn es zu Così fan tutte geht. Soave sia il vento erschallt in angemessener Lautstärke, wie überhaupt die Akustik an diesem Abend grandios funktioniert. Nach so viel Mozart ist es an der Zeit, mit Schumanns Er und sie einen kleinen Bruch zu wagen, ehe Tsartsidze und Thomas mit der Barcarole aus Hoffmanns Erzählungen von Jacques Offenbach einen echten Höhepunkt setzen und in die Pause entführen. Belle nuit, ô nuit d’amour …
James Williams und Phillipa Thomas – Foto © O-Ton
Mit einer bewegenden Ansprache beendet der Hausherr die stark verlängerte Pause – wer zu Lausberg kommt, muss Zeit mitbringen, bereut hat das allerdings noch niemand – in der er keinen Hehl daraus macht, wie viel ihm die Kooperation mit der Düsseldorf Lyric Opera und der heutige Abend als Kraftreserve bedeutet. Da möchte man ihm schon zu diesem Zeitpunkt begeistert zustimmen. Da hat man doch schon in der ersten Hälfte glatt einmal vergessen, dass die Welt, glaubt man den öffentlich-rechtlichen Medien, gerade vor einer Virenwand stand, an der sie mindestens zugrunde gehen könnte. Und das wird sich auch im zweiten Teil nicht ändern. Williams und Tsartsidze eröffnen mit dem Duett Dunque io son aus dem Barbier von Sevilla von Rossini. Nach besinnlichen Momenten, in denen das Ständchen von Schumann ebenso wie Oblivion von Piazzolla auf Klavier und Cello erklingen, bringen Williams und Thomas gemeinsam mit Weber und Behiel das Publikum mit Lippen schweigen aus der Lustigen Witwe von Lehár zum Schwelgen. Man kann es wirklich nicht oft genug hören.
Dann aber wird es wirklich weihnachtlich. Obwohl, so ganz doch nicht. Der Abendsegen stammt aus Hänsel und Gretel, der Oper von Engelbert Humperdinck, die landauf, landab gerade wieder gespielt wird, obwohl sie eigentlich nie als „Weihnachtsoper“ gedacht war. Egal. Hänsel und Gretel ist Weihnachten – und der Abendsegen erst recht. Daran lassen Tsartsidze und Thomas keinen Zweifel. Mit O holy Night von Adolphe Adam bringen Thomas und Williams mehr weihnachtliche Stimmung in den Saal. Und die Besucher in Versuchung, sich dem folgenden Gesang anzuschließen. Denn da hat sich das Ensemble etwas Besonderes einfallen lassen. Es folgt dem Gedanken, dass es schön ist, an Weihnachten respektive in der Vorweihnachtszeit mit einem gemeinsamen Lied auseinanderzugehen. Und so stimmen Thomas, Tsartsidze und Williams die Stille Nacht in drei Sprachen an – englisch, georgisch und deutsch. So dass das Publikum mitsingen darf. Ja, und das funktioniert. Alle machen mit, und es klingt besser als in so mancher Kirche.
Da fällt nach ausgiebigem Applaus die Zugabe nicht schwer. Mit einem fröhlichen Jingle Bells entlässt das Ensemble das Publikum fröhlich, heiter und beschwingt in eine finstere Zeit. „Solange es mich gibt, wird es hier auch Konzerte geben“, knurrt Lausberg zum Abschied. Der Mann, der sich gern so bärbeißig gibt und das heutige Programm noch lange ganz sentimental nachhallen lassen wird. Für Januar, spätestens das Frühjahr laufen die Planungen bereits. Dann geht es weiter mit großartigen Konzerten in der Düsseldorfer Galerie.
Michael S. Zerban