O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Björn Hickmann

Aktuelle Aufführungen

Im Influencer-Dschungel

ORPHEUS IN DER UNTERWELT
(Jacques Offenbach)

Besuch am
6. Juni 2022
(Premiere am 5. Juni 2022)

 

Theater Dortmund, Opernhaus

Mit dem Esprit Jacques Offenbachs haben deutsche Bühnen ihre Probleme. In dieser Hinsicht macht die Junge Oper Dortmund mit ihrer aufwändigen Inszenierung von Offenbachs ultimativem Operetten-Schlager Orpheus in der Unterwelt eine erfreuliche Ausnahme. Mit jugendlicher Spielfreude und pfiffiger Ironie stellen die jungen Leute Klamauk-Produktionen wie die Barrie Koskys an der Deutschen Oper am Rhein in den Schatten.

An dem „partizipativen Projekt“ beteiligen sich die Dortmunder Opernjugendclubs der ganz jungen „Turtles“ und der etwas älteren „Tortugas“, die auch die Solo-Rollen besetzen, ein durch das Schulorchester des Heisenberg-Gymnasiums verstärktes Projektorchester und der Universitätschor der TU Dortmund. Die Heerscharen an Mitwirkenden szenisch und musikalisch bis zur Aufführungsreife unter einen Hut zu bringen, ist auch unter normalen Bedingungen eine mächtige Herausforderung. Erst recht unter den bekannten Erschwernissen der letzten Zeit.

Von Einschränkungen merkt man dem Ergebnis nicht das Geringste an. Eher die Freude, sich endlich wieder wie befreit in einer großen Gemeinschaft auf der großen Bühne des Dortmunder Theaters präsentieren zu können. Dass im Zentrum der ironischen Pfeile der 1858 uraufgeführten Operette die amourösen Seitensprünge Kaiser Napoleons III. standen, die damals ganze Klatschspalten füllten, spielt für das heutige Publikum und erst recht für die jungen Leute von heute natürlich keine nennenswerte Rolle mehr. Anders als die Bedeutung der „Öffentlichen Meinung“, die Orpheus bei Offenbach drängt, gegen seinen Willen seine ihm längst entfremdete Gattin aus dem Reich der Toten ins Leben zurückzubringen. Die Öffentlichkeit junger Menschen wird heute von Online-Portalen bestimmt, und es verwundert nicht, dass die Handlung in Dortmund in die Welt ehrgeiziger Influencer verlagert wird. Eher überrascht schon, wie nahtlos die Transformation ohne Verbiegung des Sinngehalts gelingt.

Die Brüder Jupiter und Pluto sind hier konkurrierende Betreiber von Influencer-Studios, wobei beide Eurydike zum Super-Star aufbauen und für sich vereinnahmen wollen. Annika Heller stattete dafür drei Bühnenebenen in modernem Design aus. Eine helle Welt im „Olymp“ Jupiters, das Schlafzimmer der verkrachten Eheleute Orpheus und Eurydike in der Mitte sowie ein schwarz gestyltes Dekor in der erfolgreicheren „Unterwelt“ Plutos. Schön, dass auch die kleinen Darsteller der Turtles als Schüler des Geigenlehrers Orpheus mitwirken und erste Bühnenluft schnuppern dürfen. Und für die Größeren hält der Besetzungszettel des Stücks von der koketten Venus über den eitlen Cupido und die eifersüchtige Diana bis zum flotten Hermes jede Menge reizvoller Rollen parat.

Regisseur Alexander Becker hält die Darsteller inklusive des vielköpfigen Chors immer in Bewegung. Langeweile kommt nie auf, im exakt choreografierten Galop Infernal kennt die Spielfreude keine Grenzen, artet aber in keinen oberflächlichen Klamauk aus. Interessant, dass für die unvermeidliche Wiederholung des Hits Video-Einspielungen von zur Musik tanzenden Passanten eingeblendet werden.

Die gesanglichen Qualitäten fallen natürlich unterschiedlich aus. Lilli Schnabel als Eurydike, Sarah Heckner als Venus und Lina Förster als „Öffentliche Meinung“ stechen ein wenig aus dem insgesamt hochmotivierten Ensemble heraus. Und Felix Kriewald in der Rolle des Orpheus glänzt nicht zuletzt mit vorzüglichen Geigensoli. Besonders erfreulich, mit welcher Präzision das vom Schulorchester unterstützte Projektorchester unter Leitung von Christoph JK Müller die dreistündige, dennoch kurzweilige Produktion in Schwung hält.

Stürmischer Beifall des überwiegend jungen Publikums. Schade, dass man es bei drei Aufführungen belässt. Aber die nächste Aufgabe wartet bereits auf den hoffnungsvollen und begeisterungsfähigen Nachwuchs.

Pedro Obiera