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CAVALLERIA RUSTICANA
(Pietro Mascagni)
Gesehen am
18. April 2020
(Video on demand)
Nachdem die großen Häuser in Wien, Berlin und München mit ihren Opern-Streams das Publikum durch die Pandemie-Zeit geleiten, hat nun auch die Sächsische Staatsoper Dresden unter dem Motto „Semperoper zuhause“ nachgezogen. Nach dem Rosenkavalier steht nun an zwei Wochenenden eine Koproduktion mit den Osterfestspielen Salzburg auf dem Programm. Regisseur Philipp Stölzl inszenierte für die Salzburger Osterfestspiele 2015 die beiden Verismo-Opern Cavalleria Rusticana von Pietro Mascagni und Ruggero Leoncavallos Pagliacci als Doppelabend. Die Dresdner Premiere beider Opern war dann am 16. Januar 2016. Die Osterfestspiele Salzburg, 1967 von Herbert von Karajan gegründet, werden seit 2013 von Christian Thielemann geleitet, einschließlich der heimischen Sächsischen Staatskapelle Dresden und des Sächsischen Staatsopernchors. Der erste Abend wird mit dem Einakter Cavalleria Rusticana, der „Bauernehre“, eröffnet. Pietro Mascagni gewann einst mit diesem Stück einen Kompositionswettbewerb. Verdichtet auf 75 hochemotionale und dramatische Minuten, entwickelt Mascagnis Musik einen mitreißenden Sog. Unverstellte, rustikale Leidenschaft wollte Mascagni auf der Bühne sehen, weshalb er die Ränke seiner Cavalleria nicht bei einer adligen Elite, sondern in einem einfachen Milieu, im wirklichen Leben spielen lässt. Damit prägte er die italienische Stilrichtung des Verismo, der die Gefühle des einfachen Volkes ins Theater brachte.
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Die Inszenierung und die Gestaltung des Bühnenbilds hat der Regisseur Philipp Stölzl übernommen. Er wählt eine filmische Erzählweise mit emotionalen Nahaufnahmen und Parallelmontagen für seine Inszenierung der Cavalleria rusticana und siedelt die Oper in der Welt der Arbeiter im Italien der 1920-er Jahre an. Es geht um eine Dreiecksbeziehung, um Liebe, Eifersucht, Hass bis zum bitteren Ende.
Durch eine Unterteilung der Bühne in zwei Ebenen mit jeweils drei guckkastenartigen Räumen stehen Stölzl sechs gleichgroße Räume zur Verfügung, die separat geöffnet und geschlossen werden können. Durch zusätzliche Live-Einblendungen im Großformat wirkt die Szenerie wie ein Film mit expressionistischen Materialen. Die Bühnenwände wirken wie gemalt, farblich ist alles in einem düsteren Grau-Blau gehalten, so dass das Bild wie ein Schwarz-Weiß-Film der späten zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts wirkt. Durch die Verlegung des Szenars in das Arbeiter- und Mafiamilieu einer italienischen Großstadt ist von dem eigentlichen Bauernflair nicht mehr viel übrig geblieben. In einer kleinen Dachkammer leben Turiddu und Santuzza gemeinsam mit ihrem Kind. Turiddu liebt mittlerweile die attraktive Lola, die Gespielin des Dorfpaten Alfio. Zwischen den beiden gibt es immer wieder Streit, den auch Mama Lucia, Turiddus Mutter nicht schlichten kann, zu sehr ist sie mit zwielichtigen Geldgeschäften beschäftigt. Santuzzas Liebe schlägt in blinden Hass um, und sie steckt dem grobschlächtigen Alfio, mit wem sich seine Liebste vergnügt. Am Schluss kommt es zu einem Messerduell zwischen Turiddu und Alfio, der den betrunkenen Nebenbuhler ersticht. Stölzl erzeugt grade in dieser Szene eine immense Spannung, da er das eigentliche Duell nicht zeigt, sondern den Moment danach. Zum ersten und einzigen Mal sind alle sechs Räume der Inszenierung gleichzeitig offen. Man sieht unten links den blutüberströmten Turiddu in die Kirche taumeln, in der Mitte Alfio vor der Kirche, das Messer noch in der Hand, und ganz rechts die zu Schreck erstarrte Mama Lucia, während in der oberen Ebene die drei Räume den Blick auf die Dächer der Stadt zeigen, in der Mitte die Dachkammer, in der Santuzza mit ihrem Sohn alleine zurückgeblieben ist.
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Der ständige Wechsel der Szenen durch die unterschiedlichen Räume verleihen dem Film neben der düsteren Atmosphäre auch eine Schnelligkeit wie beim Lesen eines Comics. Die passenden Kostüme zu diesem Szenar hat Ursula Kudrna gefertigt. Die schwermütige und subtil aggressive Grundstimmung der Oper wird an diesem Abend durch ein Ensemble allerhöchster Güte sängerisch und schauspielerisch untermalt. Allen voran Jonas Kaufmann, der mit seinem Debüt als Turiddu beweist, dass er nicht nur Wagner kann, sondern auch im Verismo-Fach bestens aufgestellt ist. Er gibt einen flatterhaften Turiddu, dem die Konventionen egal sind und der quasi keine Scheu hat, seine Santuzza vor ihren Augen zu betrügen. Mit markantem, strahlkräftigem Tenor und baritonalem Timbre singt er die Partie mit einer scheinbaren Leichtigkeit, die schon atemberaubend ist. Liudmyla Monastyrska ist eigentlich Sopran, hat aber eine dunkelwarme Mittellage und daher für die Ausbrüche der Santuzza die notwendige dramatischen Höhe, aber auch zarte Pianotöne.
Ihr Spiel wechselt von der liebenden Frau zur eifersüchtigen Furie auf eine derart dramatische Art, dass man beim Zusehen fast Angst bekommt. Annalisa Stroppa gibt die Lola mit hellem, klarem Sopran und kokettem Spiel. Ambrogio Maestri als brutaler Mafiosi Alfio überzeugt mit kernigem Bariton und grobschlächtigem Spiel. Stefania Toczyska ist eine gefühlskalte Mama Lucia, die ihrem Sohn im entscheidenden Moment nicht zur Seite steht. Der Sächsische Staatsopernchor Dresden, verstärkt durch den Salzburger Bachchor und den Kinderchor der Salzburger Festspiele intoniert vor allem das Regina Coeli mit einer großen Innigkeit.
Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle gestalten diese 75 Minuten mit einem großen Spannungsbogen, und Thielemann beweist, dass er neben Wagner und Strauss auch im italienischen Fach keinen Vergleich scheuen muss. Wie er das Intermezzo sinfonico, dieses wunderbare Orchesterzwischenspiel in sublimen, transparent-schimmernden Klangfarben leuchten lässt, das ist Gänsehaut pur. Entsprechend groß ist der Jubel am Schluss beim Publikum für Thielemann, für die Sächsische Staatskapelle, für das gesamte Ensemble, besonders für Kaufmann und Monastyrska.
Nun darf man gespannt sein, ob Philipp Stölzl den Pagliacci in derselben Machart auf die Bühne bringt. Am nächsten Wochenende kann man es bei „Semperoper zuhause“ verfolgen.
Andreas H. Hölscher