O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Daniel Koch

Aktuelle Aufführungen

Nun sei bedankt

LOHENGRIN
(Richard Wagner)

Gesehen am
16. Mai 2020
(Video on demand)

 

Semperoper, Dresden

Vor vier Jahren gab es in Dresden ein Kulturereignis, das weit über die Grenzen der Sächsischen Staatsoper Schlagzeilen machte. Anna Netrebko gab ihr Rollendebüt als Elsa und wagte damit den Schritt in das jugendlich-dramatische Wagnerfach. An ihrer Seite ein weiterer Debütant. Der lyrische Tenor Piotr Beczala, in vielen Partien des italienischen und französischen Fachs an Netrebkos Seite, sang seinen ersten Lohengrin. Ein von der Fachwelt ersehntes, aber auch im Vorfeld heftig diskutiertes Doppeldebüt. War es ein simpler PR-Gag oder doch ein ernsthafter Fachwechsel?

Dieser Coup war Christian Thielemann zu verdanken, der beide Sänger schon lange kannte und ihnen genau diese Partien zugetraut hatte. Er ermunterte beide, sie zu studieren und gab ihnen das Vertrauen, sie mit seiner Hilfe zu meistern. Und da boten die Vorstellungen Nummer 112 bis 115 seit der Premiere am 21. Januar 1983 den idealen Rahmen für die Debüts, denn die Inszenierung von Christine Mielitz ist klassisch, ohne Abenteuer in der Personenregie, so dass die Sänger sich ganz auf ihren Gesang und die eigene Rolleninterpretation konzentrieren konnten. Die zweite Vorstellung wurde aufgezeichnet und dieses Wochenende per Stream ausgestrahlt. Was damals keiner der Beteiligten wissen konnte, dass Anna Netrebko ja eigentlich 2019 ihr Debüt in Bayreuth geben sollte, just mit dieser Partie, natürlich unter der Leitung von Christian Thielemann.

Die Kenner wissen natürlich, dass es zu diesem Debüt nicht gekommen ist, denn Anna Netrebko sagte, auf ärztlichen Rat, wegen Erschöpfung sehr kurzfristig ihr Debüt ab. Ob es in Zukunft eine neue Möglichkeit für ein Engagement von Anna Netrebko auf dem Grünen Hügel geben wird, ist mehr als fraglich. Somit bleibt ihr glanzvolles Dresdener Debüt ein einmaliger Ausflug in die Musikwelt Richard Wagners und die Aufzeichnung ein Zeitzeugnis einer Sternstunde in der geschichtsträchtigen Semperoper und gleichzeitig auch eine Hommage an die große Regisseurin Christine Mielitz.

Die Kulissen, die opulenten und farbenreichen Kostüme in der Ausstattung von Peter Heilein wirken klassisch verstaubt, ja, fast schon kitschig und in der heutigen Zeit eigentlich nicht mehr aufführbar. Die Handlung scheint verlegt zu sein in eine Zeit des frühen Bürgertums, wo reiche Stände und Zünfte, Adel und Militär dominieren. Die Kostüme wirken kostbar, sind ein Augenschmaus. Der überdimensionierte Schwan, von der Hinterbühne kommend, wirkt dagegen eher bedrohlich als erheiternd. Allerdings erscheint die Inszenierung insgesamt eher unverbindlich, es dominiert die Ästhetik des Augenblicks, sowohl optisch als auch im Gesang. Doch was ist das Geheimnis dieser Inszenierung, auch nach 37 Jahren noch so zu faszinieren und zu begeistern? Die Lösung ist einfach. Wenn herausragende Sängerdarsteller diese Rollen nachhaltig verkörpern, die Psychologie der Beziehungsgeflechte untereinander leben und ein grandioser Musik- und Klangkörper alles Angestaubte mit neuem Leben erfüllt, dann nennt man das eine Sternstunde.

Foto © Daniel Koch

Netrebko ist der Star des Abends. Und die Frage, ob es sich bei ihrem Rollendebüt um einen PR-Gag handele, ist ganz schnell beantwortet. Für dieses Debüt hatte Anna Netrebko einiges abgesagt, sich sechs Wochen – eine immer noch sehr kurze Zeit – intensiv mit dieser Rolle auseinandergesetzt, und nicht nur die Partie musikalisch top vorbereitet, sondern auch stark am Text, der deutschen Sprache und der Deklamation gearbeitet. Und Netrebko erobert mit ihrer musikalischen Gestaltung das Publikum im Handumdrehen.  Sie legt die Rolle der Elsa mit bewegender Innigkeit, träumerisch und schwärmerisch an, und verkörpert in Spiel und Gesang das Idealbild der reinen und unschuldigen Elsa, ohne dabei naiv zu wirken. Ihr warmer Sopran mit dem so einzigartigen dunklen Timbre ist von einer großen Tragfähigkeit, der weit gesponnene Bögen und leuchtende Höhen mit Leichtigkeit erzeugt, um dann wieder mit wunderbarem Piano zu berühren. Bei Verdi hat sie schon das dramatische Fach erobert, und diese Erfahrungen, grade aber auch aus den lyrischen Belcanto-Partien der Vergangenheit, kommen ihr dabei zu Gute. Von den reinen, klar tragenden leisen Tönen ihrer Traumerzählung zu Beginn, über die eindringlich-dramatischen Ausbrüche in der Konfrontation mit Ortrud vor dem Münster bis hin zur Brautgemach-Szene, mit den wunderbar vom Lyrischen ins leicht Dramatische gesteigerten Phrasierungen, beeindruckt sie auf ganzer Linie.

Hervorzuheben ist auch ihre Textsicherheit und Textverständlichkeit, ein Nachweis, wie intensiv sie sich mit der Partie auseinandergesetzt hat. Der Mut, diesen Schritt in Angriff zu nehmen, und das Vertrauen in Thielemann sind belohnt worden. Es ist ein Rollendebüt par excellence, sowohl stimmlich als auch darstellerisch.

Beczala steht in der musikalischen Interpretation des Lohengrins mit seinem Rollendebüt Netrebko in nichts nach.  Er legt die Partie nicht mit großem Heldengestus an, sondern sehr lyrisch, fast mit italienischem Schmelz. Sein kräftiges Fundament ist eine sichere Stütze für die Ausbrüche am Ende des zweiten Aktes und im großen Duett des Brautgemachs Höchstes Vertrau’n. Dabei entwickelt die Stimme, basierend auf einer warmen Mittellage mit leicht baritonalem Timbre die nötige Strahlkraft, um auch in den großen Ensembles gehört zu werden. Die Gralserzählung singt Beczala innig, fast liedhaft, und damit besonders berückend. Sein finaler Abschied besticht durch eine große Differenzierung in der Phrasierung und der dynamischen Ausgestaltung. Auch ihm ist eine beeindruckende Textverständlichkeit zu attestieren. Stand sein Rollendebüt im Medienfokus zwar hinter dem der Netrebko, so hat Beczala bewiesen, dass er mit dieser Partie ein ebenbürtiger Partner ist, und dass man für die Partie des Lohengrin nicht zwingend als Heldentenor geboren sein muss. Und im Gegensatz zu Netrebko durfte er 2018 ein viel umjubeltes Debüt als Lohengrin auf dem Grünen Hügel feiern, unter der musikalischen Leitung von Christian Thielemann.

Foto © Daniel Koch

Evelyn Herlitzius ist stimmlich der Kontrapunkt zum lyrisch-jugendlich dramatischem Paar Beczala und Netrebko. Ihr hochdramatischer Sopran besticht mit wuchtigem und scharfem Furor in den Ausbrüchen, insbesondere in den Schlüsselszenen der Partie, wie Entweihte Götter im zweiten Aufzug oder die heftige Konfrontation mit Elsa vor dem Münster. Ihr Ausdrucksrepertoire und die vor allem in der Mittellage variable Stimme skizziert diese Ortrud als Charakterstudie von großer Intrige und Heuchelei.

Tomasz Koniecny gibt den Telramund mit dramatischem Bass-Bariton und entwickelt so einen souverän gestalteten Charakter, der zum Opfer von Ortruds List und Täuschung wird.  Genaue Artikulation ist auch bei ihm eine Selbstverständlichkeit, ebenso wie eine technisch sichere, variable Gestaltung einzelner Phrasen. Georg Zeppenfeld beeindruckt als König Heinrich mit wuchtigem und gleichzeitig balsamischem Bass.  Sein Mein Herr und Gott singt er mit großem Pathos und sauberer Deklamation. Derek Welton überzeugt als Heerrufer mit schmeichelndem Heldenbariton, sicher gesetzten Tönen und markanten Ansagen. Die Edelknappen und die Mannen des Telramund fallen angenehm durch harmonischen und klaren Klang auf und ergänzen das großartige Sängerensemble.

Auch der Staatsopernchor, bestens eingestimmt von Jörn Hinnerk Andresen, trägt zum hervorragenden Gesamteindruck der Aufführung maßgeblich bei. Klar die Strukturierung der einzelnen Stimmgruppen, mit strahlenden, in diesem Werk so bedeutsamen Tenören, kraftvoll die Klangentwicklung in den großen Tableaus und mit präzisen Abstufungen in den leiseren Passagen.

Den Schlüssel zum Erfolg aller hält einer in der Hand, Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Das Vorspiel zum ersten Aufzug erklingt filigran, ja fast kammermusikalisch ertönt es aus dem Orchestergraben, zart und innig die Motive Elsas, bis die Spannung immer weiter aufgebaut wird und das Fragemotiv drohend und schicksalhaft symphonisch erschallt, um dann wieder in fast sphärische Klänge zu transkribieren.  Thielemann baut immer wieder die großen symphonischen Momente auf, bis die Spannung sich explosionsartig löst und in unterschiedlichen Farben und Phrasierungen ganz im Dienste des Musik-Dramas steht. Das Vorspiel zum dritten Aufzug erklingt dynamisch und kraftvoll, noch deutet nichts auf die schicksalhafte Wendung hin. Sauber intonieren die Bläser, und die Leitmotive werden scharf akzentuiert herausgearbeitet. Thielemann wechselt die Tempi, um besonders große Spannungsbögen zu erzeugen, und trägt dabei die Sänger förmlich durch die Partie. Die Orchestermusiker folgen seinem präzisen Schlag, und die Sänger stehen immer im Vordergrund, ihnen dient Thielemann als musikalischer Begleiter. Thielemann, der schon in den Pausen umjubelt wird, darf zum Schluss die stehenden Ovationen eines begeisterten Publikums entgegennehmen. Seine musikalische Weitsicht, Netrebko und Beczala diese Rollen anzuvertrauen, ist mehr als belohnt worden.

„Nun sei bedankt“, so verabschiedet Lohengrin nicht nur den Schwan, der ihn nach Brabant gebracht hatte, so lautet auch der Titel eines der schönsten Bücher über die Werke Richard Wagners, geschrieben vom unvergessenen Marcel Prawy. „Nun sei bedankt“ möchte man nach dieser Aufführung auch Christian Thielemann und der Sächsischen Staatskapelle sowie den Protagonisten dieses Abends zurufen. Und auch die Aufzeichnung dieser Aufführung lässt in puncto Kameraführung, Ton- und Streaming-Qualität nichts zu wünschen übrig.

Das Publikum dankt es mit frenetischem Jubel, der schon nach dem ersten Aufzug aufbrandet. Anna Netrebko, die genau wie Piotr Beczala und Christian Thielemann gefeiert wird, wirkt gelöst und erleichtert, strahlt und winkt ins Publikum. Auch eine Diva ist nur ein Mensch, und genau diese Emotionen am Schluss, natürlich und unaufgesetzt, machen sie so sympathisch. Was bleibt, ist die Dokumentation einer musikalischen Sternstunde in einer zutiefst „klassischen“ Inszenierung, die bestens geeignet ist, Zweifler zu Wagnerianern zu machen.

Andreas H. Hölscher