O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Festival Alte Musik Knechtsteden

Aktuelle Aufführungen

Verborgene Wirklichkeiten

VON ORLANDO DI LASSO IN DIE GEGENWART
(Diverse Komponisten)

Besuch am
21. September 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Festival Alte Musik Knechtsteden, Klosterbasilika, Dormagen

Hermann Max, mittlerweile 81 Jahre alt, hat bei seinen Expeditionsreisen in vernachlässigte Regionen der musikalischen Landkarte nichts von seiner Neugier und seiner künstlerischen Energie verloren. Unter dem Titel Verborgene Wirklichkeiten begibt er sich im Rahmen des diesjährigen Festivals Alte Musik Knechtsteden auf die Suche nach verborgenen Wirklichkeiten im Umfeld der barocken Großmeister Bach, Händel und Telemann. So stellt er beispielsweise Telemanns Wirken in Paris und Händels Aufenthalt in Rom ins Zentrum zweier Konzerte und Bach wird gleich aus mehreren Perspektiven beleuchtet. Natürlich zieren auch weniger bekannte Namen die abwechslungsreichen Programme des einwöchigen Festivals. Und besonders spannende Pfade betritt Max auf seiner Zeitreise Von Orlando di Lasso in die Gegenwart, in der barocke Vertonungen religiöser Texte mit Uraufführungen zeitgenössischer Kompositionen verknüpft werden.

Die Ausführung der neuen Werke überlässt Max zwar seinem Aachener Kollegen Johannes Honecker. Der Impuls, Altes mit ganz Neuem zu verbinden, geht allerdings von Max aus. Ob barock oder modern: Für die überaus anspruchsvollen Werke begnügt sich Max diesmal mit einem achtköpfigen Solistenensemble der Rheinischen Kantorei. Und seine instrumentalen Mitstreiter, Das Kleine Konzert, treten in ganz kleinem Format auf. Beschränkt auf zwei Violinen und jeweils einer Viola, Violone, Theorbe und Orgel. Damit ist das professionelle Niveau aller Interpretationen gesichert. Stilistisch sind alle Beteiligten nicht nur bestens mit historischen Aufführungspraktiken vertraut, sondern auch mit dem lebendigen, rhetorisch beredten Umgang von Hermann Max mit Alter und Älterer Musik.

Foto © Festival Alte Musik Knechtsteden

Mit Orlando di Lasso und Claudio Monteverdi blickte Max sogar noch weiter bis in die Renaissance zurück, wodurch das Spannungsfeld zu den zeitgenössischen Werken noch vergrößert wird. Das schlägt sich besonders deutlich in Vertonungen gleicher Textvorlagen nieder. So in Monteverdis achtstimmigem Hymnus Ave Maris Stella aus der Marien-Vesper mit seinem festlich und großräumig disponierten Klang. Der 1993 geborene Italiener Federico Perotti behält in seiner Neuvertonung den ruhigen Duktus Monteverdis bei, begnügt sich mit einer einsamen Violine und einem fünfstimmigen Vokalsatz allerdings deutlich asketischer als sein berühmter Vorgänger.

Die stilistischen Wechsel in Monteverdis ebenfalls aus der Marien-Vesper stammenden Motette Nisi Dominus greift die Südkoreanerin Eunyoung Jang in ihrer atmosphärisch dichten Arbeit auf, in der sie einfühlsam und effektiv vielfältige Elemente modernen Chorgesangs bis hin zu skandierten Textteilen nutzt.

So reiht sich eine Überraschung an die andere. Heinrich Schütz‘ freundlich gestimmtes Frühlings-Madrigal O Primavera erfährt durch Oleg Krokhalevs Vertonung für vier Stimmen mit einem von Pia Davila berückend schön gesungenen Sopran-Solo eine Konkurrenz, bei der Schütz‘ Opus mitunter moderner wirkt als die neue Version.

Georg Philipp Telemann spielt thematisch an diesem Abend keine dominierende Rolle, auch wenn mit einer siebensätzigen Ouvertüren-Suite und einem Ausschnitt aus dessen stattlichem Sinngedicht im Frühling zwei gewichtige Werke zu hören sind. Und zwar in gewohnter Qualität. Die Beschreibung von Tier- und Naturklängen in Telemanns Sinngedicht greift der 28-jährige Chilene Claudio Huerta Honores in seiner achtstimmigen Arbeit Wenn der Tukan ruft vital und humorvoll auf. Ernster, aber auch ein wenig spröder präsentiert sich der umfangreiche Psalm-Gesang Ich liebe den Herrn, denn er hat mein lautes Flehen gehört des Düsseldorfer Komponisten Thomas Blomenkamp.

Die zahlreichen Hörer in der Klosterbasilika Knechtsteden reagieren mit langanhaltendem Beifall auf die ebenso abwechslungsreiche und erhellende wie hochwertige Zeitreise von der Renaissance in die Gegenwart.

Pedro Obiera