O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Michael Rathmann

Aktuelle Aufführungen

200 Jahre Bach-Dynastie

FAMILIE BACH
(Diverse Komponisten)

Besuch am
16. September 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Festival Alte Musik Knechtsteden, Klosterbasilika, Dormagen

Nach 32 Jahren zieht sich Hermann Max aus der Leitung seines von ihm gegründeten und mit viel Herzblut gepflegten Festivals Alte Musik Knechtsteden zurück. Für sein Abschiedsfest taucht der 82-jährige Musiker noch einmal tief in die Geschichte der weit verzweigten Familienchronik Johann Sebastian Bachs ein. Dem Komponisten, der wie ein Fixstern nahezu alle Programme des Festivals prägte oder zumindest beeinflusste. Oft in Gegenüberstellungen mit Werken von Zeitgenossen Bachs oder späterer, von ihm beeinflusster Komponisten. Angefangen bei Mozart und Beethoven über Mendelssohn, Schumann und Brahms bis hin zu Tonschöpfern unserer Tage.

Über den Eröffnungsabend in der Basilika des in der Nähe des rheinischen Städtchens Dormagen gelegenen Klosters Knechtsteden prangte diesmal nur ein einziger Familienname: Bach. Allerdings in sieben Gestalten. Neben Johann Sebastian und drei seiner begabtesten Söhne überraschte Max zusätzlich mit Hinweisen auf dessen Onkel Johann Christoph, der von 1642 bis 1703 lebte, seinen entfernteren, der Meininger Linie verbundenen Verwandten Johann Ludwig sowie seinen Enkel Wilhelm Friedrich Ernst, den ältesten Sohn des „Bückeburger“ Bachs Johann Christoph Friedrich. Mit dem Enkel als letztem männlichen Nachkommen der Dynastie endet die lange Familien-Chronik. Mendelssohn war überglücklich, dass der letzte Nachfahre Johann Sebastian Bachs der Enthüllung des von ihm gestifteten Bach-Denkmals in der Nähe der Thomaskirche beiwohnte.

Foto © Michael Rathmann

Das Programm des Eröffnungsabends überspannt also fast 200 Jahre und ist stilistisch entsprechend abwechslungsreich aufgestellt. Auch wenn Max damit zeigt, dass die Themenvielfalt der „Alten Musik“ beileibe nicht ausgeschöpft ist und man ihm selbst sein hohes Alter weder mental noch körperlich anmerkt, sieht er die Zeit gekommen, seinen Platz jüngeren Nachfolgern zu räumen. Das Festival wird auf jeden Fall fortgeführt, im nächsten Jahr mit der Blockflötistin und Dirigentin Dorothee Oberlinger als „Artist in Residence“.

Die Rheinische Kantorei und Das Kleine Konzert, die beiden von Max gegründeten und vielfach ausgezeichneten Chor- und Instrumentalensembles, bildeten seit Beginn das interpretatorische Rückgrat des Festivals. Zwei hervorragende Formationen, mit denen Max seine Ansprüche an historische Aufführungspraktiken auf hohem Niveau umsetzen konnte. Und mit dem Begriff „historisch“ versteht er nicht den Versuch, mehr oder weniger belegte Praktiken museal zu konservieren, sondern dem Geist barocker Musik nachzuspüren. Und der ist nach seiner Überzeugung von vitaler Bildlichkeit und rhetorischer Ausdruckskraft geprägt, von großen Freiheiten und nicht von starren Regelwerken, wie es ihm seine eigenen Kompositionslehrer noch weismachen wollten.

Die spontane Energie, die Max an der barocken Musik schätzt, ist auch seinen Interpretationen anzuhören. Ob es sich um eine etwas betuliche Hochzeitskantate von Johann Sebastians Onkel Johann Christoph handelt, um eine prachtvolle, dramatisch erfüllte Kantate des ältesten Bach-Sohns Carl Philipp Emanuel, die opernhafte Tonsprache Johann Christian Bachs oder eine frühromantisch angehauchte Sinfonia des Enkels Wilhelm Friedrich Ernst. Wie immer zeigt Max auch bei der Auswahl der bewährten Gesangssolisten ein glückliches Händchen. Beteiligt sind diesmal Sopranistin Veronika Winter, Altus David Erler, Alt Julie Comparini, Tenor Hans Jörg Mammel und Bass Matthias Vieweg.

Natürlich darf zum krönenden Abschluss der Thomaskantor selbst nicht fehlen. Mit dem Beginn des Gloria aus der h-Moll-Messe können Chor und Orchester ihre Qualitäten voll ausspielen und plastisch vor Ohren führen, mit welcher Genialität Bach Lebenskraft, Tiefe, Ernst und kompositorische Meisterschaft zu verbinden verstand.

Langanhaltender Beifall für einen gelungenen Auftakt einer besonderen Festivalwoche.

Pedro Obiera