O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Frauen in der richtigen Farbe

AM RANDE DES LICHTS
(Diverse Komponistinnen)

Besuch am
27. Januar 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Konzerthaus Dortmund

Am Rande des Lichts – so nennt das Konzerthaus Dortmund ein Abonnementkonzert. Erst der Untertitel sorgt für Erhellung. Es geht nicht um Wesen, die im Schatten leben, sondern um Komponistinnen gestern und heute. Wobei das Heute in Dortmund 1994 aufhört. Dafür wird ein neues Format versprochen.

Für den Regisseur Iñigo Giner Miranda ist seine heutige Arbeit allerdings überhaupt nichts Neues. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren quer durch Europa mit der Inszenierung von Konzerten. Und hat dabei vor allem eins wohl gelernt: die Balance zwischen Musik und Effekten. Im Laufe des Abends wird seine hohe Kunst erkennbar, wenn es darum geht, wie viel Bewegung ein Konzertabend verträgt, ohne die Konzentration zu stören. Doch zunächst einmal nehmen die Orchestermusiker wie gewohnt auf dem Podium Platz. Rote Lichterketten sind auf beiden Seiten der Orgel angebracht, ein paar Notenpulte auf den Seitenbalustraden deuten spätere Ereignisse an. Das Schönste an diesem Abend – neben der Musik – sind allerdings die Übertitel in Verbindung mit gesprochenen Texten. Auch wenn die Qualität der Lautsprecherakustik hier einiges zu wünschen übrig lässt: Es ist einfach schön, eine kleine Einführung für das nächste Stück zu hören. Verbunden mit dem Namen der Komponistin, deren Lebensdaten und dem Titel des Werks, bekommt man hier genau das richtige Maß an Information, in die so manche nette Anekdote eingeflochten ist, ohne im Halbdunkel des Saals die Schrift im Programmheft mal wieder nicht entziffern zu können.

Wunderbar und eigentlich längst als Standard vermutet ebenso wie die Lichtregie, die gekonnte Akzente setzt und die Wirkung der Musik unaufdringlich unterstreicht. Denn Miranda verzichtet auf Effekthascherei und verlässt sich auf sanfte Farbwechsel. Da darf die Bühne auch an poetischer Stelle schon mal in intensives Blau getaucht werden oder die Pianistin bei ihrem Solo im hellen Spot bei ansonsten abgedunkeltem Raum spielen. So kann man Musik in Szene setzen, ohne ihre Wirkung zu beeinträchtigen. Ob man die Bewegung der Musiker im Saal wirklich braucht, kann man diskutieren. Das Konzerthaus ist stolz darauf, dass man an jeder Stelle im Saal gleich gut hören kann. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass der akustische Effekt, wenn die Bläser sich auf die Seitenbalustraden zurückziehen, minimal ist. Dafür wird in Kauf genommen, dass sich das Podium in ständiger Bewegung zunehmend zu leeren scheint. Und um ihre Plätze rechtzeitig zu erreichen, müssen die Musiker im Applaus loslaufen. Na ja. Aber wenn der Cellist im Spot neben der Orgel, weit über dem Orchester, spielt, entschädigt das für alles.

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Auch für das Lamento, das um Komponistinnen vergangener Zeiten betrieben wird. Diese armen Wesen, die von den Männern hemmungslos unterdrückt wurden. Im Programmheft, dessen Schrift so klein gedruckt ist, dass man sie wirklich kaum mehr lesen kann, schreit dem Leser das Unrecht vergangener Tage entgegen. „Mit der Frauenbewegung und der daraus hervorgehenden Frauenforschung begann in den 1980-er Jahren eine rege wissenschaftliche Aufarbeitung der letzten Jahrhunderte, um der vom Geniekult befeuerten, patriarchal orientierten Musikgeschichtsschreibung etwas entgegenzusetzen“, heißt es da. Ist das so? Dann hätten die Frauenrechtlerinnen keine gute Arbeit geleistet, wie ein Blick in heutige Programmhefte leicht verrät. Und auch in Dortmund scheint es ja an diesem Abend so zu sein, als gäbe es im 21. Jahrhundert keine Komponistinnen mehr. Schaut man auf die Aufführungsdauer der Komponistinnen, so bekommt die deutsche Notenschreiberin mit 21 Minuten ein Vielfaches an Zeit im Vergleich zu ihren Kolleginnen aus anderen Ländern. Lässt man mal die pseudo-kämpferische Geschichtsverzerrung und Doppelmoral beiseite, darf man sich aber über einen ausgesprochen abwechslungsreichen, farbigen Abend freuen.

Den Anfang macht mit Prèludes des cloches, also Präludien der Glocken, als erstem Satz aus der sinfonischen Suite in fünf Bildern Silhouetten von Maria Bach, die 1940, drei Jahre nach ihrer Entstehung, uraufgeführt wurde. Die Österreicherin schuf rund 400 Werke, ehe sie sich der Malerei zuwandte. Für das „hörsogerzeugende Klangstück“ – Originalton Programmheft – gibt es gerade mal vier Minuten. Dann geht die Reise nach Polen. Grażyna Bacewicz stammt aus Lodz. Über 200 Werke umfasst ihr Werkverzeichnis. Ihre Ouvertüre, die dem Neoklassizismus zugerechnet wird, dauert sechs Minuten. Sie schrieb das Stück 1943, also in der Zeit der deutschen Besatzung Polens. Die Uraufführung fand zwei Jahre später in Krakau statt. 1888 wurde La nuit et l’amour der Französin Augusta Holmès zum ersten Mal auf der Bühne gespielt. Die Nacht und die Liebe erinnert in sechs Minuten schon ein wenig an den Mantovani-Süßklang. Etwas weniger parfümiert, dafür aber deutlich interessanter kommt das fünfminütige Allegro molto aus der Symphony for double string orchestra der Engländerin Elizabeth Maconchy über die Bühne. Bis hierhin sind die Werke von zu ihrer Zeit durchaus erfolgreichen Musikerinnen erklungen. Nicht weniger produktiv war auch die Französin Germaine Tailleferre, deren etwa fünfminütiges Werk Petite suite nun gespielt wird. Ein großer Teil ihrer Werke wurde allerdings erst nach ihrem Tod 1983 veröffentlicht.

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Es gibt aus Sicht der Konzertveranstalter immer gute Gründe, die sich auch irgendwie finden lassen, warum deutsche Komponisten, zu denen der Einfachheit halber auch die österreichischen gezählt werden, bevorzugt ihren Weg auf deutsche Bühnen finden. In Dortmund gibt es sogar einen ganz wunderbaren Grund. Schließlich hat man für die Aufführung von Clara Schumanns Konzert für Klavier und Orchester in a-moll op. 7 eine herausragende Pianistin gewinnen können. Nathalia Milstein liefert eine grandiose Interpretation ab, die eindeutig den Höhepunkt des Abends darstellt.

Es folgt das kurze Poem von Rebecca Clarke für Streichquartett, und in fünf Minuten ist auch Dreaming von Amy Beach abgehandelt, ehe diejenige kommt, die in solchem Zusammenhang nicht fehlen darf. Von Fanny Hensel perlt das Andante soave aus Six mélodies pour le piano op. 5 in den Raum, der eine Lobeshymne ihres Bruders Felix Mendelssohn Bartholdy vorangeht.

Die Musiker des WDR-Sinfonieorchesters haben mindestens so viel Spaß an der Inszenierung des Abends wie das Publikum. Vor allem wohl deshalb, weil Miguel Pérez Iñesta sie auch dann noch unter seinen Fittichen behält, wenn sie sich auf den Seitenbalkonen oder neben der Orgel aufhalten. Selbst beim langanhaltenden Schlussapplaus vergisst der Dirigent nicht sie einzubeziehen.

Zwei Erkenntnisse bleiben an diesem Abend. Gleichberechtigung heißt nicht, jede Komponistin der Vergangenheit als bemitleidenswertes Wesen darzustellen, das sich „am Rande des Lichts“ bewegt. Gerade deshalb ist eine differenzierte Betrachtung vergangener Biografien ohne ideologisch-polemische Brille wünschenswert. Nur so werden wir uns als Gesellschaft dahin bewegen, dass wir Kompositionen nicht nach Geschlecht, sondern nach ihrer Qualität beurteilen. Was die Inszenierung des Konzerts angeht, zeigt Miranda, welch weniger Mittel es bedarf, um aus einem Konzert mit abgestumpften Ritualen ein Ereignis zu gestalten. Da können Konzerthäuser, die verlorengegangene Abonnenten zurückgewinnen wollen, durchaus zwei Mal hinschauen.

Michael S. Zerban